Das neue Gesetz zur inneren Sicherheit treibt die Militarisierung in Mexiko voran

Die Normalisierung des Ausnahmezustands

Seite 2 – Das blutigste Jahr der jüngeren mexikanischen Geschichte

1995 ließ der damalige Präsident Ernesto Zedillo zur Korruptionsbekämpfung Angehörige einer Bundespolizeieinheit durch Militärpolizisten ersetzen – der erste Schritt zur ­Militarisierung der inneren Sicherheit. Am 11. Dezember 2006 ließ der dama­lige Präsident Felipe Calderón Militär­einheiten in den Bundesstaat Michoacán entsenden und erklärte dem organisierten Verbrechen den Krieg – dies gilt als der Beginn des mexikanischen Drogenkriegs.

Seit 2006 sind in Mexiko bei bewaffneten Konflikten zwischen Kartellen, Banden und Staatsorganen schätzungsweise 200 000 Menschen ums Leben gekommen, Zehntausende sind verschwunden und Hunderttausende wurden vertrieben. Das »Gesetz zur inneren Sicherheit« wurde just zum Ende des blutigsten Jahres der jüngeren mexikanischen Geschichte verabschiedet. 2017 gab es in Mexiko der Regierung zufolge 29 168 Morde, 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Die wirkliche Zahl könnte noch höher liegen. Dabei war Peña Nieto mit dem Versprechen angetreten, den Drogenkrieg zu befrieden.

Sich auf die militärische Zerschlagung der Kartelle zu konzentrieren, führe also nicht nur zu deren Militarisierung, sondern auch zur permanenten gewaltförmigen Transformation.

Während Polizei, Armee und etablierte Politik die Lösung des Konfliktes meist in der militärischen Zerschlagung der mächtigen Drogenkartelle sehen, betrachten Kritiker gerade diese Strategie als Ursache der stetigen Brutalisierung. Hauptziel der Sicherheitskräfte ist bislang die Festnahme oder Liquidierung der Führungsriegen der Kartelle. Am 23. März 2009 veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft eine Liste von 37 Drogenbossen, nur noch drei davon sind am Leben und in Freiheit.

Der Historiker Froylán Enciso, der sich mit der politischen Ökonomie der Kartelle beschäftigt, weist darauf hin, dass gerade diese »Königskegel-Strategie« Hegemoniekämpfe zwischen den netzwerkartig organisierten Kartellen und Unterkartellen begüns­tige. Sich auf die militärische Zerschlagung der Kartelle zu konzentrieren, führe also nicht nur zu deren Militarisierung, sondern auch zur permanenten gewaltförmigen Transformation. So seien heute mehr Kartelle landesweit präsent und diese seien weitaus fragmentierter und gewalttätiger als zu Beginn des Drogenkriegs.

Neben einer weiteren Brutalisierung des Drogenkriegs fürchten Kritiker des Sicherheitsgesetzes auch den vermehrten Einsatz des Militärs als Repressionsorgan. So wurden der staatlichen Nationalen Kommission für Menschenrechte (CNDH) zufolge seit 2006 an die 10 000 Fälle von Menschenrechtsverstößen durch Soldaten gemeldet. In Mexiko, einem der korruptesten Länder der Welt, bleiben die Täter meist straflos. Gerade die vage Definition der polizeilichen Aufgabe des Militärs, »Kriminalität« und »Gefahr« zu bekämpfen, ­ermögliche, so die Befürchtung von Menschenrechtlern, die Kriminali­sierung sozialer Bewegungen und Repression gegen die Zivilgesellschaft.

Als Präzedenzfall für die Auswirkungen des neuen Gesetzes gelten Menschenrechtlern Ereignisse Anfang Januar in der Gemeinde La Concepción nahe des Touristenortes Acapulco, der im besonders von Gewalt gezeichneten Bundesstaat Guerrero liegt. Hier gingen Militär und Bundespolizei unter Anwendung heftiger Gewalt gegen Angehörige von Drogenbanden, vor allem aber gegen Mitglieder einer Bürgerwehr und Gegner eines Wasserkraftprojekts vor. Vielerorts in Mexiko haben sich wegen der herrschenden Straflosigkeit und Korruption sowie der Kooperation lokaler Ordnungskräfte mit dem organisierten Verbrechen bewaffnete Bürgerwehren gegründet. In La Concepción starben fünf Ange­hörige der Bürgerwehr, drei davon wurden Medienberichten zufolge von Soldaten extralegal hingerichtet.