In Göttingen sammelte die Polizei ohne Rechtsgrundlage jahrelang Daten über Linke

Staat schützen, Akten vernichten

In Göttingen soll die Polizei jahrelang ohne Rechtsgrundlage Daten über mutmaßliche Linke gesammelt haben. Nun sind die Akten ­angeblich vernichtet worden.

Im Fachkommissariat 4 der Göttinger Polizeiinspektion dürfte man in den vergangenen zwei Wochen gehörig ins Schwitzen gekommen sein – nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen in Südniedersachsen. Seit dem Freitag vorvergangener Woche steht die Abteilung plötzlich im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Von einer illegalen Datenerhebung der Beamten etwa schrieb Spiegel Online, die Taz titelte gar über die »Schnüffler vom Kommissariat 4«. Das Fachkommissariat 4 ist in Göttingen der polizeiliche Staatsschutz und ermittelt in der Regel hinter verschlossenen Türen. Dass über Recht und Gesetz dabei auch einmal hinweggesehen worden sein könnte, ist nun durch einen Querschläger in den eigenen Reihen bekannt geworden.

Ein ehemaliger Staatsschutzbeamter hatte während seiner Tätigkeit nach ­eigenen Angaben immer wieder gegen eine unzulässige interne Datensammlung protestiert und einzelne Seiten zu Beweiszwecken kopiert. Als die Polizei nach seiner Pensionierung ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anstrebte und unterstellte, er wolle mit den Dokumenten eine nachträgliche Beförderung erpressen, besorgte er sich anwaltlichen Beistand. Im Zuge der Auseinandersetzung ist nun das gesamte Ausmaß der Praxis beim Staatsschutz deutlich geworden. Offenbar haben die Beamten über Jahre hinweg eine umfassende Kartei all jener angelegt, die sie der lokalen linken Szene zurechnen. Insgesamt fünf Aktenordner seien mit steckbrieflichen Angaben, Einschätzungen zu politischen Aktivitäten und auch zahlreichen Alltagsbeobachtungen über Hunderte vermeintliche Linke gefüllt worden, berichtete der Spiegel. Eine rechtliche Grundlage für dieses Vorgehen existierte nicht.

Sven Adam ist einer von zwei Anwälten des ehemaligen Staatsschutzbeamten und hat Einsicht in Teile der frag­lichen Datensammlung. »Scheinbar beliebig und wahllos hat man zusammengetragen, was man in die Finger bekommen hat und wo man jemanden zu kennen glaubte«, sagte er der Jungle World. Auszüge aus dem Register des Einwohnermeldeamts seien etwa um private Facebook-Fotos oder handschriftliche Spekulationen über Zugehörigkeiten zu politischen Gruppen ergänzt worden. Um in der Akte zu landen, bedurfte es allem Anschein nach nicht viel; eine Person etwa scheint als Sänger einer Göttinger Punkband ins Visier der Fahnder geraten zu sein. Dass dennoch sämtliche Betroffene mit dem Kürzel »LIMO«, also als »Straftäter, politisch links motiviert«, verschlagwortet wurden, spricht mutmaßlich Bände über die politische Einstellung der zuständigen Polizeiinspektion.
Daneben liegen dem Anwalt auch Bilder einer weiteren Fotosammlung und Teile des internen E-Mail-Verkehrs der Staatsschützer vor. Darin sei zu ­erkennen, dass die Beamten sich regelmäßig über Aufenthaltsorte und Wege von als solchen ausgemachten Mitgliedern der linken Szene ausgetauscht ­haben. »Das deutet fast auf die Erstellung von Bewegungsprofilen einzelner Personen hin«, meint Adam. Gemeinsam mit über einem Dutzend Betroffener hat er Klage eingereicht und möchte die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens erwirken.

Wessen Name mit welchen Angaben in der Kartei auftaucht, ist bislang ungeklärt. Der pensionierte Staatsschutzbeamte hatte lediglich die jeweils erste und letzte Seite eines Ordners kopiert. So hat es Eric Angermann seinem Nachnamen zu verdanken, dass er nun weiß, dass die Polizei ihn bereits vor Jahren auf einer Demonstration fotografierte. Besonders überrascht darüber zeigte er sich im Gespräch mit der Jungle World nicht. »Trotzdem freut es mich, dass diese Praxis nun ans Licht gekommen ist«, so Angermann. »Vielleicht erfährt man ja noch mehr über die Bespitzelung linker Aktivistinnen und Aktivisten.«

Dagegen dürfte der Göttinger Staatsschutz allerdings bereits vorgesorgt haben. Zwar kündigte der Polizeipräsident eine »lückenlose Aufklärung des Sachverhaltes« an. Die betreffenden Unterlagen seien aber bereits vernichtet worden. Nachdem zunächst unklar war, wann dies geschehen sein soll, ließ die Polizei am Freitag vergangener Woche verlauten, Mitarbeiter des Staatsschutzes hätten die Akten bereits vor einem Jahr »aus eigenem Antrieb und vollständig« zerstört.

Sven Adam wollte sich damit nicht zufriedengeben und beantragte die Herausgabe der entsprechenden Protokolle. Dass die Kartei einfach vernichtet worden sein soll, konnte er nicht glauben, zumal sie im Verfahren gegen den ehemaligen Staatsschutzbeamten eine wichtige Rolle spiele. Er habe deshalb unter anderem Strafanzeige wegen versuchter Beweismittelunterdrückung gestellt. Doch die Staatsanwaltschaft sah keinen Anfangsverdacht und hat deshalb keine Ermittlungen aufgenommen.

Antifaschistische Gruppen wiesen unterdessen darauf hin, dass die Überwachung von Linken in der Stadt geradezu Tradition habe. Bereits in den achtziger Jahren waren zahlreiche gesellschaftlich und politisch Aktive in den sogenannten Spurendokumentationsdateien gelandet – damals wie heute ohne ermittlungsrechtliche Grundlage. Auch diese Daten sollten nach heftigen öffentlichen Protesten bereits 1983 gelöscht worden sein, tauchten aber Ende der neunziger Jahre in der exakt gleichen Form wieder auf. Die illegale Datensammlung des Göttinger Staatsschutzes dürfte vor diesem Hintergrund noch ein wenig mehr zum Misstrauen beitragen.