Habib Kazdaghli, Professor für Geschichte, im Gespräch über Antisemitismus in Tunesien

»Es gab eine Manipulation wie in der Nazizeit«

Die Nationalbibliothek in Tunis wollte in Kooperation mit dem Holocaust Museum in Washington eine Ausstellung über Nazi-Propaganda zeigen. Die Eröffnungsveranstaltung wurde im Dezember durch »antizionistische« Demonstranten attackiert. Habib Kazdaghli ist Professor für zeitgenössische Geschichte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät von Manouba und Experte für die Geschichte der Juden von Tunesien. Die »Jungle World« sprach mit ihm über den Vorfall.
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Was war das Thema der Ausstellung?
Der Titel der Ausstellung ist »L’Etat trompeur: Le pouvoir de la propagande nazie« (Der Täuscherstaat: Die Macht der Nazipropaganda). Die Eröffnung war für Freitag, den 15. Dezember, in der Ehrenhalle der Nationalbibliothek von Tunesien vorgesehen. Dafür hatten wir die notwendigen Autorisierungen seitens der Direktorin der Nationalbibliothek, Raja Ben Slama, meiner Kollegin und Freundin. Die Ausstellung, die 16 Tafeln umfasste, wurde am Donnerstag, den 14. Dezember, in drei Sprachen (Arabisch, Englisch, Französisch) in der Ehrenhalle installiert. In der Ausstellung geht es um die Nazi­propaganda; die Dokumente stammen aus deutschen Archiven von 1918 bis 1945. Der Kurator der Ausstellung, Steve Luckert, war an diesem Freitag anwesend.

Welche Vorgeschichte hat die Ausstellung?
Das Holocaust-Gedenkmuseum der Vereinigten Staaten in Washington, D.C., hatte sie zusammengestellt. Ich war bei der Eröffnung der Ausstellung am 26. Januar 2016 am Sitz der Unesco in Paris anwesend, habe angefragt, ob sie in Tunis gezeigt werden könne, und das erreicht. Unser »Laboratorium des Erbes«, das an der Fakultät von Manouba beheimatet ist, wo ich bis Dezember 2017 Dekan war, und das seit 20 Jahren über das pluralistische Erbe Tunesiens forscht, hat das Unternehmen initiiert und wir haben es der Nationalbibliothek von Tunesien vorgeschlagen. Wir wurden von der Unesco, dem Büro der Uno und der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Das Ziel der Ausstellung ist es, die Werkzeuge der Nazipropaganda zu dekonstruieren und den Jugendlichen zu zeigen, dass die gegenwärtigen Techniken von Daesh (dem »Islamischen Staat«, IS, Anm. d. Red.) dem nahekommen, was der Nazismus damals in Deutschland getan hatte.

Diese Kampagne fand keine bessere Rechtfertigung als die »palästinensische Sache«, um Lügen und Hass zu verbreiten. Unter anderem behauptete man, dass die Ausstellung die Antwort tunesischer »Zionisten« sei

Was geschah im Zusammenhang mit der Ausstellung?
Am Donnerstagabend, dem 14. Dezember, wurde eine hasserfüllte Kampagne via Facebook losgetreten, die von islamistischen Aktivisten (die Website von Soumaya Ghannouchi, der Tochter von Rachid Ghannouchi, spielte eine Rolle), von chauvinistischen Nationa­listen und linksextremen Gruppen initiiert wurde, aber auch von einigen Kollegen, die bereits im Sold des Ben-Ali-Regimes gestanden hatten und sich eine neue Unschuld verschaffen wollten. Diese Kampagne fand keine bessere Rechtfertigung als die »palästinensische Sache«, um Lügen und Hass zu verbreiten. Unter anderem behauptete man, dass die Ausstellung die Antwort tunesischer »Zionisten« sei, um den Druck abzuschwächen, der seit Donald Trumps Rede (über die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, Anm. d. Red.) auf dem »zionistischen Feind« laste, und sah in der Abhaltung der Ausstellung eine neue Form der »Normalisierung mit der zionistischen Entität«.Die mobilisierte Gruppe bestand vor allem aus Leuten (Arbeiter und Reinigungskräfte aus der Bibliothek), die nichts vom Inhalt der Ausstellung wussten, aber es kamen auch auswärtige Personen, die einer Vereinigung angehören, die gegen die Normalisierung der Beziehungen mit Israel aktiv ist. Die Ausstellung hatte keinerlei Verbindung zu Israel, die Fotos und Plakate stammen aus Naziarchiven. Es gab ganz klar Böswilligkeit, eine Manipulation wie in der Zeit des Nazismus (Reichstagsbrand), um die Kommunisten anzu­klagen.

Wie haben Sie auf diese Entwicklung reagiert?
Angesichts dessen, dass das Risiko von Entgleisungen real war, und in Absprache mit der Verantwortlichen der Nationalbibliothek (die Direktorin Raja Ben Slama war auf einer offiziellen Mission in Belgrad und daher abwesend) haben wir ab sieben Uhr morgens am Freitag beschlossen, die Vernissage abzukürzen und auf eine halbe Stunde, von elf Uhr bis 11.30 Uhr, zu begrenzen, um die Plakate den eingeladenen Journalisten, Studenten und Doktoranden zu zeigen und die Besuchszeiten für die kommenden Tage anzukündigen. Bei unserer Ankunft an Ort und Stelle um zehn Uhr hat die Verantwortliche der Nationalbibliothek für die Ausstellung mich informiert, dass das Personal (Reinigungskräfte, angeführt von einigen Elementen der Basisgewerkschaft, die zur UGTT gehört) gereizt sei und man damit rechnen müsse, dass es Proteste geben werde.

Was geschah dann auf der Ausstellung?
Wir haben einige Runden durch die Ausstellung gedreht, um die Plakate anzusehen. Ich habe auf die Fragen der Journalisten geantwortet, auch wenn ich wusste, dass es unter ihnen einige »Infiltrierte« gab, die vom Thema der Ausstellung ablenken wollten, um eine Verbindung zu Israel, Trump, dem ­Zionismus und der Pflicht, »alles zu vergessen«, »für al-Quds zu sterben«, zu finden. Eine Provokateurin, die sich als Mitglied der Zivilgesellschaft präsentierte (in der Reportage, die später hergestellt wurde, wird sie als Mitglied des Komitees gegen die Normalisierung mit der zionistischen Entität präsentiert), unterbrach mein Interview und rief Beleidigungen und Verleumdungen. Ich mied sie so weit wie möglich, kehrte ihr den Rücken zu, der zu meinem Schutz abgestellte Polizist versuchte immer wieder, sie von mir fernzuhalten. Gleichzeitig wurden die Rufe der Protestierenden lauter. Bereits um 11.10 Uhr, in Absprache mit der Verantwortlichen der Nationalbibliothek, haben wir die Zeit unserer Anwesenheit abgekürzt, um weitere Provokationen und Auseinandersetzungen zu vermeiden. Durch eine Tür, die zu den Lese­sälen führt, verließen meine Freunde und ich die Szenerie.

Wurde die Ausstellung beschädigt?
Später erfuhr ich, dass einige der anwesenden Typen Plakate auf den Boden gekippt hatten, aber kein Plakat wurde beschädigt. Mit Hilfe einiger Doktoranden hat die Verantwortliche sie in einem Magazin der Nationalbibliothek in Sicherheit gebracht. Nachmittags veröffentlichte Raja Ben Slama ein Posting, in dem sie die von Mitgliedern des Personals der Nationalbibliothek begangenen Akte verurteilte. Das ehrt Raja Ben Slama als Direktorin einer renommierten Institution. Tatsächlich hat sie die Dinge richtiggestellt und den Inhalt der Tafeln und die Ziele der Ausstellung erklärt, zu denen sie steht und die sie teilt. Sie beendete ihr Posting mit dem Versprechen, bei ihrer Rückkehr eine Untersuchung über die Ereignisse einzuleiten.

Seit drei Tagen sind die Tafeln auf der Website der Nationalbibliothek zu sehen. Das wird dazu beitragen, jene lächerlich zu machen, die durch ihre Kampagne Verwirrung über den Inhalt der Ausstellung stiften.