Ist das Konzept »Intersektionalität« politisch sinnvoll?

Diskriminierung komplett

Seite 2 – Wozu kann man den Begriff der Intersektionalität noch gebrauchen?

 

Hier wird der Zirkelschluss des ­Intersektionalitätsansatzes deutlich: Als Identitätskritik angelegt, findet man sich plötzlich in einer deutlichen Konzentration auf die unterschiedlichsten Identitäten und daraus abgeleiteten Privilegierungen und Marginalisierungen wieder. Knapp zufolge wird aus diesen kategorialen Zuschreibungen eine aktivistische und auch theoretisch formulierte Moral, weil das Paradigma der social dominance theory im Mittelpunkt stehe. Hier liegt der Fokus auf Machtgefällen und Gegenüberstellungen, die mit der Vorstellung eines tatsächlich vielschichtigen Vorgangs der Subjektwerdung unvereinbar geworden sind. Die wich­tige Kritik an Diskriminierung und Gewalt wird derart eng geführt, schreibt Knapp, dass eine »umfassende Perspektive auf Gesellschaft und Subjektivität im feministischen Diskurs« verschwinde.  Die »norm­kritische Stoßrichtung der Intersektionalitätsforschung schlägt«, wie Zander ausführt, »um in Hypernormativität«.

Karin Stögner spitzt diese Kritik in ihrem Artikel zu: So gehe der intersektionale Ansatz, oder das, was aus ihm gemacht wurde, nicht nur an der sozialen Realität der Individuen vorbei, sondern bewerte darüber ­hinaus Phänomene entgegen der eigenen Verpflichtung, sich an Gerechtigkeit zu orientieren, höchst unterschiedlich. Antisemitismus werde ausgeblendet oder wie bei Jasbir K. Puar gegen die Betroffenen gewendet; die »nationale Selbstbestimmung von Juden und Jüdinnen« werde als »letzte Bastion des Imperialismus« an­gesehen. Ein Grund dafür sei das eingeschränkte Verständnis von Ethnie, das sich nur an der Unterscheidung von »weiß« und »schwarz« orientiere und mitunter dazu führe, »dass die Shoah als ein Verbrechen angesehen wird, das Weiße an Weißen begangen haben«.

Es stellt sich die Frage, wozu man den Begriff der Intersektionalität und die mit ihm einhergehende Privilegienkritik in der derzeit gängigen Form politisch und theoretisch noch gebrauchen kann. Boger wird da recht deutlich und spricht von einem Horrorkabinett, in dem kumu­lativer Schaden ermessen und hervorgehoben werde, man dehumanisierende Wortketten bilde und im Aktivismus mit »intersektionalen Bull­shit-Bingo-Privilegientests« in die Praxis überführe. Dem gegenüber steht das mehrfach diskriminierte Subjekt eigentlich im Gegensatz zum Intersektionalitätsansatz, da es den Wortketten der X-Y-Z-Identitätsreihen nicht entspreche.

Die Autoren und Autorinnen fordern eine Rückbesinnung auf die Ideen Crenshaws, eine Veränderung des Konzepts oder regen an, ganz auf den Begriff zu verzichten. So hat sich Mai-Anh Boger ihre bisherigen Veröffentlichungen nochmals angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie das Wort »Intersektionalität« in ihren Texten genauso gut ersatzlos streichen könnte, ohne deren Aussage zu verändern. »Intersektional« sei ihr zufolge ein Hinweis darauf, dass man sich einem Paradigma verschreibe, das die unterschiedlichen Facetten von Unrecht und Diskriminierungen anerkennt. Ob es dieses Etikett allerdings braucht, stellen nicht zuletzt die angeführten Autorinnen und Autoren in Frage.

 

Andrea Arnold et al. (Hrsg.): Intersektionalität. In: Psychologie & Gesellschaftskritik, Heft 2, 2017, Nr. 162. Pabst Science Publishers, Lengerich 2017, 13 Euro