Die Noise-Rock-Bands Gewalt und Friends of Gas laden zum »Großen Schlachtfest« ein

Mit Gewalt geht alles besser

In den vergangenen Jahren hatten deutschsprachige Noise-Rock-Bands Konjunktur. Mit Gewalt und Friends of Gas gehen zwei der profiliertesten jetzt unter dem Motto »Das große Schlachtfest« zusammen auf Tour.

Sie hätten sicherlich genügend starke Songs zusammen, um ein grandioses Debütalbum zu veröffentlichen, doch der erste Longplayer der Berliner Noise-Band Gewalt lässt weiter auf sich warten. Der Grund: Die Band hat gar nicht vor, ein Album zu veröffentlichen. Stattdessen veröffentlichen sie 7-Inch-Singles, nach dem Motto: Sobald neue Stücke fertig sind, müssen sie sofort rausgefeuert werden. Diese ­erscheinen auf ständig wechselnden kleinen, aber feinen Indie-Labels.

Auf dem Hamburger Label Sounds of Subterrania erschien im Dezember 2017 die fünfte Single von Gewalt, »Limiter«, und – passend zur an­stehenden Tour von Gewalt mit ihren Geistesverwandten aus München, Friends of Gas – wurde nun die epische Single »Wir sind sicher« angekündigt, diesmal von dem Münsteraner Label This Charming Man verlegt. This Charming Man ist für die deutsche Noise- und Postpunk-Blüte entscheidend mitverantwortlich, hat das Label doch auch die ersten Werke von Bands wie Die Nerven oder Messer veröffentlicht.

 

Die harten, gradlinigen Beats von Gewalt kommen von einer Drum-Maschine, was dem Sound einen scharfen Industrial-Einschlag verleiht.

 

Mit Gewalt ist Patrick Wagner vor zwei Jahren als Musiker und Sänger zurückgekehrt, nachdem es seit der Auflösung seiner ehemaligen Band Surrogat 2003 und dem Ende seiner Plattenfirma Louisville 2010 für einige Jahre ruhiger um ihn geworden war. Bei Surrogat hatte Wagner nicht nur in den Songtexten mit seiner Selbst­inszenierung zwischen Größenwahn und Selbstzerfleischung polarisiert, wovon bei Gewalt allerdings eher Letztere übriggeblieben ist und sich ­verstärkt hat. Noch schonungsloser ist jetzt der gesellschaftspolitische Blick. Zum Beispiel ein verstörender Kommentar auf alltägliche Armut und den schnellen Weg dorthin in »So geht die Geschichte«: »Das ist mein Revier / Ich stoß den Penner an die Wand / Das neue Gold heißt Pfand / Ich trinke nicht / Ich will das Elend spüren / Bald kommt der ­Winter / Ich werde mich nicht mehr rühren.«

Augenzwinkernd führte Wagner zu Zeiten von Surrogat die Initialen g.a.G. für »größer als Gott« als Mittelnamen, noch heute findet man ­dieses Kürzel in seiner E-Mail-Adresse, unter der man direkt bei der Band die bisherigen Singles von Gewalt bestellen kann.
Die Gitarristin Helen Henfling, mit der er Gewalt gründete, traf Wagner im Umfeld der 8mm-Bar in Berlin-Mitte, in der es stets, fast schon ­konservativ, geschmackssichere Gitarrenmusik zu hören gibt. Henfling legte vor einigen Jahren regelmäßig dort auf. Bereits als Teenagerin hatte sie bei Wagners früherer Plattenfirma Kitty-Yo ein Praktikum gemacht, im Nachtleben trafen sich die beiden streng genommen also nur wieder. Henfling, die bessere Gitarristin, schreibt für Gewalt viele der Riffs. Das Trio wird von Yelka Wehmeier am Bass vervollständigt, die beruflich als Musiklehrerin und -therapeutin ­arbeitet. Die harten, gradlinigen Beats kommen derweil von einer Drum-Maschine, was dem Sound von Gewalt einen scharfen Industrial-Einschlag verleiht. Auch dies steht im Kontrast zu den postrockigeren Surrogat, wo Schlagzeugerin Mai-Linh Truong Vier-Viertel-Takte tunlichst vermied – und damit die Hörgewohnheiten von Hardrock- wie Indierock-Fans stra­pazierte.

 ­Friends of Gas

­Friends of Gas

Bild:
Susanne Beck

Gewalt erscheinen allerdings nicht weniger sperrig und brachial; erst recht bei ihren Liveauftritten, bei denen die Bühne lediglich von stro­boskopartigem Blaulicht beleuchtet wird. Menschen mit Neigung zu ­Migräne oder Epilepsie seien also vorgewarnt. Bei allen anderen Konzert­besuchen stellten sich bislang jedoch nur andere, hochwillkommene ­Nacken- und Kopfbeschwerden ein. Dass die Songtexte zumeist in der ersten Person geschrieben sind, sollte wiederum nicht als reine Selbstbezüglichkeit missverstanden werden. Schon bei der ersten Veröffentlichung »Szene einer Ehe« (2016, In A Car Records) wird unter anderem auf ­Ingmar Bergmans Filmklassiker mit dem nur leicht anderem Titel referiert, und auch bei den weiteren Stücken sowie vor allem den dazuge­hörigen Videos hagelt es Anspielungen und Zitate. Im Interview mit der Taz betonte Wagner indessen erst kürzlich die angestrebte Direktheit der Musik und Texte sowie die erhoffte Wirkung auf den Zuhörer: »Wenn man das erste Mal Bergman gesehen hat, ist man ja auch ein anderer Mensch. Dafür ist Kunst auch da. Die einzige Berechtigung, die Kunst hat, ist, dass sie einen Eingriff in die Persönlichkeit des anderen darstellen kann: Musik, Malerei, Film. Alles andere greift dich nicht an, ändert dich nicht.«

Die Sängerin von Friends of Gas, Nina Walser, hat ein ähnlich aus­geprägtes Talent für repetitive, sich langsam steigernde und zugleich griffigere Songtexte. Vergleichbar in ihrer existentiellen Nüchternheit sind Walsers Verse jedoch etwas abstrakter und gewissermaßen lyrischer als diejenigen Wagners, etwa in »Ewiges Haus«: »Ich hab nur einen Stein / eine Schere und Papier / das ist mein ewiges Haus.« Hinzu kommt ihre eigentümlich schneidende Stimme, die zwischen Flüstern und heiserem Schreien oszilliert.

 

Bei Friends of Gas handelt es sich um eine herausragende Liveband, deren Noise-Ausbrüche insbesondere auf der Bühne psychedelische Qualitäten besitzen

 

Friends of Gas haben Ende 2016 ihr Debüt­album »Fatal Schwach« bei Staatsakt veröffentlicht, es folgten einige ­euphorische Besprechungen in der Musikpresse. Aufgenommen wurde die Platte von Max Rieger (Die Nerven) in der Münchner Musikkneipe Kafe Kult, in dessen Umfeld sich mit den Experimentalrockerinnen von Can­delilla noch eine weitere außerordentliche Musikgruppe bewegt. Vor ­allem handelt es sich bei Friends of Gas aber um eine herausragende Live­band, deren Noise-Ausbrüche insbesondere auf der Bühne psyche­delische Qualitäten besitzen. Sie geben sich mehr Raum für Improvi­sation, was schon mal dazu führt, dass die Dauer der Stücke auf die Zehnminutenmarke zuläuft.

Vielleicht ergibt sich als Resultat der gemeinsamen Tour von Gewalt und Friends of Gas ja demnächst sogar eine gemeinsame Single der ­beiden Bands. Man kann ohnehin gespannt sein, wo zumindest Gewalt als Nächstes veröffentlichen wird. Bei einer der traditionsreichsten deutschen Noise- und Postrock-Adressen, dem 25 Jahre alten Fidel Bastro-­Label aus Hamburg, hat die Band bereits eine 7-Inch-Single heraus­gebracht, nämlich das Stück »Tier«, bei dem Max Gruber alias Drangsal mitsingt. Es ist bemerkenswert, wie eng in der letzten Zeit die Zusammenarbeit zwischen den inzwischen zahlreichen hiesigen Noise- und ­Indie-Bands und zudem zwischen den diversen kleinen Plattenfirmen ist. So entsteht hier offenbar ein Netzwerk zwischen Berlin, München, Stuttgart, Münster und Hamburg. Was allerdings aus Blunoise, dem deutschen Noiselabel schlechthin wird, bleibt abzuwarten. Blunoise, beheimatet in Köln und geleitet von dem Produzenten und Musiker Guido ­Lucas, der im September mit nur 53 Jahren gestorben ist, hatte seit Mitte der neunziger Jahre Bands wie Pendikel oder Porf – bei denen der spä­tere Titanic-Redakteur Stephan Rürup sang – herausgebracht. Neben den frühen Notwist und mehr noch der Berliner Band Mutter gehörten die bei Blunoise veröffentlichenden Bands zu den Vorreitern jener Musiker, die den hauptsächlich US-ame­rikanischen Sound importierten und adaptierten. Sowohl Gewalt als auch ­Friends of Gas haben diese Stiltradition hierzulande eindrucksvoll fort­gesetzt.

 

Gewalt: Wir sind sicher / Guter Junge, böser Junge. (This Charming Man)
Gewalt und Friends of Gas touren gemeinsam vom 2. bis 10. Februar im deutschsprachigen Raum.