Über das Unbeschwerte in den Liedern von France Gall

Ein Herz ist weg

Zum Tod von France Gall.

Ginge es nach ihren Nachrufern, hätte sie zu keinem passenderen Zeitpunkt sterben können. Lässt sich doch die Karriere von France Gall, die am 7. Januar mit 70 Jahren einer Krebserkrankung erlag, prima nutzen als Beleg für die Behauptung, dass die unter dem Label »Me Too« firmierende Denunziationskampagne überfällig gewesen sei. Wo sie sich umblickt im Lebenslauf der Sängerin, findet die Journaille böse Männer, die sich zur Ausbeutung einer Frau verbündet haben. Galls Vater Roger hat ihr in den Sechzigern als Texter das Image des Schulmädchens verpasst, mit dem sie in Frankreich Karriere machte. Serge Gainsbourg schrieb 1966 mit »Les sucettes« (was »Die Dauerlutscher« und »Die Knutschflecken« be­deutet) ein Lied für sie, dessen Anzüglichkeit die 19jährige nicht begriff. Auch sonst ließ Gainsbourg Gall in heikle Rollen schlüpfen, etwa die einer Teenagerin auf LSD (»Teenie Weenie Boppie«).

Nur, empörte sich in Frankreich kaum jemand darüber. Selbst die kruden Videos zu ihren Songs – im Clip zu »J’ai retrouvé mon chien« führt sie alte Männer am Halsband spazieren – ver­hinderten nicht, dass sie zur Popikone der Republik wurde. In Deutschland, wo sie in den Siebzigern eine zweite Karriere machte, kam solche Doppeldeutigkeit weniger an. Dennoch hat die freiwillig-unfreiwillige Komik ihrer Lieder hier zivilisierend gewirkt. Zeilen wie »Ein bißchen Goethe, ein bißchen Bonaparte, / so soll er aussehen, der Mann, auf den ich warte, / ein bisschen Mut, ein bisschen Geist, / wenn ich nur wüsste, wo er wohnt und wie er heißt« beschrieben den drögen Beziehungsalltag mit einem Blick, der von Propagandisten »weib­licher Blicke« kaum vorgesehen ist: selbstbewusst und freundlich, heterosexuell und emanzipiert. Als Dank nimmt man sie nun in empfindsame Schutzhaft. Im Zusammenhang mit »Me Too«, schrieb ihr der Tagesspiegel hinterher, werfe ihr Leben »ein Schlaglicht auf die Instrumentalisierung von jungen Frauen in der damaligen Musikbranche«. Zwar hat sich Gall, obwohl sie sich ­kritisch zu Gainsbourg äußerte, nie beschwert, »instrumentalisiert« worden zu sein.

Und für die Frauen, die nun in einem von Catherine Deneuve und Catherine Millet verfassten offenen Brief ­Einspruch gegen den Neopuritanismus von »Me Too« erheben, hätte sie wohl zumindest Verständnis gehabt. Aber Leuten, die aus jeder Frau ein Opfer machen müssen, um für sie einzutreten, ist das egal. »Mein Herz ist weg, / mein Herz ist weg, / es ist nicht mehr / an seinem Fleck«, sang Gall 1998 auf Deutsch in einem Trash-Hit. Mit ihr wird fehlen, wovon sie gesungen hat: eine Ahnung des Zusammenhangs von Leichtigkeit und Glück.