Das Verbot jüdischer Sportvereine in der Sowjetunion vor 95 Jahren

Konterrevolutionäre zionistische Hydra

Vor 95 Jahren wurden jüdische Sportvereine in der Sowjetunion verboten. Vor allem die zionistische Maccabi-Bewegung war bei Kommunisten verhasst.

In Der Emes, einer jiddischsprachigen sowjetischen Zeitung, erschien 1921 ein Artikel mit der Überschrift: »Die Zionisten jagen der Revolution ein Messer in den Rücken«. Wenige Tage danach forderte die Publikation Zhizn’ Natsional’nostei die sowjetische Regierung auf, »die konterrevolutionäre zionistische Hydra zu liquidieren«. Als Haupt der Hydra machte man zielsicher die Maccabi-Sportvereine aus, in denen Juden so konter­revolutionären Betätigungen wie Fußballspielen oder Schwimmen nachgingen.

Die Kampagne gegen explizit jüdische Vereine und Organisationen in der Sowjetunion wurde bemerkenswerterweise vor allem von jüdischen Funktionären der Kommunistischen Partei geführt und von jüdischen Journalisten publizistisch begleitet. Die Partei selbst gab sich zunächst toleranter und verlangte von den Sportvereinen lediglich, sich nicht offen »konterrevolutionär« zu betätigen. Erst 1923 konnten die ­Antizionisten ein Verbot der Maccabi-Dachorganisation in der Sowjet­union durchsetzen. Nach und nach schloss auf dem Gebiet der Union ein Maccabi-Verein nach dem anderen, bis Ende der zwanziger Jahre keine dezidiert jüdische Sportorganisation mehr auf sowjetischem Boden existierte.

 

Der Name der späteren größten jüdischen Sportorganisation, Maccabi, sollte an den Befreiungskampf der israelischen Makkabäer gegen das Seleukiden-Reich erinnern, benannt nach ihrem Anführer Jehuda haMakabi.

 

Um zu verstehen, was damals in der Sowjetunion vor sich ging, muss man sich die Geschichte der Maccabi-Bewegung genauer anschauen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wollte eine junge Generation von Jüdinnen und Juden an der in ganz Europa aufblühenden Begeisterung für sportliche Betätigung teilhaben, stieß aber allzu oft auf Antisemitismus und frühe »Arierparagraphen« in den Vereinen, die meistens keine jüdischen Mitglieder ­haben wollten. Ab der Jahrhundertwende entstanden daher in Österreich-Ungarn, Deutschland, der Schweiz und Skandinavien jüdische Sportvereine, ein Trend, der sich schon bald bis nach Russland ausbreitete.

Der Name der späteren größten jüdischen Sportorganisation, Maccabi (in Deutschland: Makkabi), sollte an den Befreiungskampf der israelischen Makkabäer gegen das Seleukiden-Reich erinnern, benannt nach ihrem Anführer Jehuda haMakabi. 1921 wurde die Maccabi World Union auf dem 12. Zionistenkongress in Karlsbad gegründet und 1929 hatte sie bereits mehr als 100 000 Mitglieder. Maßgeblichen Einfluss auf die Bildung und weltanschauliche Ausrichtung zionistischer Sportvereine hatte der Arzt und Schriftsteller Max Nordau, Theodor Herzls rechte Hand.

Beim zweiten Zionistenkongress 1898 hatte Nordau die Forderung ­erhoben, man solle ein »Muskeljudentum« schaffen, worunter er vor allem verstand, Juden sollten sich körperlich so ertüchtigen, dass sie im künftigen eigenen Staat, den Nordau in Uganda errichten wollte, schwere körperliche Arbeiten verrichten und sich gegen Angreifer verteidigen könnten. In Sportvereinen sah Nordau, darin anderen Ideologen von Nationalbewegungen seiner Zeit nicht unähnlich, eine ideale Basis, aus »Talmudjuden«, wie er Intellektuelle zu schmähen pflegte, körperlich starke Tatmenschen zu machen. Nordau war freilich auch Rassist, Sozialdarwinist, Kulturpessimist und Schöpfer des unseligen Begriffs »Entartung«, mit dem er die seiner Ansicht nach verweichlichten und vergeistigten kulturellen Strömungen des fin de siècle belegte. Nordaus rassistische Vorstellungen wurden allerdings innerhalb der zionistischen Bewegung nie mehrheitsfähig.