Die libanesische Hizbollah rüstet auf

Taktische Ablenkung

Im Nahen Osten bleibt die libanesische Hizbollah ein überregionaler Machtfaktor. Sie wird vom Iran finanziert und bewaffnet. Der Erfolg der »Partei Gottes« scheint nicht anzuhalten.

Für die libanesische Hizbollah scheint alles gut zu laufen. Der Krieg in Syrien ist so gut wie gewonnen. Im Libanon ist die schiitisch-islamistische Miliz-Partei an der Regierung beteiligt. Sollte ihre Beteiligung auf dem syrischen Schlachtfeld letztlich doch in einem Fiasko enden, hat sie schon einen Plan B.

Ende April nahm die PR-Abteilung der Hizbollah interessierte libanesische Bürgerinnen und Bürger mit auf eine Sightseeing-Tour der besonderen Art. Auf einem Hügel im Süden des Landes an der israelischen Grenze erläuterte Pressesprecher Mohammed Afif gemeinsam mit einem Hizbollah-Milizionär, was gerade jenseits des Zauns vor sich gehe. Die israelische Armee schichte  zehn Meter hohe Verteidigungswälle auf, verstärke ihre Abwehr durch Betonblöcke und habe ihr Per­sonal an der Grenze aufgestockt. »Wir haben keine Angst vor dem Krieg. Wir zögern nicht, darauf zu antworten«, sagte dazu der Milizionär.

Dass Israel die Abwehr verstärkt, mag stimmen. Ein Journalist der Jordan Times beobachtete während der Sightseeingtour in der sonst ringsum friedlichen Landschaft einen israelischen Bulldozer, dessen Aufgabe er nicht genau einordnen konnte.

Tatsächlich ist das israelische Militärs in Alarmbereitschaft. Denn israelischen und anderen Geheimdiensten zufolge hat die Hizbollah beträchtlich aufgerüstet. Der Iran hat sie mit über 100 000 Raketen ausgestattet, von denen die meisten zwar nur zehn bis 40 Kilometer weit fliegen.

Tatsächlich ist das israelische Militärs in Alarmbereitschaft. Denn israelischen und anderen Geheimdiensten zufolge hat die Hizbollah beträchtlich aufgerüstet. Der Iran hat sie mit über 100 000 Raketen ausgestattet, von denen die meisten zwar nur zehn bis 40 Kilometer weit fliegen. Einige können aber auch mehrere Hundert Kilometer zurücklegen. Insgesamt hat die Hizbollah ihr Raketenarsenal seit dem Krieg gegen Israel 2006 mehr als verdreifacht. Grund genug zur Sorge. Immerhin sah die UN-Resolution, die den Krieg damals beendete, eine Entwaffnung der Hizbollah vor. Um zumindest eine Neubewaffnung zu verhindern, schippern noch immer deutsche Soldaten vor der libanesischen Küste. Mehrere Tausend internationale Blauhelmsoldaten befinden sich im Landesinneren.

Unter ihren Augen haben nicht nur enorme Waffenladungen die Hizbollah erreicht, der Iran hat inzwischen auch unterirdische Fabriken für die Miliz gebaut. Dort werden Gewehre, Mörser, Munition, panzerbrechende Raketen, gepanzerte Fahrzeuge, Schnellboote, Drohnen und sogar Boden-See-Raketen hergestellt – so die Geheimdienste.

Vieles davon kann die Hizbollah im Syrien-Krieg gebrauchen. Dort ist sie längst zu einer entscheidenden Kraft geworden. Ihre Milizionäre sind gut ausgestattet und gut trainiert; sie durchlaufen eine zweijährige professionelle Ausbildung. Damit sind sie sowohl den meisten in Syrien kämpfenden Milizionären überlegen als auch den regulären Soldaten der syrischen Armee, an deren Seite sie kämpfen. Wo immer die Truppen des syrischen Diktators Bashar al-Assad einen Ort zurückgewinnen, geht das tatsächlich meist auf das Konto der Hizbollah.

Längst warnen Experten, dass die Miliz keine Miliz mehr ist, sondern eine Armee, die den meisten Armeen der Region überlegen sei. Fraglos ist sie der schon immer schwachen libanesischen Armee haushoch überlegen. Aber nicht nur militärisch ist sie im Libanon die bestimmende Kraft. Seit Oktober 2016 ist einer ihrer Verbündeten dort auch Staatsoberhaupt. Nach zweieinhalb Jahren ohne Regierung und nach 44 gescheiterten Versuchen, eine solche zu wählen, setzte die Hizbollah ihren Kandidaten für die Präsidentschaft schließlich durch. Michel Aoun ist Vorsitzender der Freien Patriotischen Bewegung und Christ – Letzteres muss er im Libanon sein, um Präsident zu werden, so ist es verfassungsrechtlich festgelegt. Bis 2005 war er ­einer der größten Widersacher der syrischen Besatzung im Libanon und ­lebte im Exil. Als eine Million Libanesen auf die Straße gingen, um gegen die ­syrische Besatzung zu protestieren, kam er zurück und schloss sich dem Protest an. Doch dessen Anführer ließen ihn nicht mitspielen – jedenfalls nicht so, wie er es angemessen fand. Er wechselte daraufhin die Seiten und ist seitdem ein verlässlicher Verbündeter der Hizbollah und damit auch Syriens.

Inhaltlich passt das schlecht zusammen. Der CPM ist eher freiheitsliebend und christlich-nationalistisch. Aber beim Postenschacher ist im Libanon alles möglich. Ein weiterer Christenführer, Samir Geagea, ist zur Koalition von Hizbollah und Aoun-Front übergelaufen. Und so konnte Michel Aoun mit ganz knapper Mehrheit Präsident werden.
Für den Libanon war diese Wahl ein Novum, denn bisher waren Präsidenten Kompromisskandidaten. Die politische Polarisierung hat damit einen Höhepunkt erreicht. Aouns Kontrahent Saad Hariri von der »Zukunftsbewegung« wurde zwar im Gegenzug Ministerpräsident. Trotzdem ist die Wahl Aouns eine bittere Pille für die Gegner des syrischen Regimes, insbesondere für die Sunniten.

Doch auch innerhalb der Hizbollah-Aoun-Front gab es einigen Groll gegen die bedingungslose Unterstützung Assads. Der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, musste einige Mythen erfinden, um seine Anhänger zu überzeugen, dass der Weg nach Jeru­salem über Damaskus führt. Die Hizbollah ist schließlich in erster Linie eine antiisraelische Partei, gegründet 1982, um gegen die israelische Besatzung des Südlibanon vorzugehen – gern nennt sie sich schlicht »Der Widerstand«.

Seit die russische Luftwaffe das Assad-Regime tatkräftig unterstützt, ­haben die dadurch ermöglichten Siege den Missmut gelindert. Jeder ist gern auf der Gewinnerseite. Nun aber läuft die Hizbollah Gefahr im Syrien-Konflikt marginalisiert zu werden. Ihre Propaganda lautete bisher, sie bekämpfe takfiris (Extremisten von der Sorte des »Islamischen Staats«, die andere zu Ungläubigen erklären). Dass sie auch andere sunnitische Rebellen bekämpft, widerspricht ihren Grundsätzen, ihr ganzes Handeln hat sie von Anfang an mit dem Ziel »nationale Einheit« begründet – und die ist im Libanon wie in Syrien multikonfessionell.

Im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) spielt die Hizbollah aber kaum eine Rolle. Die internationale Anti-IS-Koalition setzt am Boden allein auf die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) unter Führung der kurdischen PYD. Anders als im Irak, wo schiitische Milizen beim Kampf gegen den IS zeitweise willkommen waren, war die Hizbollah nie ein geduldeter Partner der Koalition aus USA, Europa und Golfstaaten.

Während es so aussieht, als hätten sich alle beteiligten Mächte damit abgefunden, dass die Diktatur Assads vorerst bestehen bleibt, beginnen sie zugleich, die Verbündeten des Iran zurückzudrängen. Israel bombardiert seit längerem regelmäßig Stellungen. Die USA versuchen nun den iranischen Versuch zu unterbinden, eine direkte Route von Bagdad nach Damaskus unter iranische Kontrolle zu bringen: Am Dreiländer­eck Jordanien, Irak, Syrien bombardierten die USA im Mai einen Konvoi schiitischer Milizen. Wenn auch eine weitere weitgehend vom Iran kontrollierte Route, von Mossul über Deir ez-Zour, weiterhin offen bleibt, so scheint klar, dass die USA und Saudi-Arabien alles tun werden, um dem Iran nicht die Hausmacht in Syrien zu überlassen. Dafür spricht US-Präsident Donald Trumps antiiranische Rhetorik ebenso wie der Konflikt der übrigen Golfmonarchien mit Katar.

Hizbollah-Führer Nasrallah weiß, dass es Zeit wird, den geordneten Rückzug zu planen. Bisher hat er es gut verstanden, Niederlagen als große Siege zu verkaufen. So etwa 2006, als die Hiz­bollah israelische Soldaten entführte und so einen Krieg provozierte, bei dem über 1 000 Libanesen und 121 israelische Soldaten umkamen. Doch der Hizbollah gelang es, diese nationale Katastrophe zu einer David-gegen-Goliath-Heldengeschichte umzudichten. Die libanesischen Straßen waren gesäumt von Plakaten, auf denen »Sieg von Gott« (Nasr min Allah) stand, was nicht zufällig fast der Name des Hizbollah-Führers ist. Selten war die Zustimmung zur Hizbollah so hoch im ­Libanon wie nach diesem Krieg.

In Syrien lässt sich so etwas kaum inszenieren. Also geht es zurück zu den Wurzeln und man belebt das alte Feindbild Israel. Für einen Angriff auf Israel befindet sich bereits so einiges im Waffenarsenal, was zum Einsatz in ­Syrien ungeeignet ist, etwa Boden-See-Raketen. Ein neuerlicher Kurzkrieg könnte die eigenen Anhänger sammeln und zugleich die sunnitischen Extremisten vorführen. So könnte die Hizbollah doch noch einen Sieg über den IS davongetragen.