Die Revolution der Geschlechterverhältnisse hat begonnen. Eine Utopie

Die Revolution feiert Geburtstag

Die »Jungle World« dokumentiert die Festrede zum 30. Jahrestag der Genderistischen Revolution im Jahr 2047. Eine utopische Vision.

Mein Name ist E. Als Erste Vorsitzende des Komitees zur Wahrung des internationalen Genderwahns und der nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Verweichlichung (KWGV) ist es mir eine Ehre, die Festrede zum 30. Jahrestag der Genderistischen Revolution zu halten.

Da sich jüngere Anwesende wohl nicht an die Ereignisse erinnern können, ein paar einleitende Worte zur Historie der Genderistischen Revolution. Am 17. Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht der damaligen Bundesrepublik Deutschland, es gebe ein Recht auf einen dritten Personenstand. Am 24. November lehnte das Bundesverfassungsgericht eine Klage darauf ab, das nach damals geltendem Transsexuellengesetz noch verankerte Gutachterverfahren abzuschaffen.

Am selben Tag schwappte eine Welle der Empörung durch die Lande, als die Ärztin Kristina Hänel, spätere Begründerin des Komitees zur körper­lichen Selbstbestimmung aller Menschen, wegen Informationen zur Abtreibung auf ihrer Website nach §219a des damaligen Strafgesetzbuchs zu einer Geldstrafe von 6 000 Euro veruteilt wurde. Einige von uns können sich noch an die Spannungen erinnern, die die Differenz zwischen den beiden Urteilen auslöste. Die anfängliche Fassungslosigkeit und Verwirrung kulminierte in einem bis dato ungesehenen revolutionären Akt, als am 27. November 2017 der ICE 401 504 mit dem Abbild eines blutigen Tampons bemalt wurde. Die Wirkmacht dieses Graffitos mag aus heutiger Sicht absurd erscheinen, doch gebe ich zu bedenken, dass damals – trotz langjähriger Aufklärungsarbeit der sogenannten Feminazis – die Existenz vulvischer Körperlichkeit noch immer tabuisiert wurde. Selbst innerhalb feministischer Bevölkerungsgruppen konnte damals ein konser­vativer Backlash beobachtet werden. Die Darstellung von Vulven, vor allem unter Bezugnahme auf weibliche Erfahrung, wurde als Aggression empfunden.

Die brutale Sichtbarmachung vulvischer Körperlichkeit musste zwangsweise zu den umwälzenden Ereignissen führen.

Die der Symbolischen Gesamtgesellschaftlichen Kastration (SGK) im Jahr 2020 vorangegehende feministische Phase war geprägt von starken Zerwürfnissen. Insbesondere die seit Beginn der Jahrtausendwende verstärkt zu beobachtenden geschlechtsveruneindeutigenden internationalen Formierungen, aus denen schließlich der am 3. Dezember 2017 von mir gegründete Radikale Block zur geschlechtlichen Verunsicherung braver Bürger (RVB) hervorging, forderte feministische Diskussionen heraus, wobei sich unzählige untereinander zerstrittene Lager bildeten. Aber zurück zum ICE: Ein häufig vergessener Aspekt hinsichtlich der revolutionären Kraft des Tampongraffitos ist, dass es strategisch gut platziert war, nämlich an einem Element des am meisten verbindenden Gesprächsthemas der deutschen Bevölkerung jener Zeit neben dem Wetter: der Deutschen Bahn. Die brutale Sichtbarmachung vulvischer Körperlichkeit an einem Objekt dieser für die damalige Gesprächskultur höchst wichtigen Instanz musste zwangsweise zu den umwälzenden Ereignissen der folgenden Wochen führen.

Unmittelbar nach der Sichtung des Tampongraffitos und dessen Darstellung in den Medien kam es zu einem Aufschrei der Rechtskonservativen. Am 9. Dezember 2017 bekannten sich die bereits erwähnten Feminazis zu dem Tamponattentat. Die Welt erfuhr erstmals von der Existenz der Genderistischen Weltverschwörung, die mit Mitteln der Massenhypnose und durch Chemtrails diesen Coup bereits seit den achtziger Jahren vorbereitet hatte. In der berühmten »Rede am Hamburger Winter-Dom« verkündete die Genderistische Weltverschwörung die Übernahme aller wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einrichtungen und rief die sofortige Befreiung der Gesellschaft aus. In direkter Reaktion auf die Dom-Rede kam es vielerorts zu lesbischen Massenorgien unter dem Motto »Lesben raus!«, bezugnehmend auf einen gleichnamigen aktuellen Sammelband. Bahnbrechend an diesen öffentlichen Massenorgien war, dass Frauen unabhängig von ihren ­genitalen Prädispositionen zusammen kamen – manche mehrmals – und dennoch ein respektvoller Umgang mit der körperlichen Präferenz gewahrt wurde. Erste Momente, der im Jahr 2030 umgesetzten Objektiven Genitalen Umdeutungen (OGU) wurden dank dieser Orgien möglich.

Da das Tamponattentat nicht alle sexistischen Tendenzen in den Köpfen der Menschen ausradieren hatte können, hatte die Aktion Aufklärung durch Verführung (AdV) seit 2018 das Ziel, verbliebenen sexistischen und regressiven Tendenzen entgegenzuwirken. Geleitet wurde die Aktion durch das Komitee empörter Tunten (KeT). Danke an dieser Stelle an unsere tuntischen Genossinnen, die zur Verschwulung der Welt auf so zauberhafte Weise beigetragen haben. Die Phase zwischen der SGK und der OGU war vorallem geprägt durch die Kämpfe zwischen dem Postgenderistischen Block (PGB) und der Liga für Lustvolle Gender- und Körperpraxis (LLGK). Ersterer wollte jegliche Praktiken von Genderausdruck abschaffen und eine lustvolle Besetzung körperlicher Differenzen gänzlich verbieten. Gegen diese lustfeindliche Praxis setzte sich die LLGK, wie wir alle wissen, erfolgreich durch und zerschlug den PGB am 11. November 2029 im historischen Straßenkampf von Ohlsdorf. Damit war das Fundament für unsere heutige geschlechtlich und sexuell befreite Gesellschaft gelegt. Nach der OGU im Jahr 2030 war der Hauptwiderspruch, das Patriarchat, gänzlich und bis in seine Wurzeln ausgemerzt.

Überraschenderweise musste fest­gestellt werden, dass die reine Abschaffung des Hauptwiderspruchs nicht zur automatischen Eliminierung aller Nebenwidersprüche führte. So konnte durch die Genderistische Revolution zwar der Grundstein für eine befreite Gesellschaft gelegt werden. Um jedoch lustvoll die Verschiedenheit einer jeden leben zu können, müssen die kapitalistischen Auswirkungen auf die Subjekte künftig komplett eliminiert werden. Den 27-Phasen-Plan zur absoluten Aufhebung des Kapitalismus stellt ihnen nun J.J. vor, Erste Vorsitzende des Komitees zur nachhaltigen ­Abschaffung aller Nebenwidersprüche (KAN). Ich bitte um Applaus!