In Großbritannien sind »Identitäre« und die englische »Hogesa« auf dem Vormarsch

Nazi-Hipster im Anflug

Die rechtsextreme »Identitäre Bewegung« versucht, auch im Vereinigten Königreich und in Irland Fuß zu fassen. Doch die Konkurrenz im rechten Milieu ist groß.

Neben Paris und Berlin gilt London gemeinhin als Hauptstadt des europäischen Hipstertums. Der sogenannte Nazi-Hipster allerdings konnte dort anders als in Frankreich und Deutschland bisher nicht Fuß fassen. Die Rede ist von Mitgliedern der »Identitären Bewegung« (IB), jener sich reichlich jugendkultureller Anleihen bedienenden neurechten bis völkischen Gruppe, die 2012 von Frankreich aus in den deutschsprachigen Raum schwappte. Im Vereinigten Königreich und in Irland bisher lediglich mit mutmaßlich von Einzelpersonen betriebenen Profilen in den sozialen Medien präsent, scheint sich die IB mittlerweile auch dort etablieren zu wollen.

Im Stile der Vorbildorganisationen auf dem Festland – insbesondere in Deutschland und Österreich – trat der britische Abkömmling Ende vergangenen Monats mit einer medienwirksamen Inszenierung erstmals öffentlich in Erscheinung. Am 23. Oktober entrollte ein knappes Dutzend »Identitärer« auf der Westminster Bridge im Zentrum Londons ein Großtransparent mit der Aufschrift »Defend London, stop Islamisation«, dem englischen Namen der Gruppe, »Generation Identity«, und ihrem Symbol, dem schwarz-gelb gedruckten griechischen Buchstaben Lambda. Dazu lieferte die Truppe eine online verschickte Mitteilung: Quelle der Islamisierung sei die Masseneinwanderung, die es aufzuhalten gelte. Der Ort des Auftritts hätte kaum symbolträchtiger gewählt werden können: Die Westminster Bridge liegt nicht nur in Sichtweite des britischen Parlaments, im März war sie zudem Schauplatz eines islamistischen Attentats.

Im Oktober referierte Martin Sellner in London über das rassistische neurechte Konzept des »Ethnopluralismus«.

Zuvor waren die offiziellen Internetauftritte der britischen und irischen Ableger der IB einzig durch das Teilen der Inhalte der europäischen Schwesterorganisationen aufgefallen. Die Facebook-Präsenz der »Generation Identity United Kingdom and the Republic of Ireland« besteht zwar bereits seit Februar, bis auf einzelne Fotos mit identitärer Symbolik vor britischen Touristenattraktionen ist dort aber nicht viel zu sehen. Für den irischen Ableger rief man immerhin schon im Juli zu einem ersten Treffen gegen den »Großen Austausch«, die »Islamisierung Europas« und »Globalisierung« auf.

Offenkundig bedurfte die »Generation Identity« gerade in London externer Unterstützung. Nicht von ungefähr dürfte sich die bekannte Führungsfigur Martin Sellner, der Sprecher der IB Österreich, Ende Oktober in der britischen Hauptstadt aufgehalten und an dem Auftritt auf der Westminster Bridge teilgenommen haben. Zwei Tage zuvor hatte er dort bereits auf der »Traditional Britain Conference« über das rassistische neurechte Konzept des »Ethnopluralismus« referiert und dabei vor der versammelten intellektuellen Rechten des Landes Werbung für die Strategie der Identitären gemacht – »new approach, new style, new theory« (neuer Ansatz, neuer Stil, neue Theorie). Unterstützung fand die »Generation Identity« auch bei Brittany Pettibone, Youtuberin und jugendliches Gesicht der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung. Sie hat nicht nur mehrere Beiträge veröffentlicht, in denen europäische Identitäre ihre Weltanschauung und Konzepte vorstellen konnten, sondern begleitete auch die Anfänge der britischen Gruppe und interviewte eine irische Rechtsextreme.

Die Mitglieder der »Generation Identity« selbst sind dagegen geradezu zurückhaltend. Auch das Twitter-Profil eines gewissen Jordan Diamond, auf dem zuvor Werbung für die Gruppe gemacht wurde, ist inzwischen gelöscht. Dies dürfte nicht zuletzt an den Enthüllungen liegen, die der Fernsehsender ITV im Rahmen einer Undercover-Reportage über »Britain’s New Far Right« in der vorvergangenen Woche veröffentlichte. Diamond taucht darin als zentrale Figur der »Generation Identity« mit besten Kontakten in die extreme Rechte auf. Unter anderem ist er mehrfach in Begleitung von Anne Marie Waters zu sehen. Die Initiatorin von »Pegida UK« machte unlängst Schlagzeilen, als sie nach dem gescheiterten Versuch, die Führung der UKIP zu übernehmen, die extrem rechte Partei »For Britain« gründete. Diamond spricht in dem Beitrag unter anderem davon, dass Europa von Menschen aus der sogenannten Dritten Welt »überschwemmt« werde und es deshalb immer weniger »Weiße« gäbe.

Britische IB-Mitglieder berichten der Reporterin außerdem von paramilitärischen Trainings in Frankreich, an denen Mitglieder der »Generation Identity« teilgenommen hätten. Zudem geben sie offen zu, dass sie in erster Linie aus Imagegründen keine Personen aufnehmen könnten, die offen neonazistische Ansichten vertreten. Wie andernorts auch steht die »Identitäre Bewegung« im Vereinigten Königreich und in Irland damit zwischen personeller und ideologischer Verwurzelung in neonazistischen Kreisen einerseits und der strategischen Abgrenzung von diesem Milieu andererseits. Dabei wähnt die britische extreme Rechte seit der nationalistischen Mobilisierung für den EU-Austritt ohnehin den Zeitgeist auf ihrer Seite. Langjährig existierende Gruppen wie die »National Front« oder die »British National Party« konkurrieren mit Abspaltungen wie »Britain First« und anderen extrem rechten Kleinstparteien um Mitglieder und Wählerstimmen.

Besonders jenseits der Parteien formiert sich die extreme Rechte neu. Mehrere Zehntausend Fußballfans nahmen an zwei Demonstrationen der »Football Lads Alliance« (FLA) in London teil. Die FLA ähnelt Hogesa in Deutschland, den »Hooligans gegen Salafisten«, die vor allem mit einer gewalttätigen Demonstration in Köln 2015 Aufmerksamkeit erlangten. Die FLA geriert sich als Bewegung gegen Extremismus, macht aber vor allem durch die Ablehnung von Islam und Einwanderung von sich reden und erscheint so anschlussfähig für neonazistische Kräfte. Auch Mitglieder der »Generation Identity« sollen an ihren Aufmärschen teilgenommen haben.

Seit vergangenem Jahr offiziell verboten ist hingegen die Gruppe »National Action«. Die Behörden stuften sie als Terrororganisation ein, 16 mutmaßliche Mitglieder wurden inzwischen festgenommen. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Mitglieder der Gruppe einen Mordanschlag auf die Labour-Abgeordnete Rosie Cooper geplant hatten. Erste Auffang- und Nachfolgeorganisationen der »National Action« wurden Ende September verboten, weitere werden vermutlich folgen.
Ob sich die »Generation Identity« in dieser Lage als ernstzunehmende Gruppe der britischen und irischen extremen Rechten etablieren kann, bleibt abzuwarten. Womöglich spricht sich auf der Insel schnell herum, dass die »Identitäre Bewegung« trotz Hipstertum und intellektueller Attitüde sich nicht wesentlich vom althergebrachten Neonazismus unterscheidet.