Die NS-Vergangenheit der Bremer Spedition Kühne & Nagel und der Streit um ein Mahnmal

Bloß nicht anklagen

Die Bremer Spedition Kühne & Nagel profitierte im National­sozialismus von der Ausplünderung und späteren Ermordung der Juden. Der Streit um ein Mahnmal zur Erinnerung an diesen Teil der Firmengeschichte zeigt: »Erinnerungskultur« ist ein anderes Wort für Standortmarketing und Volkserbauung.

»Wir stehen in der Pflicht, uns unserer Vergangenheit zu erinnern – natürlich aus Anstand und Moral, aber vor allem aus der Verantwortung heraus, nicht zuzulassen, dass die Vergangenheit beschönigt wird.« Das sagte der Bremer Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) im November Radio Bremen. Moral und gute Sitten gelten dort also etwas – so es bei solchen Worten bleibt. Im politischen Geschehen sieht das anders aus. Das beweist das Schmierentheater um eine von dem Taz-Autor Henning Bleyl gegründete Initiative für ein Mahnmal in der Stadt, das an die Beteiligung des Speditionsunternehmens Kühne & Nagel am Raub jüdischen Eigentums in der NS-Zeit erinnern soll. Die Firma hätte ein solches Mahnmal, wie von der Initiative gefordert, unmittelbar vor der eigenen Haustür dringend verdient. Doch es soll neuerdings an einem immer noch nicht festgelegten »Kompromissstandort« 180 Meter flussaufwärts gebaut werden.

Das ist insbesondere der SPD zu verdanken, die diese Lösung kürzlich als vernünftigen »Mittelweg« durchgesetzt hat. Die Partei hatte sich zunächst mit kreativen Vorschlägen dazu hervorgetan, wie sich das Mahnmal möglichst weit in der Bremer Peripherie errichten und am besten zum Wohl von Standort und Einwohnerschaft verwirklichen ließe. Es solle als »ein Gemeinschaftswerk der bremischen Gesellschaft« ­gesehen werden, hatte Weber im Februar verkündet und damit ein weiteres Indiz dafür geliefert, dass die deutsche »Erinnerungskultur« vor allem der kollektiven Selbstbeweihräucherung dient.

Grotesk wirkt das Drängen auf den »Mittelweg« angesichts der Unternehmensgeschichte. Nachdem Werner und Alfred Kühne im April 1933 den jüdischen Miteigentümer Adolf Maass zur Aufgabe seiner Firmenanteile gedrängt und sich so den alleinigen Besitz am väterlichen Speditionsunternehmen gesichert hatten, ging es mit der Karriere und dem Gewinn der beiden steil aufwärts. Werner Kühne trat nur Tage nach der Transaktion in die NSDAP ein. Maass wurde später mit seiner Frau Käthe nach Theresienstadt deportiert und in der Zeit 1944 oder 1945 in Auschwitz ermordet. Unangenehmen Fragen zur Unternehmensgeschichte wich die Firmenleitung in der Nachkriegszeit aus. Was den Transport geraubten jüdischen Eigentums durch Kühne & Nagel angeht, zum Beispiel im Rahmen der sogenannten M-Aktion (»M« für Möbel) zwischen 1942 und 1944, gab man sich ebenso ahnungslos wie im Fall der Beförderung von geraubten Kunstschätzen für den »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg«.

Kühne & Nagel gehört heutzutage mit einem Jahresumsatz von etwa 18,5 Milliarden Euro zu den zehn größten Logistikunternehmen der Welt. Zum 125. Jubiläum, das 2015 pompös auf dem Bremer Marktplatz gefeiert wurde, fand sich ein Abschnitt zur NS-Zeit in der Firmenchronik. In einer Stellungnahme auf der Firmenwebsite befinden sich ähnliche Textbausteine: »Wie andere Unternehmen, die bereits vor 1945 bestanden, war Kühne & Nagel in die Kriegswirtschaft eingebunden und musste in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten.« Weiter heißt es: »Kühne & Nagel ist sich der schändlichen Vorkommnisse während der Zeit des Dritten Reiches bewusst und bedauert sehr, dass es seine Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Naziregimes ausgeübt hat. Zu berücksichtigen sind die seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur sowie die Tatsache, dass Kühne & Nagel die Kriegswirren unter Aufbietung aller seiner Kräfte überstanden und die Existenz des Unternehmens gesichert hat.«

Dunkel, schwierig und existenzbedrohend waren die Zeiten für Werner und Alfred Kühne allerdings nicht. Ein Entnazifizierungsbericht bescheinigt den beiden, »große Nazis« gewesen zu sein, wie die Taz 2015 berichtete. Die familiäre Sozialisation ist auch Klaus-Michael Kühne anzumerken, Alfreds Sohn, Verwaltungsratsmitglied und derzeitiger Mehrheitseigner des Unternehmens. 2008 gehörte er zu ­einem Kreis von Investoren, die eine Übernahme des Konzerns Hapag-Lloyd durch eine dänische Reederei verhindern wollten. In einer Podiumsdiskussion begründete er dies damals so: »Wir wollen das Unternehmen möglichst reinrassig deutsch halten.«

Trotz allem geht die Bremer SPD den »Mittelweg«. Der Weser-Kurier zeigte sich angetan und lobte Ende März, dass »ein Kompromissstandort für das Mahnmal zur Erinnerung an die Ausplünderung und letztlich auch die Ermordung der Juden gefunden worden« sei. Die Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) plauderte im selben Artikel aus, dass das Erinnern eine an­dere Form des Standortmarketings und der Volkserbauung sein soll: »Aber es geht eben nicht nur um das Mahnmal an sich, es geht auch um ein zivilgesellschaftliches Projekt, das die Stadt bewegt. Um die Chance, historische Aufarbeitung gemeinsam anzupacken und zu bewältigen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass wir auch eine Verantwortung für den Wirtschaftsstandort haben.«

Geht es um den Standort, werden manche Bremer besonders sensibel. Man rede die Stadt notorisch schlecht, beschwerte sich Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) nur Tage nach der Äußerung der Kulturstaatsrätin. Die Debatte über das Mahnmal habe einen »übergroßen Raum eingenommen«. Ihm gehe es »neben der Ernsthaftigkeit der Erinnerungskultur« vor allem darum, dass aus dieser keine »Anklagekultur« gemacht werde. »Nicht einzelne Menschen, einzelne Firmen sind hier zu brandmarken, sondern das Gesamtproblem ist zu sehen.« Das Bremer Gesamtproblem wird an den Äußerungen der politisch Verantwortlichen deutlich: Es beschränkt sich nicht auf die erst beschwiegene, dann verharmloste Kollaboration von Kühne & Nagel mit den Nazis, sondern zeigt sich auch im Verhalten angesichts der regionalen Standortkonkurrenz. Um sich in diesem Wettbewerb Vorteile zu verschaffen, redet der Bürgermeister die bedeutende Rolle eines örtlichen Unternehmens bei der Ausplünderung der Juden klein.

Dabei mangelt es Bremer SPD-Politikern nicht an den nötigen Phrasen, um historisches Bewusstsein zu demons­trieren. Bürgerschaftspräsident Weber hatte noch im November im Gespräch mit Radio Bremen zum »Widerstand gegen den Antisemitismus« aufgerufen. Was er damit meint, bewies er Ende April, nachdem eine Hakenkreuzschmiererei am jüdischen Friedhof entdeckt worden war. Das Hochhängen solcher Vorfälle bestärke Nachahmungstäter, ließ Weber über seine Sprecherin der Taz ausrichten. Das Erinnern mündet in Bremen nicht in praktische Solidarität mit den Juden. Das gibt auch im Hinblick auf die is­lamische Variante des Antisemitismus zu denken. Nirgendwo leben in Deutschland, gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung, mehr Salafisten als im Bundesland Bremen. Aus ­Syrien zurückkehrende Jihadisten bezeichnet Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) als »tickende Zeitbomben«. Antisemitische Parolen waren wiederholt auf Demonstrationen etwa im Zuge von Konflikten zwischen Israel und der Hamas zu hören. Auch in diesen An­gelegenheiten wählte die SPD bislang den »Mittelweg«. So nahm Weber 2016 an einer Gedenkveranstaltung zur Geburt Mohammeds teil, die unter anderem von Millî Görüş organisiert worden war. Zudem hält das Bundesland Bremen am »Islamstaatsvertrag« mit der AKP-nahen Ditib fest.

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