Die Radikalität der Downtown Boys

Nichts fürs linke Bierzelt

»Cost of Living«, das neue Album der Downtown Boys, klingt mit jeder Note nach unbezähmbarer Radikalität und ist dennoch gut verdaulich.

Anders als man es vielleicht erwarten würde, besteht die Gruppe Downtown Boys keineswegs nur aus Boys. Sie ist ein bunter, queerer Haufen und konterkariert mit ihrer Namenswahl erfolgreich die unsägliche Mode, dass superironische Jungsbands ihr Image mit einem »Girls« oder Artverwandtem im Namen aufpeppen. Viel mehr zählt aber, dass das Quintett aus Providence (Rhode Island) ­neben den Priests das Aufregendste sind, was einem aus dem Punkrock-Untergrund derzeit zu Gehör kommen kann. Ihr drittes Album erscheint nicht mehr in Eigenregie wie das Debütalbum von 2012 oder auf ­einem obskuren Kleinstlabel wie dessen Nachfolger »Full Communism« von 2015. Nein, »Cost of Living«, das neue Werk der Downtown Boys, ist bei Sub Pop Records herausgekommen, einem Label, das in dem Ruf steht, sich genau solcher Ausnahmebands anzunehmen wie zuletzt Pissed Jeans oder Metz.

In den Vereinigten Staaten scheint es so weit zu sein, dass endlich auch im Punk die Dominanz der weißen Jungs schwindet. Wer hätte das gedacht?

Die musikalische Grundformel der Downtown Boys besteht aus ­rohem, schnellem, schnörkellosem Punkrock klassischer Prägung. ­Hervorragend arrangierte Saxophon-Parts und die pampige, furios-­angepisste Intona­tion der Sängerin ­Victoria Ruiz lassen an Bands wie ­X-Ray Spex denken, ­allerdings fehlt den Downtown Boys noch ein wenig deren schütteliger Charme.

Sie sind roher, erdiger, etwas knorrig, ja, sie mögen sogar Bruce Springsteen. Andererseits betreiben die beiden ­prominentesten Bandmitglieder – neben Victoria Ruiz ist das Gitarrist Joey La Neve DeFrancesco – auch das Cumbia-Projekt Malportado Kids. Diese eher subtile ­Verwandtschaft trägt wohl dazu bei, dass die Downtown Boys nicht im selben linken Bierzelt werden auftreten müssen wie etwa Feine Sahne Fischfilet. Trotz hervorstechender Bläsersektion verkneift sich die Band glücklicherweise auch jeglichen Ausflug in Ska-Gefilde.

Für Hardcore-Nerds dürfte obendrein interessant sein, dass Fugazi-Mitglied Guy Picciotto das neue ­Album produziert hat. Im Vergleich zu den vorherigen Veröffentlichungen fällt »Cost of Living« zwar etwas braver aus, doch andererseits wäre es ja auch tragisch, wenn die Band stagnieren und ihr Rezept nicht um neue Nuancen erweitern würde. Und das Charisma der Downtown Boys ist mit der neuen Platte unbestritten gewachsen. Mit Songs wie »The Wall« oder »Somos Chulas (No Somos Pendejas)« könnte die Band zu etwas werden, was The Clash einst für die Punkszene der späten Siebziger ­waren.

Die Downtown Boys definieren sich zwar einerseits über die Wut und ­Aggression, die das Genre ausmachen. Viel wichtiger aber ist ihre Bezugnahme auf ihren Status als nichtweiße Outsider. Noch oder gerade heut­zutage ist es mit Sicherheit weitaus mehr Punk, in vielen Stadtbezirken der westlichen Welt ein schwarzer Teenie zu sein, denn als weißes ­Mittelstandskind mit Unfrisur und Hoodie gegen das eigene Milieu ­anzustinken. Nichtweiße Musikerinnen und Musiker sind unbequem by design, nicht weil sie es sich aussuchen.

Ruiz verficht neben ihren feministischen und antikolonialistischen Anliegen kompromisslos »Chicana Pride«. Sie nimmt keine Rücksicht auf »weiße Tränen«, was sich unüberhörbar in ihren Texten niederschlägt. Wie viele andere musste sie Kritik am Rassismus im eigenen Umfeld zu oft zurückhalten, aus falscher Rücksicht auf weiße Bündnispartner. Es ist nachvollziehbar, dass man irgendwann die Schnauze voll hat, wenn man bei jedem Halt an der Tanke und bei jedem Zusammentreffen mit der Polizei aufeinander achtgeben muss, während sich pri­vilegiertere Bands darauf konzentrieren können, Snacks zu kaufen oder schlicht zu saufen. Dass man sich mit dieser Position nicht nur Freunde macht, liegt auf der Hand, aber da hilft es eben auch, Punk zu sein.

Die Downtown Boys stehen in einer langen Tradition der US-amerikanischen Subkultur – nur dass im Punk von Anfang an die schwarzen An­teile eher ignoriert als gepflegt wurden. Ein paar der auf Spanisch gesungenen Songs erinnern nicht zufällig an den euphorischen Hardcorepunk der kalifornischen Latino-Punk-Pioniere Los Crudos, und das vor gut zwanzig Jahren komplett ­spanisch eingesungene Trötenpunk-­Album »Firme« der Voodoo Glow Skulls wird das eine oder andere Bandmitglied sicher im Schrank ­haben. In Zeiten von Afropunk-Festivals und immer deutlicher vernehmbaren queeren und feministischen Stimmen im Rap scheint es zumindest in den Vereinigten Staaten so weit zu sein, dass endlich im Punk die Dominanz der weißen Jungs schwindet. Wer hätte das gedacht?

Schon lange bevor sie die Band gründeten, traten die Mitglieder der Downtown Boys politisch sehr aktiv auf, das, was sie propagieren, ist demnach kein Lippenbekenntnis oder folgenlose Parolendrescherei. Als Anekdote sei hier erwähnt, wie Gitarrist Joey La Neve DeFrancesco im Jahr 2011 mehr als fünf Millionen Klicks für ein Youtube-Video erhielt, das zeigt, wie er im Flur eines für seine miserablen Arbeitsbedingungen berüchtigten Bostoner Hotels seinem Chef die Kündigung überreicht, um dann in Begleitung einer zwölfköp­figen Marching Band stolz hinauszuschreiten.

Die Band macht auch sonst keinen Hehl aus ihrer Radikalität, der Titel der 2015 erschienenen LP »Full Communism« lässt keine Fragen offen. Leider bleibt ein so deutliches Bekenntnis in der Popkultur heutzutage eher unpopulär. Allerdings sind bislang die meisten Versuche, Kommunismus in verdaulicher musika­lischer Form anzupreisen, gescheitert. Vielleicht sind die Redskins, eine kurzlebige englische Skinhead-Soul-Band, die in den frühen Thatcher-Jahren vor Tausenden streikenden Minenarbeitern spielte, sogar die Einzigen, denen ein solches Vor­haben jemals gelungen ist, auch wenn Hannes-Wader-Fans dies nicht gern hören mögen. Um es mit den Worten von Dirk von Lowtzow zu sagen: Ich weiß, sie singen nicht für mich. Aber lange nicht mehr klang Kritik am ­alltäglichen Rassismus, an white supremacy und der beknackten Gesamtlage so überzeugend und mitreißend wie auf »Cost Of Living«.

Downtown Boys: Cost of Living (Sub Pop)