Eine Retrospektive über queere Partykultur in Israel

Party, Terror, Politik

Eine Ausstellung in Berlin beschäftigt sich mit den Queerhana-Partys in Israel.

Um die Jahrtausendwende herum entstand ein Partykonzept, das in der Alternativszene der westlichen Länder sich nicht nur an Schwule und Lesben, sondern an alle nichtheterosexuellen Menschen richtete. In trashig dekorierten Räumen wurde zumeist elektronische Musik gespielt, die Gäste kamen bevorzugt in Phantasiekostümen. Die Party wurde als praktischer Ausdruck der queer theory verstanden, auf der die eigene Geschlechtlichkeit »performt« und freizügig gefeiert werden konnte, abseits von kommerziellen Zwängen und ohne Angst vor Diskriminierung.

Auch in Israel entstand eine queere Partykultur, der sich nun eine Retrospektive in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) angenommen hat. Die Ausstellung »This Is a Free Zone. Queerhana im Kontext autonomer Bewegungen in Israel/Palästina von 2001–2009« behandelt eine Partyreihe, die als Gegenveranstaltung zur großen Gay Parade 2002 entstand. Unter einer Autobahnbrücke in Tel Aviv, wenige Hundert Meter von der gleichzeitig stattfindenden Pride-Parade entfernt, versammelten sich Leute um ein Soundsystem und feierten ihre eigene Party. Es war der Beginn einer queeren Bewegung, die bis 2009 an verschiedenen Orten in Jaffa und Tel Aviv Veranstaltungen organisierte und unter dem Namen Queer­hana bekannt wurde – ein Wortspiel aus »Karachana«, (hebr. »wilde Party«, arab.: »Bordell«) und »queer«.

Mehrere Videoprojektionen und Diashows zeigen Bilder der damaligen Partys, Filmaufnahmen oder Fotografien von Demonstrationen oder künstlerische Filmarbeiten. Die Auswahl ist überschaubar. Aufwendig inszeniert und präsentiert ist eine Dokumentation, in der die Macher und Macherinnen der Partys auftreten und über den Kontext der Partyidee sowie die Konzeption der Ausstellung Auskunft geben. Im Stil von Veteranen berichten sie über die Gründe, abseits der etablierten LGBT-Szene in Tel Aviv einen Ort zu schaffen, an dem neben gesellschaftlichen Normen auch »Opposition gegen die israelische Besatzung selbstbewusst und kreativ ausgedrückt werden«, wie es der kurze Ausstellungstext formuliert.

Das Bedürfnis, sich von der Gay-Szene abzugrenzen ist groß. Homosexuelle werden im Queerhana-Manifest abschätzig als »sexual objects of Calvin Klein« bezeichnet. Auf der queeren Party könne dagegen jeder sein, was er ist.

Hervorgegangen ist »Queerhana« aus dem israelischen Bündnis »Black Laundry«, welches 2001 auf der Pride-Parade in Tel Aviv mit dem Slogan »No Pride in Occupation!« auf sich aufmerksam machte. Schon der Gruppenname »Black Laundry« (schwarze Wäsche) zeigt die politische Übereinstimmung mit der inzwischen unter den Begriff »Pinkwashing« (Reinwaschung/Rosafärbung) populären antiisraelischen Kampagne. Deren Unterstützer und Unterstützerinnen gehen davon aus, dass die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen in Is­rael lediglich dazu dient, um von Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten abzulenken.

Die Dokumentation lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Machern und Macherinnen der Partys sowie der Ausstellung um Anti­zionisten handelt. So wird die Staatsgründung Israels mit dem arabischen Propagandabegriff »Nakba« (Unglück) bezeichnet. Suggeriert wird, dass die Israelis 700 000 Palästinenser auf einen Schlag vertrieben hätten. Dass viele von diesen freiwillig gingen und von den arabischen Staaten aufgefordert wurden, das Gebiet zu verlassen, wird unterschlagen. Auch sonst ist man diskurstheoretisch auf dem höchsten Stand, wenn ein Aktivist im Film ­erzählt, man habe damals die »Intifada and other queer movements« unterstützt. Die US-amerikanische Theoretikerin Jasbir Puar versucht seit Jahren, Selbst­mordattentäter mit dem Prädikat »queer« auszuzeichnen. Die neuen Unangepassten und Perversen sind für sie die Jihadisten.

Zu Wort kommt auch die Künstlerin Liad Hussein Kantorowicz, die die Ausstellung mitgestaltet hat. Kantorowicz inszenierte im vergangenen Jahr eine Performance mit dem Titel »Terrorist Superstars«, in der sie vor dem Hintergrund der zweiten Intifada die Frage stellt, ob »Terrorismus zu einer kreativen Kraft transzendieren kann«.Fatal ist die Erklärung für den Palästinakonflikt, wenn eine Frau, die als „Yael“ vorgestellt wird, in der Dokumentation sagt, das Problem seien weder das Land noch die Menschen noch die Religion. Das einzige Problem im Nahen Osten sei das Geld. Der schnöde Mammon ist an allem schuld und die antisemitische Assoziation zu den »Geldsäcken« nicht weit. *

Queerhana definierte sich als Alternative zur »Mainstream-Gay-Szene« in Israel. Sie war unkommer­ziell, ein »Freiraum«, ein Teil des »global anti consumerist movement«, wie es ein Aktivist ausdrückt. Hier wird die Do-it-yourself-Kultur nicht einfach nur praktiziert, sondern mit Ideologie aufgeladen. Das Bedürfnis, sich von der Gay-Szene abzugrenzen, ist groß. Homosexuelle werden im Queerhana-Manifest abschätzig als »sexual objects of Calvin Klein« bezeichnet. Auf der queeren Party könne dagegen jeder sein, was er ist. Dass man den Grad der Indi­vidualität eines Menschen nicht an seiner Unterwäsche ablesen kann, ist ein simpler Gedanke, er passt aber nicht zum Abgrenzungswunsch der Partyveranstalter.

Die homosexuelle Subkultur, so haben sie Martin Dannecker und Reimut Reiche in ihrer Studie »Der gewöhnliche Homosexuelle« kate­gorisiert, gehört zu den »unfreiwilligen Subkulturen«. Weil Homosexuelle von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen sind, sind sie gezwungen, sich eigene Räume einzurichten. Das aufbegehrende Moment, das im Wort »Subkultur« mitschwingt, wird schnell zu einem ­revolutionären Akt verklärt, obwohl es sich eigentlich um eine erzwun­gene Praxis, um eine Notlösung handelt. Dass in Teilen der schwulen Subkultur rassistische Ausgrenzung existiert, der man entgegentreten will, ist ein nachvollziehbarer Grund für das multikulturelle Konzept von Queerhana, das sich explizit an jüdische beziehungsweise israelische und muslimische beziehungsweise arabische Menschen wendet. Völlig unreflektiert aber bleibt der Umstand, dass diese Partys nur in Israel stattfinden können und eben nicht in den palästinensischen Gebieten. Lieber pflegt man das eigene rebel­lische Image und prangert die israelische Mainstream-Gay-Szene an. Das privateste Vergnügen wie der Besuch einer Party mutiert zur Gewissensfrage oder verwandelt sich in eine Demonstration der richtigen Gesinnung.

Eine kritische Perspektive auf das Selbstverständnis von Queerhana sucht man in der Ausstellung der NGBK vergeblich. Zu fragen wäre, warum die Ablehnung des Staats Israel, wie sie in der Bewegung »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) zum Ausdruck kommt, vor allem in Kunstkreisen so stark ist. Musiker sagen öffentlichkeitswirksam ihre Auftritte in Israel ab, aber auch bei bildenden Künstlern, Filmemachern und Schriftstellern ist die BDS-Kampagne populär. Der Boykottaufruf des britische Netzwerks »Artists for Palestine« verzeichnet bereits über 1 200 Unterschriften. Diese Haltung ist einerseits in der Geschiche der Linken begründet, sie verweist aber auch auf den Zwang, sich politisch zu positionieren. Der seit ein paar Jahren etablierte Imperativ des »kreativen Eingreifens« kulminiert in der Selbstbezeichnung »Künstler & Aktivist«. Die einseitige Positionierung im polarisierten Palästinakonflikt scheint für viele Kulturschaffende der schnellste Weg zu sein, sich selbst ein möglichst radikales politisches Bewusstsein zuzulegen.

This Is a Free Zone. Queerhana im Kontext autonomer Bewegungen in Israel/Palästina von 2001–2009. NGBK, Berlin. Bis 2. Juli

 

* In einer früheren Version des Textes wurde die Aussage fälschlicherweise der Künstlerin Liad Hussein Kantorowicz zugeschrieben.