DJ Schneeweiss, Direktor der Abteilung »Digitale Diplomatie« im israelischen Außenministerium, im Gespräch über das Twitterprojekt @Tweeting1967

»Es gibt eine Tendenz, sich mit dem Underdog zu identifizieren«

DJ Schneeweiss ist Direktor der Abteilung »Digitale Diplomatie« im israelischen Außenministerium. Der ehemalige kanadische Generalkonsul ist verantwortlich für das neue Twitter-Projekt @Tweeting1967, das verschiedene für Israel wichtige geschichtliche Ereignisse, die sich 2017 jähren, in »historischer Echtzeit«, also um 50, 100, 150 Jahre zeitversetzt, dokumentiert. Das Projekt hat mit einer umfassenden Darstellung des Sechstagekriegs begonnen.
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Twitter-Accounts von Historikern, die vergangene Ereignisse in »Zu dieser Stunde vor x Jahren«-Tweets aufbereiten, sind sehr populär. Wie kam es dazu, dass das israelische Außenministerium diese Idee aufgriff und sich entschied mit @­Tweeting67 den Sechstagekrieg und die Ereignisse, die dazu führten, zu dokumentieren?
Die Entscheidung darüber war schon im vergangenen Herbst gefallen. Wir wollten den 50. Jahrestag des Kriegs besonders markieren – er ist schließlich eines der wichtigsten Kapitel in der israelischen Geschichte. Und das sollte auf eine Weise geschehen, in der Geschichte zum Leben erweckt und besonders der jungen Generation gut zugänglich gemacht wird. In einer Situation, in der Menschen lieber Zeit mit sozialen Medien verbringen, statt Geschichtsbücher zu lesen, müssen wir die Geschichte eben zu ihnen bringen, wenn wir möchten, dass sie sie verstehen.

»Wir müssen die Geschichte eben zu den Menschen bringen, wenn wir möchten, dass sie sie verstehen.«

Wer war an den Planungen für den Twitter-Account beteiligt?
Unser Team, gemeinsam mit dem Außenministerium und Blond 2.0, das ist eine israelische PR-Firma mit internationaler Erfahrung. Insgesamt haben sechs Leute daran gearbeitet.

@Tweeting67 fügt einen neues Element zum Genre der historischen Tweets hinzu. Denn es twittert nicht nur, was vor dem Krieg passierte, sondern bündelt auch mehrere Accounts, die speziell dafür angelegt wurden. Erzählt wird die Geschichte unter anderem aus der Perspektive eines fiktiven Kiegsberichterstatters, eines Kibbuzniks, eines Freiwilligen beim Magen David Adom, einer Hauswirtschafterin und natürlich prominenter israelischer Politiker. Nach welchen Kriterien wurden diese Accounts erstellt?
Wir wollten eine ganze Bandbreite von Charakteren erschaffen, die es uns ermöglicht, die vielen Dimensionen der Geschichte zu reflektieren, also beispielsweise die diplomatische, die militärische, die persönliche. Und natürlich wollten wir die unterschiedlichen Perspektiven der Menschen aufzeigen, die damals tatsächlich diesen Krieg erleben mussten.
In einer Zeit, in der so vieles über Israel und seine Geschichte sehr simplifiziert, fast karikiert dargestellt wird, fanden wir es wichtig, in die Erschaffung einer reichen Textur des Lebens und der getroffenen Entscheidungen zu investieren.
Der historische Kontext ist außerdem wirklich wichtig. Es trifft zu, dass Israel die ersten Schüsse in diesem Krieg abgefeuert hat, am 5. Juni 1967, aber der Krieg war schon Wochen vorher von Ägypten und Syrien initiiert worden mit Unterstützung der damaligen Sowjetunion. Warum taten sie das? Warum versuchten palästinensische Terrorgruppen, israelische Städte und Dörfer im Norden zu infiltrieren, und das vor dem Krieg, bevor die sogenannte Okkupation überhaupt stattfand? Die Weigerung der Araber, Israels Existenzrecht zu akzeptieren, durch Twitteraccounts aufzuzeigen – als Beispiel kann man sich die @SixDayWarQuotes ab dem 15. Mai anschauen – hilft sehr dabei, zu erklären, wie es zu diesem Krieg kam und, grundlegender, warum ein Frieden mit den Palästinensern nicht greifbar ist.

Das Projekt @Tweeting67 ist im Prinzip eine Art Rollenspiel. Wie schafft man es, so viele Accounts zu managen und sie alle zur richtigen Zeit die richtigen Tweets veröffentlichen zu lassen?
Es ist ein bisschen komplex, aber sie haben ja alle ihre eigene Stimme und ihre eigenen Erlebnisse in diesem Krieg. Und der generelle Aufbau steht. So können wir alle Accounts voneinander getrennt managen.

Zunächst war die Solidarität mit Israel immens – auch deutsche Nichtjuden saßen in diesem Juni des Jahres 1967 bis spät nachts vor ihren Radios, um die neuesten Nachrichten zu erfahren. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich das dann so schnell änderte? Und was kann getan werden, um dem Mix aus antisemitischen Verschwörungstheorien, »fake news« und glatten Lügen zu begegnen, der vor allem im Internet zirkluiert?
Es sind tiefe Prozesse am Werk, die die Art und Weise, wie viele Menschen Israel und seine Geschichte wahrnehmen, verändert haben. Mit unserem Twitter-Projekt und vielen weiteren öffentlichen diplomatischen Anstrengungen wollen wir diesen negativen Trend kontern und den Menschen dabei helfen zu verstehen, wer wir sind und dass unsere Geschichte nicht nur legitim, sondern auch relevant ist.
Es gibt eine ganz menschliche Tendenz, sich mit dem Underdog zu identifizieren, aber diese unschuldige Haltung wird oft von Gruppen manipuliert, die Israel eindeutig feindlich gegenüberstehen und ununterbrochen daran arbeiten, Menschen gegen uns aufzuhetzen. Aus unserer Perspektive ist der Sechstagekrieg nicht schuld am Leiden der Palästinenser, sondern ein weiteres Symptom der palästinensischen und arabischen Weigerung, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Es ist diese Ablehnung Israels, die immer noch einem Frieden mit den Palästinensern im Weg steht, während die schwere Niederlage, die Ägypten und Jordanien in diesem Krieg erlitten, half, den Mythos zu beenden, den man immer erzählt hatte, nämlich dass Israel innerhalb eines Tages vernichtet werden könne. Das war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Friedensverträgen, die wir 1979 mit Ägypten und 1994 mit Jordanien unterzeichneten. Zu hoffen ist, dass die Palästinenser diese Wahrheit auch bald anerkennen.

Wie waren die Reaktionen auf die Tweets bisher?
Sehr interessant. Es gab sehr viele positive Rückmeldungen und Unterstützung, Politiker bis hin zu Ministerpräsident Netanyahu haben Follow-Empfehlungen für @Tweeting67 getwittert. Auch das Medieninteresse war sehr groß. Einige Twitteruser, die großen Spaß daran haben, das Medium wie eine Art Zeitmaschine zu behandeln, führten sogar Dialoge mit unseren Accounts, was wir sehr genossen haben. Ein israelischer Journalist fragte beispielsweise unseren Herzl-Account, wie er denn im Jahr 1967 twittern könne, er sei da ja schon seit 63 Jahren tot gewesen. Wir ließen @HerzlTweets antworten: »Twitter-Magie, unterstützt durch eine Vision.«

Hass ist ja durchaus verbreitet bei Twitter, bekam das 1967-Projekt keinen ab?
Natürlich gab es, wie von uns erwartet, die üblichen hasserfüllten Tweets, aber viele waren es nicht und wir wissen, dass man am besten damit umgeht, indem man sie ignoriert.
Bereits in den ersten Tagen hatten wir zehn Millionen User mit unserem Projekt erreicht, das war schon sehr ermutigend. Die meisten waren aus den USA, aber viele kamen auch aus Europa. Dass einiges von dem Material, das wir über die wichtigen historischen Ereignisse produzierten, ein bisschen schrullig war, kam ganz klar bei vielen Leuten sehr gut an.

Sie waren noch ein Kleinkind, als der Sechstagekrieg stattfand. Können Sie sich daran erinnern, was ihre ersten Eindrücke von diesem Ereignis waren? Und haben Sie durch dieses Projekt noch Dinge erfahren, die Sie zuvor nicht wussten?
Ich bin Jahrgang 1964, natürlich erinnere ich mich nicht an den Krieg selbst, aber ich habe schon als Kind eine Menge darüber gelernt.
Mein Vater war 1939 als zwölfjähriger Flüchtling aus Nazi-Deutschland nach Australien gekommen, und er hat leidenschaftlich an den Staat Israel und die Wichtigkeit seiner Existenz und seines Wohlergehens geglaubt – entsprechend wurden wir erzogen.
Durch die Arbeit an @Tweeting67 habe ich viele Details über die Kämpfe und auch über die Diplomatie jener Zeit gelernt, aber am interessantesten war es für mich, den Krieg aus der Perspektive der Menschen zu sehen, die ihn damals erlebten. Nun habe ich eine viel bessere Vorstellung davon, wie man sich damals gefühlt hätte, wenn man einer der Entscheidungsträger, ein Diplomat, ein Soldat, die Ehefrau eines Soldaten gewesen wäre. Hoffentlich geht das unseren Twitter-Followern auch so.
Diese Empathie, also die Fähigkeit, Dinge aus der Perspektive eines anderen Menschen zu sehen, ist meiner Meinung nach ohnehin ganz wichtig, zum einen, um die Geschichte zu verstehen und wie wir dorthin kamen, wo wir heute sind, und zum anderen, um zu bestimmen, wohin unser Weg uns morgen führen soll und muss. Das ist im Prinzip auch die Essenz meiner Arbeit als israelischer Diplomat in den letzten 23 Jahren. Mit unseren Partnern in der ganzen Welt – ich war in Großbritannien, China und Kanada tätig – arbeite ich daran, gegenseitiges Verständnis auszubauen und eine gemeinsame Basis zu erschaffen, die zu engerer Zusammenarbeit und gegenseitigem Nutzen führt.

Wird es weitere Projekte von Twitter-Israel geben?
Unsere @Tweeting67-Initiative ist eigentlich Teil eines viel größeren Projekts, mit dem wir eine Reihe von wichtigen Jubiläen in der Geschichte Israels markieren werden, die ins Jahr 2017 fallen: der 120. Jahrestag des Zionistischen Kongresses 1897, der 70. Jahrestag des Plans der Vereinten Nationen, der zur Errichtung eines jüdischen Staates aufrief, und noch einige mehr. Von uns kann man im Lauf dieses Jahres jedenfalls eine Menge Twitter-Kreativität erwarten.