Beim Ego-Shooter »Strafe« fühlt man sich an die Neunziger erinnert

Brutal wie die Neunziger

Das Spiel »Strafe« versucht, dem guten, alten Ego-Shooter neues Leben einzuhauchen. Mit viel Blut und Gedärm auf dem Bildschirm erinnert man sich an früher – in einer Szene, die sich sonst lieber mit der Zukunft beschäftigt.
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Wer 1996 bereits zum Kreis der Computerspieler gehörte, dessen Augen dürften angesichts dieser Titel strahlen: »Duke Nukem 3D« und »Quake«. Vor über zwei Jahrzehnten haben diese beiden Ego-Shooter die Spielewelt revolutioniert. Die technischen Innovationen stellten alles zuvor Gesehene in den Schatten und sind bis heute stilprägend. Vom Rollenspiel-Blockbuster »Skyrim« bis zum Indie-Adventure »Gone Home« verwenden heute alle möglichen Nicht-Shooter ganz selbstverständlich die von »Quake« und Co. popularisierte Ego-Perspektive.

Dabei dominierte in diesem Bereich lange ein striktes Fortschrittsdenken. Jede Spieleveröffentlichung durfte zwar auf den alten Technolo­gien aufbauen, musste aber irgendetwas grundlegend besser machen als die Vorgänger, um als legitime Neuerscheinung gelten zu dürfen. Erschüttert wurde diese Herangehensweise erst knapp zehn Jahre nach »Quake«. 2006 eröffnete Nintendo den Online-Shop »Virtual Console«, auf dem sich Spieler die Nintendo-Klassiker zulegen konnten. In den ersten Monaten verkaufte Nintendo über zehn Millionen Spiele, die lange Zeit als unverkäufliche Software-Restbestände galten.

Gleichzeitig etablierte sich die Indie-Szene und schuf, im Schatten der großen Studios, in kleinen Teams neue Spiele. Der Rückgriff auf altbewährte Darstellungsformen war dabei zunächst nur den Produktionsumständen geschuldet. Wer sämtliche Graphiken selbst zeichnen möchte, muss zwangsläufig mit groben Pixeln und Klötzen Vorlieb nehmen, sonst wird das Spiel nie fertig. Was Nintendo und Indies gleichzeitig lernten: Pixeloptik verkauft sich auch im 21. Jahrhundert noch gut.

Mit dem Ego-Shooter »Strafe« ist eine neue Stufe des Retrotrends erreicht. »Die Zukunft der Videospiele: der schnellste, blutigste, tödlichste, actionreichste First-Person-Shooter des Jahres 1996«, versprach der Entwickler Pixel Titans. Allein für diese Verheißung kamen 207 847 US-Dollar auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter zusammen. 1996-Shooter, das ist zu einem Markenzeichen geworden, look and feel erinnern unweigerlich an Games wie »Doom«, »Star Wars: Dark Forces« und »Quake«.

Das englische Verb to strafe bedeutet beschießen. In der Welt der Ego-Shooter bezeichnet das sogenannte Strafen die Bewegung, bei der die Spielfigur zur Seite ausweicht und weiterhin den Gegner im Visier hat. Das Spiel »Strafe« lässt sich außerdem in der Tradition finsterer der deutschen Sprache entlehnter Shooter-Titel wie »Wolfenstein« oder »Hexen« sehen. Grob gerenderte Polygone und pixelige Texturen erlauben eine optische Zeitreise.

Mit »Strafe« wird sich das Genre des Ego-Shooters seiner eigenen Ursprünge bewusst. Für großes Auf­sehen sorgte ein in originalgetreuer VHS-Optik gestalteter Youtube-Trailer, in dem ein kleiner Junge im Kinderzimmer von seinem mausgrauen Rechner in die Gewalthölle des Shooters gezogen wird. Das mag skurril klingen. Doch wer sich Mitte der Neunziger über das elterliche Verbot hinwegsetzte und heimlich »Quake« auf dem Familienrechner spielte, dürfte sich ziemlich ähnlich gefühlt haben.
Speziell für die Fachpresse im Games-Bereich waren Retrophänomene lange Zeit eine Herausforderung. ­Erwachsen aus der Tradition der Software-Kaufberatung in Technikzeitschriften, verstehen sich bis heute viele Spielejournalisten eher als Teil der Videospielbranche und nicht der Presse. Mit pseudowissenschaftlichen Wertungssystemen werden Spiele mit Blick auf messbare Zahlenwerte auseinandergenommen, wie Autos von Motorjournalisten. Der Verzicht auf zeitgemäße Technik wirkt aus dieser Perspektive absurd bis betrügerisch, als würde VW einen neuen Golf mit dem Motor des ersten Käfermodells bauen. Würde der Rolling Stone so Platten bewerten, das Folk-Revival nach der Jahrtausendwende wäre einem erspart geblieben.

Auf kluge und nicht selten polemisch zugespitzte Weise wird diese Entwicklung seit vielen Jahren auf dem Indie-Games-Blog Superlevel kritisiert. Erstaunlich ist, was Superlevel-Chefredakteur Fabu nun anlässlich von »Strafe« ssagt: »Kennt ihr diese coolen Kids, die Nirvana-Shirts tragen, obwohl sie am Todestag von Kurt Cobain noch gar nicht geboren waren? Das ist ›Strafe‹. Ein spielgewordenes Hörensagen von Kult.« Der popkulturelle Vergleich ist aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen spricht er heute 17jährigen ab, die Musik von Nirvana wertschätzen zu können. Zum anderen ist gerade die Popmusik ein Genre, das von der permanenten Rückbesinnung auf frühere Stile am Leben gehalten wird. Als Neil Young erstmals mit der für den Sound von Nirvana so wichtigen Band Crazy Horse auf Tour ging, war Kurt Cobain selbst noch ein Kleinkind. Während also die Popkultur in Zeiten von Musikerinnen und Musikern wie Pokey LaFarge oder Amy Winehouse und Bands wie Scott Brad­lee’s Postmodern Jukebox den Authentizitätskult langsam zu überwinden scheint, setzt er im Gaming mit »Strafe« erst ein.

So wie eine gute Rap-Platte »freshe« Beats braucht, lebt ein Ego-Shooter von Waffen, die sich mächtig anfühlen.

Dazu passt eine Kritik auf Euro­gamer, verfasst von Ian Higton, dem Youtube-Redakteur der Games-Website. Er bemängelt unter anderem, dass die Schrotflinte in »Strafe« nicht meaty and brutal genug klinge. Was für Außenstehende bizarr wirken mag, ist für Shooter-Fans ein wichtiger Punkt. So wie eine gute Rap-Platte freshe Beats braucht, lebt ein Ego-Shooter von Waffen, die sich mächtig anfühlen. Higton bezieht sich auf die Genre-Klassiker »Doom« und »Duke Nukem 3D«. Wer sich deren Flinten auf einem heutigen Rechner anhört, muss zustimmen: Die Waffen klingen tief und brutal. Durch die lächerlichen Computerlautsprecher, die damals noch üblich waren, klang jedoch gar nichts meaty and brutal. Die verzerrte Erinnerung an die goldene Zeit des Genres aktualisiert den technischen Standard: Zahlreiche Fans beschwerten sich aus ähnlichen Gründen, bis ein Update vorgenommen wurde und die Waffensounds von »Strafe« schließlich tiefer gestimmt wurden.

Stilistisch setzt das Spiel, wie seine Vorbilder aus den neunziger Jahren, auf extreme Gewaltdarstellung und finstere Horrorästhetik. Was psychologisch durchaus interessant ist, denn Stilmittel, die pubertierenden Gamern Mitte der Neunziger ­ermöglichten, sich erwachsen zu fühlen, versetzen dieselben Personen, heute etwa Mitte 30, in ihre vermeintlich unbeschwerte Jugend zurück. Wie viele allzu nostalgische Projekte scheitert auch dieses. Nach heutigem Standard sorgen dumme Gegner und ein vergleichsweise hoher Schwierigkeitsgrad für Frust. Wer sich die Neunziger in all ihrer Begrenztheit zurückwünscht, stößt sich dagegen an Neuerungen wie Levels aus dem Zufallsgenerator und einem Crafting-System, das herumliegenden Schrott in Waffen und Munition verwandelt.

So manche Besprechung des Spiels beklagt implizit, dass »Strafe« trotz großen Aufwands keinem Spieler die Neunziger mitsamt der Jugend zurückzubringen vermag. Die Hommage funktioniert also nicht. Willkommen in der Welt der Erwachsenen! Da waren die »Quake«-Erfinder bei Id-Software klüger, die in den vergangenen Jahren ihre alten Marken »Wolfenstein«, »Doom« und »Quake« als technisch zeitgemäße Variationen über nostalgische Themen wieder auferstehen ließen. Als Unterhaltungsprodukt mag »Strafe« gescheitert sein, als Meilenstein der Erinnerungskultur im Shooter-Genre wird man sich aber noch lange daran erinnern.