Antworten auf Leserfragen zum Sportteil

»Wo ist der Sparwasser?«

Die beliebtesten Leserfragen zum Sportteil der »Jungle World«.

Haken wir doch mal als erstes die Frage aller Fragen ab: Wozu braucht eine linke Zeitung einen Sportteil?
Martin:
Da reizt es mich ja beinah, ganz ernst zu antworten. Aber dann würde vermutlich jetzt schon keiner weiterlesen. Also besser nur die berühmte Antwort von George Mallory, warum er auf den Mount Everest wollte: »Because it is there.« Reicht das nicht?
Elke: Doch, das reicht, mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen.

Was macht die Sportbetrachtung in einer linken Zeitung anders als in anderen Blättern?
Elke:
Das kann man nicht vergleichen, denn wenn die Jungle World die finanziellen Möglichkeiten beispielsweise der Zeit hätte, dann sähe wohl nicht nur die Sportseite anders aus. Stell dir mal vor, wir könnten Autoren Recherchen und Reisen bezahlen, das wäre traumhaft. Ich würde meine jedenfalls sofort in der ganzen Welt herumschicken mit Aufträgen wie: »Mach doch mal eine Reportage über den schlechtesten Eishockeyverein Kanadas und wie er trotzdem jede Woche wieder optimistisch aufläuft.«

»Die TV-Live-Berichterstattung ist drastisch schlechter geworden, finde ich. Da sind die Reporter ei­gent­lich nur noch Fans, die jemand unglücklicherweise ans Mikro gelassen hat.«


Martin: Vermutlich mache ich mich mit diesem Gedanken nicht allzu populär, aber: Das mit den finanziellen Möglichkeiten scheint mir oft nur ein vorgeschobenes Argument zu sein. Wenn einer schon die jetzt vorhandenen Möglichkeiten für eine Recherche nicht nutzt, was sollte man denn dann erwarten, wenn er eine Woche in Kanada beim Dorf­eishockey recherchiert? Andererseits standen gerade zuletzt in der Jungle sensationell gute Auslandsgeschichten – über die Fußballclubbesitzerin in Israel, über Fußball im Südosten der Türkei und und und. Auf solche Geschichten kommen andere nicht, egal wieviel Geld sie geben könnten.

Begonnen hat die »Jungle World« sofort mit der Serie »Wo warst du, als das Sparwasser-Tor fiel?« Wie kamst du, Elke, auf die Idee?
Elke:
Damals erschienen im Sport – wie in der ganzen Jungle World – pro Seite noch zwei Texte, oft plus eine Spalte. Ich fand das immer falsch, denn es machte den Eindruck einer wöchentlich erscheinenden Tageszeitung. Dabei ist es doch das große Plus von Wochenzeitungen, längere Hintergrundgeschichten bringen zu können. Deswegen suchte ich nach etwas Regelmäßigem, woran sich die Leser im atemlosen Kurztextgewusel sozusagen festhalten konnten – und das für Sportinteressierte der BRD und der DDR gleichermaßen interessant ist. In einer norwegischen Tageszeitung erschien damals die Serie »Hvor var du da Oddvar Brå brakk staven?« (Wo warst du, als Oddvar Brås Skistock kaputt ging?) 1982 war der beim Zieleinlauf der 15-Kilometer-Langlaufstaffel bei der WM am Holmenkollen gebrochen, fast ganz Norwegen erlebte live mit, wie Brå trotzdem Gold gewann. Man kann sich das auf Youtube anschauen. Das Sparwasser-Tor war die deutsche Entsprechung.
Martin: Guck an, das mit dem kaputten Skistock von Brå wusste ich noch nicht.

Erster Beantworter der Sparwasser-Frage war Herbert Mies, der langjährige DKP-Vorsitzende.
Martin:
Ich fand Elkes Entscheidung, Mies zu fragen, sensationell. Und seine Antwort nicht minder: »Wir haben mit Düssel-Alt auf diese erhebende Stunde angestoßen. Radeberger oder Wernesgrüner hatten wir leider nicht zur Verfügung.« Denn: »Ich war sofort davon überzeugt, dass es der Beginn einer Lockerung sein würde.« So viel auch zur Frage, was Sport über Politik und Gesellschaft aussagen kann: Alles sagt er darüber aus.
Elke: Ihn zu fragen, war natürlich als Dissen der Jungen Welt gedacht, ­wobei Mies selbst den Krach und den Rauswurf, glaube ich, noch gar nicht mitbekommen hatte. Er war übrigens ausnehmend nett und hat sich sehr gefreut, dass er gefragt wurde.

Warum gab’s den »Sparwasser« irgendwann nicht mehr?
Elke: Es gab jemanden, der den »Sparwasser« von Anfang an hasste und der, als ich irgendwann zur Beruhigung sagte, dass ich ihn nach ich weiß nicht mehr wie vielen Wochen beenden wollte, akribisch mitzählte und kurz vorm Termin triumphierend sagte, dass ja nun endlich bald Schluss sei. Dazu gehört die Geschichte, dass ich das »Spar­was­ser«-Buch (Konkret-Literatur-Verlag) erst machen durfte, nachdem sich die Kollegen vehement dafür eingesetzt hatten. Manchmal vermisse ich ihn.

Was gefällt euch selbst am Sportteil der »Jungle«?
Elke: Die Möglichkeit. Manchmal wird sie genutzt, manchmal nicht, aber sie ist da.
Martin: Möglichkeit – ja, das ist eine schöne Begründung. Die gefällt mir.

Und was gefällt nicht, was sollte sich ändern?
Elke:
Ich hätte gern mehr Autoren und Autorinnen, die sich ein bisschen was trauen und den jede Woche zur Verfügung stehenden Platz nutzen, um mit Themen und Texten zu experimentieren – es muss ja nicht grad eine Zusammenfassung der Bundesligasaison in Gedicht­form sein. Obwohl, warum eigentlich nicht, wenn sich alles hübsch reimt? Oder Reportagen anbieten, die es sonst nirgendwo zu lesen gibt – gern über einen Bezirksligisten, den niemand kennt, oder die Geschichte eines Leicht­athletikvereins auf irgendeinem Dorf in irgendeinem Land. Die ganze Sportwelt ist schließlich voller Geschichten, nicht nur die des Profisports. Was fändest du denn veränderungswürdig?
Martin: Ich weiß nicht. Es sind deine Seiten.
Elke: Meinung haben kannst du ja trotzdem.
Martin: Eben sagtest du, eine Wo­chen­zeitung sollte nur die großen Geschichten haben. Das sehe ich nicht so. Es gibt journalistische Formen, die im Jungle-Sport gut passen würden, die kürzer sind: Kommentare, Rezensionen, und so manche Recherche braucht überhaupt nicht die 7 000 oder gar 9 000 Zeichen. International fahren linke Blätter – etwa die Schweizer Woz oder die amerikanische The Nation – sehr gut mit ­Kolumnen, die das Sportgeschehen unter den für die Zeitung interessanten Aspekten verfolgen und kommentieren.

Der Sportteil der »Jungle« wird so gut wie nie auf den vorderen Seiten angekündigt. Meist werden die unattraktivsten Anzeigen dort geparkt. Hat der überhaupt Leser?
Elke:
Ja. Und dass er selten angekündigt wird, liegt daran, dass ich die Seite immer so spät abgebe.

Aber umstritten ist der Sport zum Glück nicht?
Elke:
Angefangen haben wir mit dem Slogan: »einzige Wochenzeitung mit Antifa- und Sportteil«.
Martin: Bis heute schön und richtig.

Es heißt oft, der Sportjournalismus habe sich in den vergangenen 20 Jahren stark verbessert. Ist das so?
Martin:
Ich denke, ja. Früher gabs ja die Rede vom Eins-zu-null-Journalismus. Diesen Begriff habe ich schon lange nicht mehr gehört. Ich hätte gerade, wenn es um den Komplex Sport-Politik-Gesellschaft geht, immer noch viel zu kritisieren, dass da nämlich ein merkwürdig ahistorisches Verständnis vom Sport vorherrscht, der sei eine tolle Sache, wenn nicht böse Kräfte, die an Macht oder Geld interessiert seien, ihn instrumentalisieren wollten. Aber im Vergleich zu ganz früher hat sich viel verbessert: Früher galten Sportjournalisten als Trottel, die man nirgends vorzeigen kann. Mittlerweile erobern viele gute Journalisten aus dem Sportressort heraus andere redaktionelle Bereiche.
Elke: Die TV-Live-Berichterstattung ist sehr viel schlechter geworden, finde ich. Da sind die Reporter ei­gent­lich nur noch Fans, die jemand unglücklicherweise ans Mikro gelassen hat und die denken, dass es Journalismus ist, wenn sie öffentlich triumph­heulen oder vor Niederlagenangst vergehen. Was mich im Print sehr stört: In vielen Zeitungen lautet die erste Frage, wenn man ei­nen Text anbietet: »Aber wo ist denn da der Deutschland-Bezug?« Warum es unbedingt einen geben muss und man der Leserschaft nicht zutraut, interessante Artikel auch dann zu lesen, wenn sie sozusagen auswärts spielen – das verstehe ich einfach nicht.

Gute Sporttexte finden sich in Blättern wie »Zeitspiel« oder »Transparent«, auch in »11Freunde«, der »Taz«, dem »Neuen Deutschland« und sogar in der »Zeit«. Warum »Jungle«, wo der Sport oft so schlecht präsentiert wird?
Elke: Aber wir haben auch nach wie vor gute Sportartikel, so ist das ja nicht. Im Printbereich hat sich natürlich in diesen 20 Jahren sehr viel verändert, aber eines ist geblieben: Die Selbstwahrnehmung der Leserschaften praktisch aller Blätter ist ein wenig, sagen wir: erstaunlich. Bei Leserumfragen geben immer alle an, dass sie wahnsinnig an Hochkultur und politischen Intellektuellentexten interessiert sind und keinesfalls an Sport und Tratsch – deswegen firmieren Theaterkritiken und Politbesinnungsaufsätze auch in praktisch jedem Onlinemedium regel­mäßig unter »meistgelesen«.
 

Elke, du bist seit 20 Jahren Sport­ressortleiterin einer Wochenzeitung. Solange macht so etwas eh kein anderer, und wenn einer so ein Sitzfleisch hat, dann ein burschikoser, selbstzufriedener Mann. Was stimmt mit dir nicht? Mit der »Jungle« nicht? Mit diesem Sportressort nicht?
Elke: Och, es gibt eine Menge Sachen, die ich schon seit 20 Jahren oder länger mache – warum nicht auch die Jungle-Sportseite? Ein burschikoser Mann oder selbstzufrieden muss man dafür eigentlich nicht sein, es reicht, wenn man glücklich damit ist, dass man nicht extra dafür in die Redaktion oder gar zu Redaktions­sitzungen muss, was ich übrigens lange für mein großes Privileg hielt, bis ich erfuhr, dass die Taz-Sport­redaktion auch nie zu Konferenzen geht. Das sagt sicher eine Menge über Sportredakteure linker Zeitungen aus. Ich bin nur nicht sicher, was.
Martin: Ob diese Absenz klug ist, weiß ich nicht. Man überlässt ja so den Doofen das Feld. Über Sport ­reden alle mit und glauben fest daran, sie verstünden was davon. Dabei sind sie doch nur Fans.

Letzte Frage: Wo wart ihr eigentlich, als das Sparwasser-Tor fiel?
Elke:
Das war irgendwie kein wichtiges Spiel, ne?
Martin: Doch. »Deutschland gegen DDR« hieß es bei der WM 1974, einziges Länderspiel der A-Mannschaf­ten beider Staaten ever. Da ein zwei­tes Spiel, das anlässlich der Auflösung und des Beitritts des DDR-Fußballverbandes 1990 steigen sollte, wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde, steht in der ewigen Länderspielliste eine hundertprozentige Negativbilanz der BRD.
Elke: Ich kann mich nicht genau erinnern. In meiner Familie waren nur die Spiele BRD versus Niederlande wichtig, da gab es schon Tage vorher viel gegenseitiges Ärgern und was eben alles so dazugehörte. Außerdem hatte mein Freund Jörg irgendwann erklärt, dass wir für die Sowjetunion sein müssten, unter anderem, »denn zu denen hält niemand«, was bei uns zu Hause bei deren Spielen zu einem wahlsowjetischen Kinderblock auf der Couch führte. Die DDR war dagegen nur für die Erwachsenen wichtig, für uns war sie weiter entfernt als der Mond. Von dem hatte es ja schließlich sogar schon Live-Bilder im Fernsehen gegeben.
Martin: Ja, fremd war sie, die DDR. Ich hatte mich als Kind damals ­gewundert, was Sparwasser für ein komischer Name ist. Klang irgendwie deutsch, aber irgendwie auch anders. DDR halt.