Der androgyne Gangsta-Rapper Young Thug

Der Gangster im Rüschenkleid

Mit »Beautiful Thugger Girls« veröffentlicht der Rapper Young Thug ein weiteres Mixtape.

Weite Hosen, Machismo, allerlei Drohgebärden, andere niedermachen – erst verbal, dann werden auch Waffen gezückt. Yo! Bamm! Bamm! Das Klischee des Rappers hält sich hartnäckig; vor allem unter den Musikfans, die HipHop eher im Vorbeigehen zur Kenntnis nehmen, zwischen den guten alten Rockplatten aus den sechziger Jahren.

Auch Jeffery Williams ist ein Rapper. Er trägt hellblaue Rüschenkleider, bauchfreie Tops zu Hotpants, rot ­gefärbte Braids und Nasenringe. Ausgeblichene Tattoos zieren sein Gesicht. Er krächzt, nähert sich in seiner Musik der Emotionalität modernem R’n’B und erzählt trotzdem von Waffen, die abgefeuert werden, weil einem nichts anderes übrig zu bleiben scheint.

Williams gilt als einer der wichtigsten US-amerikanischen Rapper dieses Jahrzehnts. Als Young Thug hat er in Atlanta den Trap-Sound mitgeprägt und so offensiv wie kein anderer Rapper mit sämtlichen ­Szeneklischees gebrochen. Dass er unter anderem neben Frank Ocean mal zum Vorzeigekünstler für Toleranz in der Werbekampagne einer großen Modemarke werden würde, darüber hätte er vor einer Weile vermutlich genauso gelacht wie über das leidige Stereo­typ des Dumpfbacken-Rappers.

Williams ist keiner, der in seinen Texten Themen intellektuell ausleuchtet. Ein politischer Prediger ist er auch nicht. Trotzdem spricht er Dinge an, die die Szene nachhaltig verändern. »Man kann ein Gangster im Kleid sein, ein Gangster mit Baggy-Pants – mir kommt es so vor, als gäbe es Gender überhaupt nicht«, sagte er im Zuge der Kampagne 2016. Das saß. Auf dem Cover seines Mix­tapes »Jeffery« ist er im selben Jahr im hellblauen Kleid zu sehen.

Lange bevor Williams zu Young Thug wurde, lebte er die Bedeutung seines Künstlernamens aus. Er war ein junger Gangster aus Jonesboro South, einer Sozialbausiedlung 30 Kilometer südlich von Atlanta, die mittlerweile abgerissen ist. Williams wuchs als eines von elf Geschwistern auf. Einmal überfiel er ein Nagelstudio, dann wurde sein großer Bruder direkt vor der eigenen Haustür erschossen. Die Lebensumstände waren desolat, Trap half ihm aus der Mi­sere. Eigentlich verwenden Drogendealer den Begriff für einen Umschlagplatz in gekaperten Häusern. Doch Trap bezeichnet eben auch jenen heterogenen HipHop-Sound, der in den vergangenen Jahren immer populärer geworden ist.

Synthetische 808-Drums klackern unter Geräuschen, die sich wie polyphone Klingeltöne klingen und mit naiven Synth-Loops verwoben werden. Auf ausgefeilte Erzählungen, wie man sie in jüngster Vergangenheit etwa bei HipHop-Superstar Kendrick Lamar gehört hat, verzichtet man. Stattdessen werden Slang-Ausdrücke hintereinander weggenuschelt und Passagen wiederholt, als singe man sich in Trance. In der Szene experimentiert man mit verschreibungspflichtigem Hustensaft experimentiert, wegen des Kodeins, das er ­enthält. Trap ist neben der Spur, ein Spaßtrip der gesellschaftlich isolierten schwarzen Bevölkerung in den Projects. Am wirrsten von allen wütet Young Thug über den Beats. Das war bereits 2011 abzusehen, als er sein erstes Mixtape, also eine Ansammlung rasch aufgenommener Songs, im Internet veröffentlichte. Der programmatische Titel des Tapes lautete »I Came from Nothing«. Williams pöbelte und polterte in seinen Texten und brach immer wieder in einen krächzenden Gesang aus, der zwischen den Oktaven oszillierte.

Seine Stimme, die er bis zur Heiserkeit malträtiert und der jede Verständlichkeit abhanden gekommen ist, ist zu Williams’ Markenzeichen geworden. Die meist einfach gehaltenen Loops im Hintergrund ändern nichts daran, dass seine Musik immer hibbelig wirkt. Das liegt auch an den Aufnahmebedingungen: Williams schreibt keine Texte. »Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt noch schreiben kann«, sagte er mal in einem Interview. Dementsprechend impulsiv klingt das ganze, nach ADHS-Freestyles, die spontan mitgeschnitten werden. Bis zu 25 Stücke entstehen so pro Woche. Williams’ Gedankenwelt hat sich bisher auf unzähligen Mixtapes entladen, ein Debütalbum steht weiterhin aus.

Für die öffentliche Wahrnehmung spielen Williams’ Texte keine große Rolle. Entschlüsseln lassen sie sich ohnehin kaum. Entscheidend ist, dass Young Thug Offenheit und Toleranz glaubhaft verkörpert. Er hat keine Proseminare in Gender Studies besucht und seine Biographie deutet darauf hin, dass Uneindeutigkeit und Emotionalität nicht unbedingt zu den vorteilhaften Strategien in seiner Umgebung zählten. Trotzdem: Alle sollen sich so kleiden, wie sie wollen, künstlerisch und im Spiel der Identitäten ist alles erlaubt. Williams singt in seinen Songs zwar häufig darüber, wie er Frauen zum Orgasmus bringt – trägt dabei aber ein ­Rüschenkleid. Gewissermaßen ist er ein Gegenentwurf zu Chiron, dem homosexuellen Protagonisten in Barry Jenkins’ Film »Moonlight«. Auch der schwarze Chiron wächst in einem benachteiligten Bezirk auf, allerdings versteckt er seinen sensiblen Charakter und seine sexuelle Neigung hinter einer harten Fassade. Chiron wird schließlich zum Gangster. Und unglücklich. Die Umstände lassen Ehrlichkeit und Offenheit nicht zu, der Mut fehlt.
Wie ist Williams gegen die Ressentiments vorgegangen? Man könnte sagen, er hat sie weggesungen. Sein im Juni erschienenes Mixtape »Beau­tiful Thugger Girls« offenbart eine neue Facette des Trap-Sounds. Young Thug macht jetzt synthetischen Space-Country. Geloopte Akustik­gitarren schieben sich vor zeternde Subbässe. Das klingt so fröhlich wie selbstbewusst und hat mit gängigen Vorstellungen von Rap kaum mehr etwas gemein. Young Thug zelebriert den steten Wandel und verleiht Rap immer wieder neue Formen.

Young Thug: Beautiful Thugger Girls (­Atlantic)