Die Linke und das Recht, Teil 7: ­Präventionslogik

Schattenseiten der Präventionslogik

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 7

linkerechtFrüher hatte der Begriff der Prävention noch einen anderen, eher linken Klang. In den siebziger Jahren begann man in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung, Soziologie verstärkt einzubinden, ­Modellfakultäten entstanden. Aber auch an den traditionellen Fakultäten fanden sich mehr und mehr soziologische Veranstaltungen, so auch im Strafrecht. Hier sollten die Bedingungen erforscht werden, unter denen Straftaten entstehen, und Mittel gefunden werden, wie man mit Hilfe des Rechts die Bedingungen so verändern kann, dass weniger Taten anfallen – Prävention eben.

Wenn wir heute über Prävention reden, geht es meist um andere Dinge. Polizei und Geheimdienste erhalten seit Jahren immer mehr Befugnisse; elektronische Fußfesseln sollen sie einsetzen dürfen, ­Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, Überwachungssoftware auf Smartphones und anderen Computern und obendrein geistert jetzt noch ein weiterer Begriff durch die Medienlandschaft: die »Unendlichkeitshaft«. »Bayern führt die Unendlichkeitshaft ein«, war unter anderem in der Süddeutschen Zeitung (SZ) zu lesen. Was steckt dahinter? Zunächst handelt es sich um einen Gegenstand des ­Polizeirechts, nämlich den sogenannten Unterbindungsgewahrsam. Mit diesem soll die Polizei eine unmittelbar bevorstehende Straftat dadurch verhindern, dass sie die entsprechende Person einsperrt. Alle Polizeigesetze der Bundesländer kennen einen solchen Unterbindungsgewahrsam, in allen muss dieser durch ein ­Gericht bestätigt werden. In den meisten Bundesländern gibt es eine gesetzliche Höchstfrist für eine solche Freiheitsentziehung. In ­Berlin beträgt diese vier Tage, in Bayern bislang zwei Wochen. In Bremen und Schleswig-Holstein gibt es keine gesetzliche Regelung der Frist; in Bremen beträgt die Frist in der bisherigen Praxis zehn Tage, so soll sie auch gesetzlich festgeschrieben werden.
Bayern geht nun den umgekehrten Weg und hebt die ohnehin lange Frist von 14 Tagen auf. Hintergrund ist die Debatte über sogenannte terroristische Gefährder und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz, das dem Gesetzgeber mehr Spielraum im Bereich Terrorbekämpfung einräumte. Aber führt das nun dazu, dass eine Freiheitsentziehung ohne jede Höchstfrist ­quasi unbegrenzt andauern kann? Der SZ-Kommentator Heribert Prantl befürchtet genau das, denn »die richterliche Kontrolle ist sehr unzureichend«. Doch klar ist, dass eine solche Maßnahme unverhältnismäßig und rechtswidrig wäre. Es war nicht ohne Grund so, dass die Verwaltungspraxis in Bremen eben doch zu einer Höchstfrist tendierte. Ab einem bestimmten Punkt ziehen die Gerichte die Notbremse und die Verwaltung passt sich an.

Zwar gibt es Freiheitsentziehungen, die potentiell unendlich lange dauern können, allerdings nicht im Polizeirecht. Beispielsweise kennt das Strafrecht das Mittel der Sicherungsverwahrung. Bekannt wurde es einer größeren Öffentlichkeit, als im Jahr 2001 der da­malige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) unter dem Motto »Wegschließen – und zwar für immer« ein härteres Vorgehen ­gegen Sexualstraftäter, die Kinder missbraucht hatten, ankündigte. Sicherungsverwahrung ist letztlich eine weitere Freiheitsentziehung nach verbüßter Haftstrafe bei Tätern, die als besonders gefährlich eingestuft werden. Diese Möglichkeit wurde nach und nach ausgebaut, Höchstfristen wurden abgeschafft. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diesen Ausbau zunächst nicht beanstandet hatte, entschied 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Abschaffung der Höchstfrist von zehn Jahren bei Straftaten, die vor der Gesetzesänderung begangen worden waren, gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Außerdem ordnete das Urteil die Sicherungsverwahrung als Strafe ein, da sie wie eine Strafe vollzogen werde. Das Bundes­verfassungsgericht passte seine Rechtsprechung in der Folge dementsprechend an. 2016 allerdings relativierte der EGMR sein Urteil von 2009. Die geänderten Regelungen zur rückwirkend verlängerten Sicherheitsverwahrung in Zusammenhang mit dem deutschen Therapieunterbringungsgesetz verstießen nicht mehr gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die Sicherungsverwahrung sei je nach Einzelfall nicht als Strafe zu werten. Die Sicherungsverwahrung gibt es noch immer, sie wird nur nicht mehr so häufig verhängt und immer wieder wird, oft gegen örtliche Proteste, auch jemand aus ihr entlassen.

Was haben nun die Sicherungsverwahrung und der Unterbindungsgewahrsam bei terroristischen Gefährdern gemeinsam? Die Sicherungsverwahrung wird in der Gesellschaft fast ausschließlich mit Sexualstraftätern in Verbindung gebracht – dieser Komplex ist gesellschaftlich ähnlich geächtet wie islamistischer Terrorismus. Weite Teile der Bevölkerung verlangen in beiden Bereichen nach mehr Sicherheit und sind weniger bereit, Restrisiken in Kauf zu nehmen. Viele Politiker sind immer mehr geneigt, diesbezüglich große Versprechungen zu machen. Gerade im Bereich des islamis­tischen Terrorismus geht die Debatte in eine Richtung, die nichts mehr mit grundrechtsorientierter Politik zu tun hat. Es ist zwar ­davon auszugehen, dass die Rechtsprechung Schranken setzen wird. Beobachtet man allerdings, wie sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich Überwachung entwickelt hat, weiß man, dass sich diese Schranken verschieben lassen – ­Gesetz um Gesetz.