Platte Buch

Tristesse prekär

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Der Poproman der Neunziger war ein Mittelklassephänomen, das subversive Experiment behütet aufgewachsener Teenager, denen die Mütter abends die Bademäntel vorgewärmt hatten. Ihre Adoleszenzphase zwischen Musik, Drogenkonsum, Reisen und Lektüren zog sich in die Länge, am Ende kriegten sie meist doch noch die Kurve ins neobürgerliche Leben. Nun erzählt der ehemalige Tempo-Autor und BZ-Kolumnist Uwe Kopf in seinem der Popliteratur verpflichteten Roman »Die sieben Gehirne der Seidenspinnerraupe« die harte, proletarische Version der deutschen Jungmännerbiographie, deren Kri­sen nicht durch familiären Wohl- und Beistand abgefedert werden. Ausgangspunkt des autobiographisch geprägten Romans ist der Selbstmord seines Bruders, der im Buch Tom heißt und sich, von der Freundin verlassen, in seiner Hamburger Wohnung erhängt. Groß geworden in der Nachkriegszeit mit Mutter, Großmutter und wechselnden Vaterfiguren, findet der sensible Tom seinen Platz im Leben nicht, den er mal als Briefträger bei der Post, mal an der Seite einer jungen Ärztin sucht. Heimisch ist er in der Pop- und Fußballkultur, den Songs von Rory Gallagher und im Trash. Tom kann erklären, was das Lied der Schlümpfe über den Zustand der BRD Ende der Siebziger aussagt. Anders als die Bürgerkinder weiß er aber sein popkulturelles Wissen beruflich nicht zu nutzen. Der nie ganz erwachsen gewordene Tom stirbt mit 40 Jahren als Kneipenphilosoph mit dem Potential eines Musikprofessors.
»Die Gehirne der Seidenspinnerraupe« ist das großartige erste Buch des fast 6ojährigen Journalisten Uwe Kopf und zugleich sein letztes. Kurz nach Beendigung des Manuskripts war bei ihm Krebs diagnostiziert worden, er starb noch vor der Drucklegung seines Buchs. Dabei hätte es der Beginn einer späten Schriftstellerkarriere werden können. Zu erzählen gehabt hätte der lebenskluge, lakonische Uwe Kopf noch eine Menge.

Uwe Kopf: Die sieben Gehirne der Seidenspinnerraupe. ­Hoffmann und Campe, Hamburg 2017, 320 Seiten, 22 Euro