Heiner Grunert, Historiker, über die Rolle von Religion in Bosnien-Herzegowina

»Ein wichtiges Ziel für islamistische Rekrutierer«

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Interview Von

Wie verhält sich die Islamische Gemeinschaft, die Religionsorganisation der Muslime in Bosnien, zu diesem Problem?
Die Islamische Gemeinschaft benennt das Problem von islamistischem Terror offen und arbeitet mit Sicherheitsorganen zusammen. In  dem Zusammenhang gab es etwa in den vergangenen Jahren landesweit einige Dutzend Moscheegemeinden, die die Autorität des Reisu-l-ulema, des religiösen Oberhaupts der Muslime in Bosnien, nicht mehr anerkannten und in denen salafistische Prediger tätig waren. Die Islamische Gemeinschaft in Sarajevo übte hier mit einigem Erfolg Druck aus und handelte eine teilweise Reintegration der Gemeinden aus. Was jedoch außerhalb anerkannter Moscheen geschieht, darauf hat die Islamische Gemeinschaft wenig Einfluss. Solange die Ursachen für islamistische Gewalt bestehen – extreme soziale Ungleichheit und die Wahrnehmung unter Muslimen, »der Westen« führe einen Krieg gegen den Islam –, wird die Gefahr wohl bestehen bleiben.

 

Im Stadtbild Sarajevos findet man viele Gebäude wie Moscheen und Einkaufszentren, die von arabischen Ländern finanziert worden sind. Geht mit dieser Unterstützung auch eine ideologische Annäherung einher?
Bosnische Muslime haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Mir scheint, dass hier die ideologische und theologische Unabhängigkeit in den vergangenen Jahren eher zugenommen hat. Die finanzielle Abhängigkeit, etwa für den Wiederaufbau der massenhaft zerstörten Moscheen oder für den Betrieb islamischer Schulen, ist aufgrund der Armut des Landes dagegen mehr denn je gegeben.

 

Wie sieht derzeit die Situation religiöser Minderheiten wie Protestanten oder Juden in Bosnien-Herzegowina aus?
Jakob Finci, einer der prominentesten Juden des Landes, sagte unlängst, es gebe in Bosnien keinerlei Antisemitismus. Ich bin etwas anderer Meinung, auch wenn die jüdische Gemeinschaft in Bosnien im Großen und Ganzen hohes Ansehen genießt. Gerade unter Muslimen hat in den vergangenen Jahren ein globalisierter Antisemitismus zugenommen.Was kleinere religiöse Gruppen im Land betrifft, zeugen mittlerweile Protestanten, Schiiten, Anhänger der Ahmadiyya-, der Nurculuk- oder der Hare-Krishna-Bewegung von einer wachsenden religiösen Vielfalt. Sie machen mit Atheisten und Agnostikern drei Prozent der Bevölkerung aus. Ich sehe nicht, dass den kleinen religiösen Gruppen elementare Rechte verwehrt würden.

 

Auch 20 Jahre nach dem Krieg gibt es immer noch enge Verbindungen zwischen Religion und Nationalismus, insbesondere in der serbisch dominierten Republika Srpska (RS).
Das Ziel der politischen Führung in der RS ist Machtsicherung. Der Präsident der RS, Milorad Dodik, nutzt hierfür mehr und mehr autoritäre Mittel und untergräbt die Autorität der gesamtstaatlichen Institutionen, die ohnehin schon schwach sind. Die Verbindung von nationaler und religiöser Rhetorik ist bei Dodik besonders eng, sie ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal serbischer Parteien. Dodik zielt letztlich auf eine maximal starke RS in einem Bosnien-Herzegowina ohne funktionsfähige Institutionen, in einem Staat, der nur auf dem Papier existiert.

 

Gibt es trotz der vielfältigen Konflikte auch eine Zusammenarbeit zwischen den Religionsgemeinschaften?
Die Religionsgemeinschaften arbeiten auf höchster Ebene eng zusammen. Hier existiert ein Interreligiöser Rat, der einige gute Projekte anstößt. Entscheidend ist jedoch die örtliche Kooperation, die sehr von der Initiative einzelner Personen abhängig ist. Dabei gibt es in Bosnien und der Herzegowina trotz des Kriegs vor zweieinhalb Jahrzehnten, trotz Flucht und Vertreibungen kaum einen Freundes- und Kollegenkreis, der sich nur aus einer Glaubensgemeinschaft zusammensetzt. Beinahe jede Familie hat Angehörige unterschiedlicher Religionen. Ein Schuldirektor aus Sarajevo sagte mir vor einigen Wochen, Europa solle aus der jüngeren bosnischen Geschichte lernen, wie aus Ausgrenzung ein Gefühl der Bedrohung entstehe, und wenn dieses Jahrzehnte bestehe, daraus irgendwann Hass. Er meinte, was in Bosnien in den neunziger Jahren geschah, sei letztlich an vielen Orten denkbar.