Deutschland steht in den USA wegen des Genozids an den Ovaherero und Nama vor Gericht

Völkermord vor Gericht

110 Jahre nach dem Genozid an den Ovaherero und Nama wird weiter über den Umgang mit der deutschen Verantwortung gestritten. Vor einem New Yorker Bezirksgericht ist Deutschland angeklagt, doch die Bundesrepublik betrachtet die Klage als unzulässig.

Eigentlich wollte die Bundesregierung doch möglichst schnell klären, wie sie mit der deutschen Kolonialvergangenheit im heutigen Namibia umgehen soll – doch nun ist ein Schlamassel entstanden. Möglichst noch vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst hätte man sich für den Völkermord an den Ovaherero und Nama entschuldigen wollen, wäre es nach den drängelnden deutschen Teilnehmern an den Verhandlungen mit der namibischen Regierung gegangen. Stattdessen spitzen sich die Interessenkonflikte innerhalb Namibias zu – und die Bundesrepublik Deutschland ist nun in einem New Yorker Bezirksgericht angeklagt.

Die Bundesregierung hatte 2014 begonnen, ohne Einbeziehung der Verbände und traditionellen Autoritäten der Ovaherero und Nama, mit der ­namibischen Regierung zu verhandeln. Zwar ist mit dem 2015 eingesetzten Sonderbeauftragten Zedika Ngavirue auch ein Herero vertreten und weitere Ovaherero gehören der Regierungskommission an. Doch sie vertreten unterschiedliche Interessen, vor allem aber repräsentieren sie die namibische ­Regierung und deren Staatsbürger – und eben nicht die Opferverbände, die traditionellen Autoritäten der Ovaherero und Nama sowie die Organi­sationen jenseits der namibischen Grenzen, etwa in Botswana, Südafrika, ­Kanada und den USA.
Diese hatten deshalb vor einem Jahr Klage gegen Deutschland eingereicht. Das Oberhaupt der Ovaherero, Vekuii Rukoro, das vor wenigen Wochen verstorbene Oberhaupt der Nama, David Frederick, und die »Association of the Ovaherero Geno­cide in the USA« mit dem Vorsitzenden Barnabas Veraa Katuuo wollten mit der Klage Entschädigungszahlungen erstreiten wegen des Völkermords an den Ovaherero und Nama, den die Kolonialtruppen des deutschen Kaiserreichs zwischen 1904 und 1908 ver­übten.

Die Kläger verlangten keine individuellen Entschädigungen, sondern die Einzahlung von Wiedergutmachungszahlungen in einen kommunalen ­Aufbaufonds. Die Größe dieses Fonds soll dem von Deutschland zu bestimmenden Wert des im Zuge des Völkermords geraubten Lands, Viehs und ­Eigentums entsprechen. Ferner soll in diesen Fonds eine empfindliche Geldstrafe einfließen, um Deutschland in Zukunft von derart »eklatanten und empörenden Völkerrechtsbrüchen« abzuhalten. Ferner fordern die Kläger, an den Verhandlungen über den Umgang mit dem Völkermord beteiligt zu werden, die die deutsche und die namibische Regierung seit 2014 miteinander führen. Dabei berufen sie sich auf die UN-Konvention über die Rechte ­indigener Völker von 2007, die vorsieht, dass diese an Verhandlungen beteiligt werden sollen, die sie unmittelbar betreffen.

 

Die zuständige Bezirksrichterin Laura Swain kündigte an, notfalls auch ohne Vertreter Deutschlands zu entscheiden.

 

Vertreter der Bundesrepublik blieben den Gerichtsterminen bislang fern. Die Bundesregierung behauptete, keine Gerichtsunterlagen erhalten zu haben und nur aus den Medien von der Klage zu wissen. Unter Hinweis auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staaten­immunität hatte der für die Zustellung ausländischer Zivilklagen zuständige Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im vergangenen Sommer die Weiterleitung der 22seitigen Klageschrift an die Bundesregierung blockiert.

So musste sich der Anwalt Kenneth McCallion, der vor fast 20 Jahren ehe­malige Zwangsarbeiter bei Entschädigungsklagen gegen Deutschland und deutsche Firmen vertrat, einen anderen Zustellungsweg ausdenken. Dieses Mal ging er den Weg über das US-amerikanische State Department an das Auswärtige Amt. Vielleicht war es aber auch ein freundlicher Hinweis der zuständigen Bezirksrichterin Laura Swain, der Deutschland nun bewog, sich bei der Verhandlung Ende Januar von einem Anwalt vertreten zu lassen: Swain hatte angekündigt, notfalls auch ohne Vertreter Deutschlands zu entscheiden.

 

Es geht um Anerkennung, Entschul­digung und Entschädigung

 

Das Auswärtige Amt äußert sich nicht zum laufenden Verfahren, sagt aber, dass zunächst prozedurale und keine inhaltlichen Fragen erörtert worden seien. Man habe das Gericht nur wissen lassen, dass die Klage unzulässig sei. Diesen Antrag wies die Richterin allerdings aus formalen Gründen ab. Zunächst muss nämlich der Versuch einer Einigung mit den Klägern unternommen werden. Jephta Nguherimo aus Washington ist zufrieden, denn zum ersten Mal sei Deutschland gezwungen gewesen, einen Vertreter zur Anhörung zu schicken. Das sei ein Erfolg, so der Mitbegründer des »Ovaherero, Mbanderu and Nama Genocide Institute« in den USA. »Ungeachtet dessen prüfen wir weitere Optionen, einschließlich der Möglichkeit, sich an die europäischen und deutschen Gerichte zu wenden«, sagte der Sozialwissenschaftler und Bildungsmanager der Jungle World. Es gehe um Anerkennung, Entschul­digung und Entschädigung: »Das ist ein Kampf, den wir bereit sind zu führen – für unsere Vorfahren und für zukünftige Generationen«, so Nguherimo. Unter anderem wegen des Todes von David Frederick, der einer der Hauptkläger war, muss die Klage in abgeänderter Form eingereicht werden. Die nächste Gerichtsanhörung ist für Anfang Mai geplant.

Unterdessen gehen die Regierungsverhandlungen weiter. Das nächste Treffen soll im Frühjahr in der namibischen Hauptstadt Windhoek stattfinden. Eine im Rahmen der Verhandlungen erstellte Präsentation des deutschen Botschafters Christian Schlaga vom Oktober wurde kürzlich der Presse zugespielt. Darin legt Deutschland der ­namibischen Regierung einen Maßnahmenkatalog für die Unterstützung »früher benachteiligter Gruppen« in sieben Regionen vor. Bis 2030 sollen 289 Millionen Euro in die Landreform, in Berufsausbildung, ländliche Elek­trifizierung und Hausbau fließen. »Ehrlich gesagt beleidigen diese Vorschläge die Intelligenz der betroffenen Gemeinschaften und spiegeln die neokolo­niale Mentalität der deutschen Regierung wider«, sagt Nguherimo. Selbstverständlich sei Namibia ein williger Partner. Es sei bedauerlich, dass die ­namibische Regierung in einer zu schwachen Position sei, um schlechte Angebote ablehnen zu können; die Deutschen nutzten das aus. Solange aber nicht die historischen Ereignisse thematisiert würden, werde der Kampf weitergehen, so Nguherimo.

Im September hatte die namibische Ministerpräsidentin Saara Kuugon­gelwa-Amadhila darauf verwiesen, dass Deutschland offiziell keine Verant­wortung für den Völkermord übernommen und keine bedingungslose Entschuldigung ausgesprochen habe. Tatsächlich haben bislang ­weder der Bundestag noch die Bundesregierung oder der Bundespräsident den Völkermord an den Ovaherero und Nama als solchen explizit anerkannt, wie es etwa der Bundestag im Fall des türkischen Völker­mordes an Armeniern und Angehörigen weiterer christlicher Minderheiten 2016 in einer Resolution getan hat.

Jahrzehntelang wurde der Völkermord an den Ovaherero und Nama hierzulande ignoriert – im Parlament, an den Universitäten, in den Kirchen, den Medien und Museen, in Schulen und auch in linke Gruppen. Erst in den vergangenen Jahren sind die Verbrechen, ihre anhaltenden Folgen und die ausstehende Auseinandersetzung in der deutschen Öffentlichkeit stärker zur Kenntnis genommen worden – nach Klagen vor Gericht, parlamentarischen Anträgen, Forderungen und Protesten vor allem von Nachfahren der Widerstandskämpfer gegen die deutsche ­Besatzung in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika sowie den ­Opferverbänden der Ovaherero und Nama. Immerhin.