In Spanien setzen sich Opfer der Diktatur Francos und deren Angehörige für die Aufarbeitung der historischen Verbrechen ein

Die Relikte des Franquismus

Seite 2 – Alte Wunden
Reportage Von

Seit dem Regierungsantritt des Partido Popular im Jahr 2011 sei kein Euro aus staatlichen Mitteln in die historische Aufarbeitung geflossen, obwohl das Gesetz dies vorsehe, klagen die Demonstrierenden. So hänge die Öffnung der mehr als 2 500 Massengräber in ganz Spanien vom Gutdünken der regionalen Behörden ab. In Mallorca wurde dank der Unterstützung der Regionalregierung 2016 ein Grab mit den sterblichen Überresten von 49 Menschen geöffnet. »Francos Truppen begingen auf Mallorca einen Genozid. Es gab keinen Widerstand, trotzdem wurden systematisch Hunderte von Frauen und Männern ermordet«, erklärt Maite Lopez, die ihren Großvater im »Grab von Porreres«, wie die Mallorquiner es nennen, gefunden hat. Lopez erklärt, dass viele Menschen in vielen Orten Spaniens wissen, wo ihre Familienangehörigen verscharrt wurden, aber keine Erlaubnis bekommen, das Grab zu öffnen und die Überreste in Würde zu bestatten. »Es geht nicht nur um den seelischen Frieden der Familien. Es geht um unser Land, um unsere Demokratie«, sagt sie. »Wenn wir in einer wirklichen Demokratie leben würden, hätte mein Großvater nicht 81 Jahre lang im Boden verscharrt gelegen.« Die katalanische Regierung unterstützt eine DNA-Datenbank, um Angehörigen die Suche nach den Vermissten zu erleichtern. Seit der Zwangsverwaltung der Region durch den Zentralstaat ist die Finanzierung der Ausgrabungen aber ausgesetzt. »Wir können nichts dafür, dass das Leben unserer Angehörigen so weggeworfen wurde. Aber wir – wie viele andere Menschen auch – haben ein Recht darauf, dass diese Wunden geschlossen werden«, sagt Lopez.

 

»Ein tiefgreifender Wandel fand nicht statt. Man geht doch nicht als Franquist ins Bett und wacht als Sozialist wieder auf.« Maria José, Mesa de Catalunya

 

Die Demonstrierenden sind sich einig, dass nach dem Tod Francos der Übergang zur parlamentarischen Monarchie von 1975 bis 1978 ein Manöver der herrschenden Klasse gewesen sei, um ihre Macht zu sichern. »Es gab kein Referendum über die Frage ›Republik oder Monarchie?‹, also gibt es für mich auch keine Demokratie«, sagt Felipe. »Natürlich leben wir nicht mehr im Franquismus, aber die Art und Weise des Handelns ist ähnlich. Ein tiefgreifender Wandel fand nicht statt. Man geht doch nicht als Franquist ins Bett und wacht als Sozialist wieder auf. ­Genau das ist aber oft passiert«, sagt Maria José. Die Amnestie von 1977 sei nicht für die politischen Gefangenen gewesen, sondern für die franquistischen Verbrecher, die damit der Justiz entgingen. »Wir haben die vielen Vermissten, die Folteropfer, die Ermordeten. Wir brauchen Gerechtigkeit. Dass man die Schuldigen anzeigt, die Falangisten, die immer noch Franco beschwören, und die Guardia Civil, die noch heute existiert, auflöst. Weil Spa­nien keine juristische Aufklärung zulässt, müssen wir von Argentinien aus klagen«, beschwert sie sich. Aber aus Angst vor einem neuen Bürgerkrieg akzeptierten viele Menschen den damaligen »Pakt des Schweigens«. »Nach 40 Jahren Diktatur nimmst du doch jedes Bonbon, das dir gereicht wird. Die spanische Bevölkerung war nicht politisch aufgeklärt, um eine echte Transition zur Demokratie zu schaffen«, meint Felipe.

 

Mesa de Catalunya

»Kein Vergessen, kein Vergeben«. Protest der Organisation Mesa de Catalunya

Bild:
Mesa de Catalunya

Junge Ahnungslosigkeit

Auch die Geschichte schrieben die Sieger. »Mein Sohn ist jetzt 25. In der Schule wurde ihm erklärt, es sei ein Bürgerkrieg zwischen zwei gleichwertigen Seiten gewesen. Aber Franco führte einen Militärputsch, einen Staatsstreich gegen eine legitime und demokratische Republik. Es ging damals darum, eine demokratische Republik gegen den in ganz Europa wachsenden Faschismus zu verteidigen«, sagt Lopez. Auch Meson hat die Erfahrung gemacht, dass ge­rade junge Menschen fast nichts über die Vergangenheit ihres eigenen Landes wissen. Er besucht Universitäten und Gymnasialklassen, um über seine Erlebnisse zu berichten. »Plötzlich horchen die Schüler auf und fragen nach. Viele können nicht glauben, dass die Geschichte der Besiegten, der Republikaner, so gut wie aus dem Unterricht verbannt ist. Dabei ist es nötig, dass eine Gesellschaft ihre Geschichte kennt: Warum stehen wir, wo wir stehen? Warum hat diese Demokratie die Fehler, die sie hat? Die neuen Generationen müssen die Vergangenheit ihres Landes kennen, damit dieses Unrecht nie wieder geschehen kann. Und es würde die Qualität unseres Rechtsstaats deutlich verbessern.«

In Madrid macht sich besonders der Verein La Comuna für die Klage aus Argentinien stark. Mit der Amnestie von 1977 verweigere man nicht nur den Opfern Gerechtigkeit, sondern die Verbrechen der franquistischen Seite würden geleugnet – auch die wirtschaftlichen. Güter und Besitztümer im Wert von vielen Millionen Euro fielen durch die franquistische Korruption der Oberschicht in die Hände. Allein der Nachlass der Tochter des Diktators, Carmen Franco, beträgt 500 Millionen Euro, die dem Sozialstaat und den Opfern des Franquismus verloren gehen. Manche heutige Privilegien und Besitztümer der katholischen Kirche stammen aus dem Franquismus. »Deshalb ist es ein Klassenkampf zwischen den Interessen der Mächtigen auf der einen Seite und unserer Würde als Gesellschaft auf der anderen«, sagt Luis Roncero von La Comuna, der selbst unter Franco im Gefängnis war.