2018 wird ein Jahr vieler Tarifverhandlungen, aber weniger Arbeitsniederlegungen

Das Jahr des sozialen Friedens

Seite 2 – Es wird nicht allzu viele Streiks geben

 

Wesentlich konfliktärmer wird voraussichtlich die zweite große Verhandlungsrunde im Tarifjahr 2018 verlaufen, die im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Nachdem Verdi bei der vergangenen Tarifrunde nach etlichen Jahren endlich eine neue Entgeltordnung durchsetzen konnte, die für viele Beschäftigte der gewerkschaftlichen Kernklientel strukturelle Verbesserungen mit sich brachte, scheinen harte Verhandlungen wenig wahrscheinlich. Noch ist unklar, mit welchen konkreten Forderungen die Gewerkschaft in die im Frühjahr beginnende Tarifrunde geht. Beobachter erwarten eine Gehaltsforderung von etwa sechs Prozent. Interessanter dürfte die Frage sein, ob es der Multibranchengewerkschaft Verdi gelingen wird, die Vor­teile, die sich aus der Organisierung verschiedener Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge ergeben, auch auszuspielen. Zu Beginn des Jahres ­enden nicht nur die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, auch bei der Deutschen Post und bei der Deutschen Telekom wird neu verhandelt. Seit ­Jahren fordern viele Gewerkschaftsmitglieder gemeinsame Aktionen und koordinierte Warnstreiks, um den ­Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen – bisher meist ohne Erfolg.

Sechs Prozent mehr Lohn fordern auch die IG Bau im Bauhauptgewerbe und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe. In beiden Bereichen sollen auch Verbesserungen für die Auszubildenden durchgesetzt werden. Im Sommer ­endet zudem der Gehaltstarifvertrag für die etwa 500 000 Beschäftigten in der chemischen Industrie. Ob die ­Öffentlichkeit dies überhaupt zur Kenntnis nehmen wird, ist fraglich. Die selbst für deutsche Verhältnisse über die ­Maßen sozialpartnerschaftliche Gewerkschaft IG BCE zieht in ihrem Kernbereich geräuschlose Tarifabschlüsse vor.

Protestaktionen, Warnstreiks, abgebrochene Verhandlungen, Einigungen in letzter Minute – all diese Kennzeichen tariflicher Auseinandersetzungen in anderen Bereichen haben in der chemischen Industrie Seltenheitswert. So liegen die letzten Streiks in der Branche inzwischen mehr als 45 Jahre zurück. Selbst wenn sich die Tarifparteien überraschenderweise doch nicht so schnell wie in der Vergangenheit einigen sollten, sind Arbeitsniederlegungen beinahe ausgeschlossen. Denn zuvor käme es erst einmal zu ­einer Schlichtung. Zu den Gepflogenheiten der Chemiebranche gehört nämlich auch, dass erst nach dem Scheitern der Schlichtung gestreikt werden darf.

In kaum einem vergleichbaren Land wird so wenig gestreikt wie hierzulande.

Wesentlich konfrontativer dürfte die Tarifrunde bei der Deutschen Bahn im Herbst 2018 verlaufen. Hier stehen sich nicht nur Arbeitgeber und Beschäftigte gegenüber, sondern auch die beiden Bahngewerkschaften EVG und GDL. Erstmals seit das Bundesverfassungsgericht im Juli 2017 das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung für verfassungsgemäß erklärt hat, ringen die beiden Gewerkschaften um einen neuen Tarifvertrag – und nicht zuletzt um die Vorrangstellung bei der Inter­essenvertretung der Bahnbeschäftigten. Während der monatelangen Tarifaus­einandersetzung von Herbst 2014 bis in den Sommer 2015 kam es zu neun Arbeitsniederlungen, die bis zu sechs Tage andauerten. Erst in der Schlichtung wurde ein Ergebnis erzielt. Auch in ­diesem Jahr sind Arbeitsniederlegungen nicht unwahrscheinlich.

Im großen Tarifjahr 2018 wird es also insgesamt wohl nicht allzu viele Streiks geben. Diese Konfliktscheu hat Tradition. Im letzten großen Tarifjahr 2016 fielen 462 000 Arbeitstage streikbedingt aus. Rund drei Viertel der etwa 200 ­Arbeitskämpfe gehörten zu Auseinandersetzungen um Haus- oder Firmen­tarifverträge. Es waren also zumeist Abwehrkämpfe, bei denen es darum ging, Verschlechterungen gegenüber den Flächentarifverträgen zu verhindern. Zwischen 2006 und 2015 fielen in Deutschland im Jahresdurchschnitt pro 1000 Beschäftigte rechnerisch 20 Arbeitstage aus. In kaum einem vergleichbaren Land wird so wenig gestreikt wie hierzulande. In Frankreich waren es allein in der Privatwirtschaft etwa sechsmal so ­viele, ähnlich in Dänemark. Auch in Belgien, Spanien, ­Irland und Finnland wird bedeutend häufiger die ­Arbeit niedergelegt als in Deutschland. Nur in Österreich und einigen osteuropäischen Staaten streiken europäische Beschäftigte noch seltener.

Dabei wäre ein Kampf um höhere Löhne dringend geboten. Nicht nur wird die Kluft zwischen niedrigen Einkommen und Höchstverdiensten ­immer größer, auch im Vergleich mit der Entwicklung der Unternehmens­gewinne schneiden die Beschäftigten schlecht ab. Von 1995 bis 2014 wurden die durchschnittlichen Bruttolöhne um etwa 48 Prozent erhöht, die Unter­nehmens- und Vermögensgewinne wuchsen hingegen um etwa 67 Prozent. Vom wachsenden Gewinn wandert also immer weniger in die Taschen der Lohnabhängigen.