Die »MeToo«-Kampagne hat den Feminismus rehabilitiert

»Me Too« und die Befreiung des Sex

Seite 2 – Die Cocktail-Hedonisten
Essay Von

Wie aber kam #MeToo überhaupt in Berührung mit dem Vorwurf der Sexfeindlichkeit? Durch eine kolossale Diskursvermischung.

Zunächst aber durch eine allgemeine, heilsame Verunsicherung unter Männern, die befürchteten, für kleinere Grenzüberschreitungen auf irgendwelchen Arschlochlisten zu landen oder dass jeglicher Flirtversuch ihnen als Missbrauch angerechnet werden könnte. Die kollektive Angst sprach auch Bände darüber, inwiefern Männer nicht nur Täter, sondern selbst Opfer des patriarchalen Systems sind, da sie ein Machtgefälle verinnerlicht zu haben scheinen, das sie auch dazu drängt, gegen ihre Neigung sexistisch zu sein. Das Misstrauen gegenüber den Frauen kann somit auch camoufliertes Misstrauen gegen sich selbst sein.

Intellektuell aber wurde #MeToo von einer Armada freidenkerischer Kulturkritiker in Schlepptau genommen.

Deren größtes Schlachtschiff stellt die Fregatte Adults for Adults dar, ihr Skipper ist der Kulturtheoretiker Robert Pfaller. Slavoj Žižek und Yannis Varoufakis prangen von ihrer Musterrolle, und in etlichen Ländern hat dieses diskursive Franchise-Netzwerk seine eigenen Filialen. Besonders zieht es emanzipierte Frauen an, die keine Emanzen sind. Im Standard hatte der österreichische Ableger kürzlich in einem Pamphlet gegen #MeToo mit der Faust auf einen Tisch hauen wollen, der sich allerdings in einem anderen Zimmer befand (Mehr dazu).

An den Argumenten gegen neuen Puritanismus, Reglementierungswahn und Identitätspolitik stimmt alles außer zwei Aspekten. Die Crew selbst stimmt nicht, sie hat fremde Schiffe gekapert und schmückt sich mit dem Beutegut verdienterer Diskurspiraten, und auch die Objekte, gegen die sie ihre Erkenntnisse in Stellung bringt, sind die falschen.

Der moralisch ambivalente Cocktail-Hedonismus – nennen wir ihn so, um uns weitere Polemik zu ersparen – schafft sich seine lüsterne Souveränität nur mithilfe eines Otherings: durch die Konstruktion einer spaßlosen sexual correctness.

Einen häufig gebrauchten Anekdotenschatz liefert ihm die Correctness-Praxis an US-Universitäten, wo Mittelstandstudenten per Selbstviktimisierung nichts anderes zu tun scheinen, als Verstöße gegen alle Formen approbierter Korrektheit zu ahnden. Kein Feuilletonist, der sich nicht bereits mokiert hat über das System der Triggerwarnungen, mit dem Dozenten auf potenziell unkorrekte und die Gefühle essenzialisierter gesellschaftlicher Gruppen beleidigender Inhalte hinweisen müssen. Die Ironie darüber überbietet die Einfältigkeit der PC-Polizei nur geringfügig und hat vorrangig die Funktion, durch Aufzeigen der parodistischen Auswüchse von PC auch deren sinnvollen Aspekte in Misskredit zu bringen.

Das zweifelhafte Verdienst der Cocktail-Hedonisten besteht darin, die mitunter brillante Kritik an linksliberaler Identitätspolitik und an der Substitution politischer Ökonomie durch Regelwerke zwischenmenschlichen Umgangs und anderer Überbaukorrekturen in Eiswürfelformen gegossen zu haben. Das zu Meinungen tiefgefrorene Denken anderer bieten sie in Cocktails dann ihren Partygästen an, die sich – wie sie selbst übrigens – in den letzten Jahrzehnten weder bei emanzipatorischen Kämpfen noch in den Arenen des kritischen Denkens blicken ließen.

Wie immer lästern sie über die Linke. Mit den neuen Argumentationshäppchen können sie es diesmal ausnahmsweise von links tun und ihr vorwerfen, dass sie – anstatt den Kapitalismus oder Schnösel wie sie zu dekonstruieren – nichts Besseres zu tun habe als Binnen-Is zu affichieren. Wer jahrzehntelang aus linker Perspektive linken Moralismus bekämpft hat und nun mit ansehen muss, wie jeder neoliberale Second-Hand-Intellektuelle die eigenen Erkenntnisse marktfertig zurechtgeschnitten in seiner Feuilletonpfanne herausbrät, um sich der PC überlegen zu fühlen, würde sich am liebsten mit den Objekten dieser Kritik gegen die geistigen Trittbrettfahrer verbünden.

Man erkennt das berufsmäßige Aussetzen des Denkens in Zeitungen und Blogs überall dort, wo PC-Politik an US-Unis kausal mit #MeToo kurzgeschlossen wird.

 

Puritanismus und Reglementierung

Einen wahren Kern hat die gedankenlose Gleichsetzung von #MeToo mit Sexfeindlichkeit. Einige Blockwarte der Korrektheit lassen sich die Gelegenheit bestimmt nicht entgehen, dem organisierten Widerstand gegen sexuelle Gewalt ihr pathisches Bedürfnis nach Ordnung und Kontrolle der Lust aufzudrängen.

Dem Moralisten ist nie so sehr die Abneigung gegen das moralisch Verwerfliche wichtig, das er ja zur Selbstversicherung braucht wie der Feuerwehrmann den Scheunenbrand. Sein wahrer Feind ist das moralisch Uneindeutige. Diesem will er ein für alle mal den Garaus machen. So wie der positivistische Rationalitätsneurotiker jede Ambivalenz als Systemfehler wertet, so wie der Kontrollfreak Asymmetrien und ungerade Winkel als existenzielle Bedrohung wahrnimmt, so versucht auch der Puritaner, ihm unerträgliche Unwägbarkeiten, Grauzonen und Ambiguitäten strikten Regeln zu unterwerfen. Ein persönliches Defizit will er zur Norm erheben.

 

Der Unterschied zwischen #MeToo und Puritanismus ist ebenso simpel wie komplex. #MeToo will die Sexualität von gesellschaftlicher Macht säubern, der Puritanismus will die Sexualität vom Sex säubern.

 

Der Unterschied zwischen #MeToo und Puritanismus ist ebenso simpel wie komplex. #MeToo will die Sexualität von gesellschaftlicher Macht säubern, der Puritanismus will die Sexualität vom Sex säubern.

Beglückende Sexualität bedeutet Selbstentgrenzung, Selbstaufgabe, Sich-fallen-Lassen. Der labile, zwingend narzisstische Persönlichkeitstypus unserer Zeit muss alles tun, um Grenzen um sich zu ziehen, welche die disparaten Teile seines Ichs wie Draht zusammenhalten. Er arbeitet permanent daran, sich nicht zu verlieren, was eine befriedigende Sexualität völlig ausschließt. Eine wandelnde Wehranlage ist dieses neoliberale Persönlichkeitssubstitut. Weil aber Asexualität in der Wellness- und Selbstoptimierungsdiktatur so ziemlich das unattraktivste Stigma vorstellt, tapeziert dieses fragile Ich seine Zellenmauern mit den üblichen marktgängigen Selbstpornografisierungsemblemen.

Die Trennung von Sexualfeindlichkeit und dem bloßen Kampf gegen Macht wird aber durch jene Grauzone erschwert, wo Menschen gezwungen waren, Sex als Missbrauch, Verdinglichung und Abwertung zu erfahren. Die subjektive Opferposition ist dann sehr real. Und wenn diese Frauen (aber auch Männer) eine etwas harmlose sexual correctness einfordern, und ultrarespektvollen Kuschelsex  der Welt als einzig lustfähige Norm aufzudrängen trachten, dann, weil sie animalischen Sex leider nur mit männlicher Primitivität verbinden können.  

Das Teuflische an der political correctness ist ja, dass der berechtigte Kampf gegen Diskriminierung und unmittelbare wie strukturelle Gewalt jene puritanische Bewusstseinsstruktur anzieht wie Feuchtigkeit den Pilz.

In ihrem Narzissmus komplementieren sexuell Übergriffige und Puritaner einander sogar. Beide fühlen sich durch Sexualität und ihr identitätsauflösendes Potenzial bedroht. Dem narzisstischen Mann bietet die Geschlechterungleichheit die Möglichkeit, sein wackeliges Ego und seine zutiefst existenzielle Impotenz durch sexistische Macht und Abwertung von Frauen zu kompensieren. Prüde Menschen mögen jeden sexuellen Akt als Bedrohung und als Überschreiten ihrer Grenzen empfinden, weshalb sie emanzipatorische Bewegungen wie die feministische mitunter mit ihrer Sexfeindlichkeit zu hegemonialisieren versuchen.

 

Wirklich emanzipatorische Weltverbesserer kämpfen nicht nur für Respekt und Anerkennung, sondern vor allem gegen institutionelle und materielle Gewalt und fördern, in der Sexualität und allen anderen Lebensbereichen, ein Glück, das sich aus Entgrenzung und nicht Eingrenzung, aus der Lust an der Hingabe und nicht an der Selbstbeschränkung nährt.

 

Sie bannen ihre Selbstauflösung, indem sie die gesamte bedrohliche, unverstandene Sexualität um sie herum in ein Minenfeld aus Verordnungen und Geboten zu verwandeln trachten. Da ihnen Spontaneität und schöpferische Kraft abhanden kamen, müssen diese noch bis zum letzten Sehnsuchtströpfchen aus dem Sexus gepresst werden. Prüde profitieren von der patriarchalen Gewalt, weil sie ihr Phantasma vom prinzipiellen Machtcharakter der Sexualität aufrechterhält, vor welcher sie sich und andere durch permanenten Opferstatus schützen wollen. Solange sie genug Mitstreiterinnen finden, die alles Derbe, Animalische und Orgiastische als maskuline Primitivität codieren, fällt nicht auf, dass sie diese Qualitäten auch bei völliger Geschlechtergleichheit und Genderpluralität verdammen würden.

Der Wunsch, lediglich  händchenhaltende, emotionell gedeckte Weichzeichnersexualität zuzulassen, ist vom geheimen Wunsch gesteuert, sie gänzlich zu ersticken. Alle Diskurse, mit denen sich ihre Abneigung gegenüber unmittelbar Körperlichem rationalisieren lässt, sind ihnen willkommen, sei es die kultivierte Arroganz gegenüber Enthemmung, sei es ein Vulgärfeminismus, bei dem der Mann schon aufgrund seiner Physis immer der Vergewaltiger ist, die Frau immer das Opfer, das es nicht will, und wenn schon, dann bloß patriarchales Begehren verinnerlicht hat.

Und noch mehr als die Belästiger müssen die Prüden jene überwiegende Mehrheit der neueren Feministinnen hassen, die ein extrem hedonistisches, „sexpositives“ Leben einfordern. Denn sie zerstören ihren Mythos von der Frau, die es auch will, als naiver, tussiger Erfüllungsgehilfin männlicher Geilheit.

Kurzum, Puritaner, Reglementierer und PC-Sturmstaffeln wollen nicht Fehlverhalten ahnden, sondern alle Zonen trockenlegen, die sich ihrer Ordnung, ihrer moralischen Eindeutigkeit entziehen. Diese Ambitionen entspringen fast immer einem sehr bürgerlichen und identitätspolitischen Bewusstsein, das glaubt, gesellschaftlichen Missständen mit Benimmregeln beikommen zu können.
Wirklich emanzipatorische Weltverbesserer kämpfen nicht nur für Respekt und Anerkennung, sondern vor allem gegen institutionelle und materielle Gewalt und fördern, in der Sexualität und allen anderen Lebensbereichen, ein Glück, das sich aus Entgrenzung und nicht Eingrenzung, aus der Lust an der Hingabe und nicht an der Selbstbeschränkung nährt.