Der Machtkampf in Venezuela

Vaterland oder Tod

Opposition und Regierung lassen ihren Konflikt in Venezuela weiter eskalieren.
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»Fünf Dinge, die an einem Tag passieren können«, titelte die BBC am Mittwoch vergangener Woche, selbst überrascht, wie rasant sich der Konflikt in Venezuela verschärft. Einen Tag zuvor hatte die dortige politische und gesellschaftliche Krise einen neuen Tiefpunkt erreicht. Neben erneuten Ausschreitungen und Plünderungen sowie der Absetzung einer regierungskritischen Staatsanwältin waren es vor allem drei Ereignisse, die verdeutlichten, wie schnell die Eskalation in dem südamerikanischen Land derzeit voranschreitet.

Zum einen war da der bewaffnete Angriff auf staatliche Institutionen in der Hauptstadt Caracas. Mehrere Personen attackierten aus einem Polizeihubschrauber heraus den Obersten Gerichtshof sowie das Innenministerium mit Granaten und Schüssen. Verletzt wurde niemand bei dem Hubschrauberangriff, der von der Selbstinszenierung auf Instagram bis zur dilettantischen Ausführung eher einer schlechten Rambo-Kopie ähnelte. Präsident Nicolás Maduro ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, direkt danach von einem Putschversuch zu sprechen. Er selbst hatte, das war das zweite besorgniserregende Ereignis des Tages, erst wenige Stunden zuvor Gewalt als Mittel der Politik ins Spiel gebracht. Das Vaterland und die Bolivarische Revolution werde man auch mit Waffen verteidigen, wenn es nötig sei und die Wählerstimmen dafür nicht ausreichten, verkündete Maduro in einer Ansprache. Oppositionsführer Henrique Capriles nannte dies eine »Kriegserklärung an alle Venezolaner«. Was Gewalt und Pathos betrifft, nehmen sich Regierung und Opposition nicht viel. Die Sorge aber wächst, dass den Worten Taten folgen. Nicht zu Unrecht, wie auch das dritte Ereignis des Tages zeigte: Eine Sitzung Parlaments, in dem die Opposition über die Mehrheit verfügt, wurde erst von der Nationalgarde unterbrochen und dann von Anhängern der Regierung gestürmt.

Bei den Protesten gegen die Nahrungsmittelknappheit und die Repression sind bereits über 80 Menschen ums Leben gekommen – gestorben bei Plünderungen, erschossen von Ordnungskräften und regierungstreuen colectivos oder gelyncht von einem Mob Oppositioneller. Und es ist kein Ende in Sicht. Ganz im Gegenteil bringt Maduro mit seiner autoritären Krisenverwaltung jeden Tag mehr ehemalige Weggefährten gegen sich auf. So wie auch Heinz Dieterich, den Namensgeber des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« und langjährigen engen Vertrauten des verstorbenen comandante Hugo Chávez. Dieterich sprach vergangene Woche im Interview mit der »Tagesschau« von einer »steigenden Temperatur des Widerstandes, die auf eines hinausläuft: Militärputsch oder Bürgerkrieg«.

Tatsächlich erscheint ein offener bewaffneter Konflikt jeden Tag wahrscheinlicher. Maduro wird seine Macht – oder die »Revolution«, wie er es nennt – nicht kampflos aufgeben, wie er in seiner Ansprache unmissverständlich klar gemacht hat. Die Opposition wiederum wird ihre Proteste nicht beenden, solange die Krise anhält und die Regierung sich weigert, diese anzuerkennen – und damit auch die Tatsache, dass eben nicht die ganze Bevölkerung hinter ihr steht. Wie der Konflikt auch ausgehen wird, den Preis wird vor allem die einfache Bevölkerung zahlen. Der autoritäre Kurs der »sozialistischen« Regierung erleichtert es der Opposition, der selbst viele autoritäre Kräfte angehören, sich als demokratische Bewegung zu präsentieren. Ein Konzept, wie die anhaltende humanitäre Katastrophe beendet werden kann, hat diese aber auch nicht vorzuweisen.