Anbau und Schmuggel von Cannabis sollen künftig stärker verfolgt werden

Zu grün für die EU

Albanien ist der größte Produzent von Marihuana in Europa. Die riesigen Plantagen in den Bergen sehen wunderschön aus, sind aber ein Hindernis für den EU-Beitritt.

Lazarat ist ein kleines Dorf in den südalbanischen Bergen nahe der Grenze zu Griechenland. Da die benachbarte »Stadt der Steine«, Gjirokastra, eine Touristenattraktion und Unesco-Weltkulturerbe ist, hat sich lange Zeit niemand für das Dorf und seine 3 000 Einwohner interessiert. Bis es an einem Tag im Juni 2014 für kurze Zeit weltweite Berühmtheit erlangte. Fast 1 000 schwerbewaffnete Sondereinsatzkräfte der Polizei rückten an, um den Ort einzunehmen und das Tal wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen. Denn Lazarat war das Zentrum der albanischen Cannabisproduktion, jährlich wurden dort in aller Öffentlichkeit schätzungsweise 900 Tonnen Marihuana produziert. Die Produzenten verteidigten sich und ihre Ernte mit Maschinengewehren, Panzerfäusten und Granaten. Fünf Tage dauerten die Kämpfe, bis der Staat schließlich gewann. 80 Tonnen Marihuana wurden noch an Ort und Stelle vernichtet, die riesige Rauchwolke war kilometerweit zu sehen und zu riechen.

Eine Cannabisproduktion in diesem Ausmaß ist nicht ohne Unterstützung von Polizei und Politik möglich.

Der Zeitpunkt der Rückeroberung der »Republik Lazarat«, die sich zehn Jahre zuvor mit der Zerstörung der Polizeistation im Dorf der staatlichen Autorität entzogen hatte, war nicht zufällig gewählt. Nur eine Woche nach dem Polizeieinsatz wurde Albanien als EU-Beitrittskandidat anerkannt. Neben der Korruption und dem erbärmlichen Zustand des Justizsystems ist das Drogengeschäft eines der großen Hindernisse auf dem Weg in die Europäische Union. Die Vorsitzende der EU-Delegation in Albanien, Romana Vlahutin, nannte vergangene Woche erneut die »Beseitigung des Cannabisanbaus und -handels« als wichtigen Teil der fünf key priorities für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen. Denn Albanien ist mit Abstand der größte Grasproduzent Europas. 2014 wurde von den insgesamt 352 Tonnen in Europa beschlagnahmten Marihuanas fast ein Drittel in dem südlichen Balkanstaat sichergestellt. Mit der Razzia in Lazarat wollte die ein Jahr zuvor gewählte Regierung der Sozialistischen Partei der EU zeigen, dass sie es ernst meint mit dem Krieg gegen die Drogen.

Wenn man heute durch das Dorf fährt, zeugen nur noch die von hohen Mauern eingeschlossenen Brachflächen von den über 100 000 Cannabispflanzen, die bis vor drei Jahren noch in den Himmel ragten. Der Polizei zufolge wurde hier jährlich Marihuana mit einem Straßenverkaufswert von 4,5 Milliarden Euro produziert – das entspricht fast der Häflte des Bruttoinlandsproduktes Albaniens. Auch wenn die realen Einnahmen im Großhandel deutlich niedriger sind – ein Bauer soll 300 bis 500 Euro für ein Kilo geerntetes Marihuana erhalten –, ist die Bedeutung der Cannabisplantagen für die Wirtschaft des Landes und vor allem für das Einkommen Tausender Familien enorm. Mit dem Anbau von Cannabis lässt sich viel einfacher viel mehr Geld verdienen als mit traditioneller Landwirtschaft. Die nicht gerade luxuriösen Häuser in Lazarat zeigen aber auch, dass es nicht die einfachen Bauern sind, die die Gewinne einstreichen.

Das große Geschäft wird woanders gemacht und die Beendigung des Cannabisanbaus in Lazarat hat diesem offenbar keinen Schaden zugefügt. Vielmehr hat sich der Anbau immens ausgebreitet und wird nun in den unwegsamen Bergen betrieben, wie Thomas Pietschmann von der UN-Drogenbehörde UNDOC in Wien der Jungle World bestätigt: »Die Produktion ist in die Höhe und in die Breite gegangen.« Luftaufnahmen der italienischen Guardia di Finanza, die die albanischen Behörden bei der Drogenbekämpfung unterstützt, zeigen, dass sich in den von ihnen überwachten Regionen die Anbaufläche 2016 verfünffacht hat. »So etwas wie voriges Jahr haben wir noch nicht gesehen. Es war nicht möglich, in den Bergen wandern zu gehen, ohne irgendwann in einer Plantage zu landen«, erzählt Gjergj Erebara, der für das Journalistennetzwerk Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) tätig ist, im Gespräch mit der Jungle World. Kriminelle seien in kleinen Fabriken erschienen und hätten die Besitzer gezwungen, einen Teil ihrer Belegschaft für die Cannabisernte abzustellen. Andernorts habe es an Arbeitskräften gemangelt, da die jungen Leute auf den Plantagen bis zu 40 Euro am Tag statt der üblichen fünf bis zehn Euro verdienen konnten, berichtet der Journalist.

Erebara verweist auch auf die negativen Folgen der Cannabisproduktion für die Gesellschaft: »Der Anbau spült Milliarden in die Hände von Verbrechern, die damit die Polizei, die Richter, die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder kaufen – oder sich gleich selbst wählen lassen. Das zerstört den Kern der Gesellschaft und bedroht die Demokratie in ihren Grundfesten.« Der Journalist hat selbst schon Verstrickungen von hohen Politikern ins Drogengeschäft aufgedeckt. »Am nächsten Tag hatte ich den Innenminister am Telefon, der sich beschwert hat«, erzählt Erebara. Der Oppositionsführer Lulzim Basha von der Demokratischen Partei wirft Ministerpräsident Edi Rama regelmäßig vor, im Dienst der Drogenbarone zu stehen. Er sei der der »Schutzherr der Drogen« und regiere das Land zusammen mit Verbrechern, so Basha. Jedoch hat auch die Demokratische Partei in ihrer achtjährigen Amtszeit bis 2013 wenig gegen die Cannabisproduktion unternommen. »Beide Parteien haben enge Kontakte, sie nutzten beide diese Beziehungen in den Wahlen und sind daher beide verantwortlich«, meint der Journalist. Wenn die Regierung wollte, könnte sie das Problem innerhalb von 24 Stunden lösen, ist Erebara überzeugt. Thomas Pietschmann von der UNODC relativiert das: »Uns sind keine Informationen bekannt, dass Mitglieder der albanischen Regierung in den Drogenhandel involviert sind.« Dies sei in der Region keineswegs selbstverständlich, betont der UN-Mitarbeiter.

Eine Cannabisproduktion in diesem Ausmaß ist jedoch nicht ohne tatkräftige Unterstützung von Polizei und Politik möglich. Auffällig ist auch, dass es bei den seltenen Verurteilungen wegen Drogenanbaus fast ausschließlich kleine Bauern trifft. Mittlerweile gibt selbst die Regierung indirekt zu, dass die Polizei nicht ganz unbeteiligt ist. So tauschte sie Anfang des Jahres alle Polizeichefs der zwölf albanischen Regionen aus. Dass dem Grasanbau in Albanien noch in diesem Jahr ein Ende gemacht wird, wie Ministerpräsident Rama erst neulich wieder verkündet hat, glaubt hier zwar niemand. »Aber der Staat wird keine rechtsfreien Räume mehr zulassen, in denen er die Kontrolle an die Mafia abgegeben hat«, ist zumindest Pietschmann überzeugt. Erebara vom Journalistennetzwerk sieht das anders: Organisierte Kriminalität und Politik seien hier so eng miteinander verwoben, dass staatliche Kontrolle keineswegs im Widerspruch zur Herrschaft mafiöser Clans stehe. Der Rückgang der Grasproduktion in diesem Jahr habe eine andere Ursache: »Die Lager sind einfach noch voll. 2016 wurde zu viel produziert.«

So wird das Thema Cannabis auch in Zukunft weiter auf der Prioritätenliste der EU-Kommission stehen. Umso mehr, da sich in den EU-Ländern Berichte darüber häufen, dass albanische Staatsangehörige die Oberhand im Drogenhandel gewinnen. Die niederländische Polizei forderte deswegen neulich in einem internen Dokument sogar, die Visapflicht für Albaner wieder einzuführen, wie die niederländische Tageszeitung De Telegraaf berichtete. Albanien als failed state in der Drogenbekämpfung anzusehen, greift aber zu kurz. Vielmehr ist das Land ein weiteres Beispiel dafür, dass der Krieg gegen die Drogen, wie er global geführt wird, längst verloren ist und die Macht und den Einfluss der Kartelle auf Politik und Gesellschaft stärkt, statt die organisierte Kriminalität zu schwächen. Letzteres könnte nur eine Legalisierung erreichen, mit der die Gewinne aus der Cannabisproduktion auch in den Staatshaushalt und nicht mehr ausschließlich in die Taschen der Drogenbarone fließen würden. Diese Option liegt aber in noch weiterer Ferne als Albaniens Beitritt zur Europäischen Union.