Das »Holocaust-Gesetz« in Polen bleibt umstritten

Die Verbrechen der anderen

Der Wehrmachtssoldat lässt das Feuer seines Flammenwerfers auf die Häuserfront treffen. Die Häuserflucht ist in dunkle Töne getaucht. Schnitt. Auf einer Karte Europas überschwemmen das Schwarz von Nazideutschland und das Rot von Sowjetrussland das Territo­rium Polens, gekennzeichnet vom Wappenadler mit Krone. Hinter diesem Clip könnte man den Trailer zu einem neuen Strategiespiel vermuten, doch die folgende Einblendung »Juden und Polen litten gemeinsam unter deren Terror« passt nicht dazu. Ebenso wenig, dass es die Staatskanzlei des polnischen Ministerpräsidenten ist, die den Clip über ihren Youtube-Kanal verbreitet und dafür auf Youtube und Twitter wirbt. Das Ganze ist aus Steuer­geldern bezahlt und der Clip endet mit einer Einstellung der berüchtigten Rampe von Auschwitz, während am Horizont der Schriftzug »#German­DeathCamps« erscheint.

Der Werbeclip ist der neuste Coup von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der nationalkonservativen Partei PiS, um ein vergangene Woche verabschiedetes Gesetz zu bewerben, das für internationale Aufregung gesorgt hat. Es verbietet unter anderem, von »polnischen Todeslagern« zu sprechen, wenn es um die Konzentrations­lager auf besetztem polnischem Gebiet während des Zweiten Weltkriegs geht. Zudem ist verboten, »öffentlich und entgegen den Fakten« zu behaupten, der polnische Staat oder die Bevölkerung seien in irgendeiner Weise mitverantwortlich für Naziverbrechen gewesen. Das Gesetz sieht explizit vor, Zuwiderhandlungen weltweit zu verfolgen, es drohen Geldstrafen oder bis zu drei Jahre Haft. Nach Lesart der regierenden Nationalisten will man sich vor falschen Unterstellungen schützen und klar­machen, wer historische Verantwortung trage. Bei seiner Unterzeichnung vergangene Woche teilte Präsident Andrzej Duda mit, das Gesetz werde noch vom Verfassungsgericht geprüft – ein ­Gericht, das er vergangenes Jahr selbst handlungsunfähig gemacht hatte.

 

Wenn Morawiecki nun den Begriff »polnische Todeslager« verbietet und seine Liebe zum Staat Israel entdeckt, ist das ein durchschaubares Manöver, mit dem Nationalisten europaweit zu punkten versuchen: mit der Berufung auf nationale Mythen und die eigene Opferrolle.

 

Insbesondere aus den USA und Israel gab es Kritik am sogenannten Holocaust-Gesetz. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte: »Das Gesetz ist haltlos. Ich lehne es strikt ab.« Staatspräsident Reuven Rivlin ergänzte: »Auch unter den Polen gab es solche, die den Nazis bei ihren Verbrechen geholfen haben. Jedes Verbrechen, jedes Vergehen muss verurteilt werden.« Die Regierenden in Polen, die sich ungern als Antisemiten bezeichnen lassen, versuchten es mit einer Charmeoffensive. Ministerpräsident Morawiecki twitterte die große Versöhnung herbei: »Polen und Israel haben 2016 eine Erklärung herausgegeben, in der sie allen Versuchen widersprachen, die Geschichte des polnischen und des jüdischen Volkes zu entstellen – durch das Leugnen oder Verkleinern der Opfer der Juden während des Holocausts oder durch die Verwendung falscher Begriffe wie ›polnische Todes­lager‹.«

Dabei teilt Marawiecki eine Sichtweise, die eine lange Tradition bei Polens ­Nationalisten hat: Wer Pole ist, kann kein Jude sein, und umgekehrt. Unter ­Józef Piłsudski, von 1926 bis zu seinem Tod 1935 Staatsoberhaupt der Zweiten Polnischen Republik, ging der Antisemitismus Ende der zwanziger Jahre etwas zurück, doch verschlechterte sich die Situation nach dessen Tod wieder deutlich. So kam es, dass bereits vor dem deutschen Einmarsch jüdische Polen aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden und Morde an Juden und Plünderungen ihrer Geschäfte an der Tagesordnung waren.

Wenn Morawiecki nun den Begriff »polnische Todeslager« verbietet und seine Liebe zum Staat Israel entdeckt, ist das ein durchschaubares Manöver, mit dem Nationalisten europaweit zu punkten versuchen: mit der Berufung auf nationale Mythen und die eigene Opferrolle.

Ganz offen trat diese Strategie der polnischen Nationalisten beim PiS-­Europaabgeordneten Ryszard Czarnecki zutage. Er beschimpfte die polnische Oppositionspolitikerin Róża Thun für ihre Kritik an der umstrittenen Justiz­reform, die die Unabhängigkeit der polnischen Justiz abgeschafft hat. Dabei nutzte Czarnecki zur Beschreibung Thuns die Begriffe »antipolnisch« und szmalcownik. Mit letzterem Begriff wurden Personen ­bezeichnet, die während der Besatzung Polens versteckte Juden für Geld aus­findig machten und sie und ihre Beschützer erpressten beziehungsweise an die deutschen Besatzer verrieten. Wegen des Nazivergleichs verlor Czar­necki seinen Posten als Vizepräsident des Europaparlaments. Eine Entschuldigung hatte er zuvor abgelehnt. Mora­wiecki fand, dass in einer Debatte eben ab und an »schärfere Worte« in einer Debatte gebraucht würden und dass Czarnecki »natürlich nicht sein Amt verlieren« sollte.

Mit dem neuen Gesetz versucht Morawiecki, die polnische Bevölkerung für die Politik der Nationalisten zu gewinnen. Das funktioniert besonders gut, wenn es gegen vermeintliche Feinde im Ausland geht, vor allem gegen Deutsche und Russen. So warf Morawiecki direkt nach seinem Amtsantritt im Dezember 2017 Deutschland vor, dass es ja selbst kein unabhängiges Justizsystem habe und deswegen die Kritik an der Abschaffung der unabhängigen Justiz in Polen nicht fair sei. Als sich in der deutschen Regierung dadurch niemand zu irgendetwas veranlasst sah, versuchte er es mit Forderungen nach vermeintlich ausstehenden Reparationszahlungen. Das löste in Deutschland zwar Empörung im Internet aus, doch in Polen nahm es niemand wirklich ernst.

Beim neuen »Holocaust-Gesetz« ist das nun anders, verknüpft es doch ­geschickt den Stolz der Polen auf ihren Widerstand im Zweiten Weltkrieg mit einer Verteidigung gegen den vermeintlichen Versuch der Deutschen, ihre Schuld am Holocaust auf Kosten der Polen zu relativieren. Zudem hilft es dabei, die Verantwortung polnischer Kollaborateure auszublenden und den Zweiten Weltkrieg nicht differenziert wahrnehmen zu müssen, sondern wie in einem Videospiel, dessen Trailer der Ministerpräsident nun selbst verbreitet.