Die Linke und das Recht, Teil 9: Tierschützer im Notstand

In Gefahr und größter Not

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 9
Kolumne Von

#43Zwei Männer und eine Frau dringen in einen Schweinestall ein. Sie sind Mitglieder von »Animal Rights Watch«. Bekleidet mit Einweganzügen und Atemschutzmasken sowie ausgerüstet mit desinfizierten Kameras dokumentieren sie die Haltungsbedingungen auf Video.

Für diese Aktion in Sachsen-Anhalt im Juni 2013 mussten sich die drei wegen Hausfriedensbruchs vor Gericht verantworten. Das Verfahren endete mit Freispruch für die Angeklagten, weil sie dem Gericht zufolge in Nothilfe handelten. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, doch auch in zweiter Instanz hieß es vor zwei Wochen: Freispruch. Vergangene Woche schließlich legte die Staatsanwaltschaft Revision ein, der Fall geht damit in die letzte Instanz.

Revision und Berufung – was ist das eigentlich? Die Frage kann schnell beantwortet werden: Berufung und Revision sind garantierte Rechtsmittel, die gewährleisten sollen, dass ein fehlerhaftes Urteil auch korrigiert werden kann. Die erste Rechtsmittelinstanz ist bei Urteilen der Amtsgerichte die Berufung, das bedeutet eine weitere Verhandlung am Landgericht mit abermaliger Beweisaufnahme und rechtlicher Würdigung. Die Revision ist eine weitere Verhandlung am Oberlandesgericht. Berufung muss vorher nicht zwingend eingelegt werden, eine solche Revision nennt man Sprungrevision. Der Grund für die Möglichkeit, die Berufung zu überspringen, liegt darin, dass in der Revision keine Beweisaufnahme mehr erfolgt, die Tatsachenfeststellungen des vorigen Urteils als wahr unterstellt, nur mögliche Verfahrensfehler geprüft werden und eine neue rechtliche Würdigung erfolgt.

Interessanter ist hier die Frage, warum die drei Angeklagten freigesprochen worden sind. Wer in eine fremde Schweinemastanlage eindringt, begeht ganz klar einen Hausfriedensbruch gemäß Paragraph 123 Strafgesetzbuch. Warum also ein Freispruch? Für eine Verurteilung müssen neben der Erfüllung des Tatbestands auch Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit vorliegen. Nach Paragraph 34 Strafgesetzbuch, »rechtfertigender Notstand«, handelt nicht rechtswidrig, wer die Tat zur Abwehr »einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr« begeht. Die Gefahr muss auf ein geschütztes Rechtsgut der eigenen oder einer anderen Person gerichtet sein, Leben oder Eigentum zum Beispiel, unter Umständen auch Rechtsgüter der Allgemeinheit. Anders als »Animal Rights Watch« wünscht, sind die hier betroffenen Schweine keine rechtlich geschützten Personen, so dass das Gericht wohl eine Gefahr für das Rechtsgut der Allgemeinheit gesehen hat, in diesem Fall ein Verstoß gegen die ­Bestimmungen der Tierschutznutztierverordnung, die Schweine seien auf zu kleinem Raum gehalten worden.

Damit nicht jeder Gesetze selbst vollstreckt, muss die Gefahr allerdings »nicht anders abwendbar« sein. Die Angeklagten beriefen sich auf das mangelnde Problembewusstsein der zuständigen Behörde. Diese hatte die Haltungsbedingungen bei vergangenen Kontrollen nicht beanstandet, so dass eine Anzeige dort wenig aussichtsreich gewesen wäre. Um die Rechte des Betriebsinhabers möglichst wenig zu beeinträchtigen, hatten die Angeklagten auf Desinfektion geachtet und nichts beschädigt. Das Amtsgericht ­folgte dieser Argumentation, ebenso die Berufungsinstanz. Die Staatsanwaltschaft geht nun in Revision, was praktikabel ist, weil ­allein die rechtliche Bewertung der Nothilfe in Frage steht. Der Ausgang ist offen. Das Urteil zum Anlass zu nehmen, zum Beispiel in Zukunft falsch parkende Autos eigenhändig umzusetzen, dürfte jedenfalls ein gewagtes Unterfangen sein.