Yasha Mounk, Politikwissenschaftler, über Populismus und die Zukunft der liberalen Demokratie

»Wir können den Nationalismus domestizieren«

Seite 2 – Der Nationalismus ist zu stark
Interview Von

 

Sie sprechen von wirtschaftlicher Stagnation. Österreich und Deutschland geht es aber wirtschaftlich ­vergleichsweise gut, der Populismus erstarkt dennoch. Wie passt das ­zusammen?
Die wirtschaftliche Stagnation ist ein Tiefengrund. Es ist etwas, das den Menschen das Vertrauen in die Politik nimmt. Das bedeutet nicht, dass man persönlich in der Krise stecken muss. Die Demokratie hat sich in der Nachkriegszeit dadurch legitimiert, dass die Leute dachten, es ginge ihnen viel besser als ihren Eltern und ihren Kindern werde es noch besser gehen. ­Vielleicht vertraute man den Politikern nicht vollkommen, vielleicht hegte man ein wenig Skepsis ihnen gegenüber, aber am Ende zweifelte niemand wirklich daran, dass sie für mehr Wohlstand sorgen. Es ist genau diese Legitimation, die abhanden gekommen ist.

Was müsste aus Ihrer Sicht beispielsweise in Deutschland passieren, um dem populistischen Trend entgegenzuwirken?
Man muss den Menschen wieder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ­zurückgeben, und das natürlich glaubhaft. Es muss wirtschaftliche Reformen geben, die sicherstellen, dass die durchschnittlichen Deutschen in 30 Jahren ein besseres Leben haben. Das geht über eine dringend notwen­dige Umverteilung hinaus. Die Reformen müssen eine Digitalisierung der wirtschaftlichen Infrastruktur beinhalten und beträchtliche Investitionen in den Bildungssektor. Sie müssen zudem Globalisierung und Freihandel sichern, aber viel mehr bei der Bekämpfung der Steuerflucht bewirken, so dass Firmen, die in Deutschland tätig sind, in Deutschland ihre Steuern bezahlen. Es muss viel mehr dafür getan werden, dass Leute durch ihr Einkommen wohlhabend werden können; gleichzeitig müssen die Vermögen, die sie geerbt haben, besteuert werden.

Sie wollen den Nationalismus der Rechten also mit Standortnationalismus bekämpfen?
Der Freihandel ist für Deutschland wichtig und auch aus internationaler Perspektive richtig; da er zum Beispiel Millionen Inder und Chinesen aus der Armut befreit hat. Die Globalisierung steuern zu wollen hat nichts mit Standortnationalismus zu tun. Es geht mir um die Möglichkeit der positiven Identifikation. Den Menschen muss in ihrer Arbeit Zugehörigkeit, Status und Stolz ermöglicht werden. Es braucht ­einen inklusiven Patriotismus, mit dem wir uns ganz klar gegen den Nationalismus der Rechten wenden, die ja behaupten, dass Schwarze oder Muslime nicht zu uns gehören können. Wir müssen zeigen, dass die Nation noch etwas wert ist im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der Globalisierung. Und dass wir mehr gemeinsam haben als Deutsche, als die Unterscheide von Religion und Kultur es vielleicht suggerieren würden.

Das klingt wie Nationalismus light. Rennt man den Populisten damit nicht nur hinterher und stärkt sie am Ende noch? Muss man nicht auch in gefährlichen Zeiten daran festhalten, etwas Besseres zu wollen als die Nation?
Aufgrund meiner Familiengeschichte und aufgrund meiner politischen ­Präferenzen habe ich lange gehofft, dass wir den Nationalismus einfach ­abschaffen und hinter uns lassen können. Mittlerweile glaube ich, dass er dafür zu stark ist. Ich sage immer, der Nationalismus ist wie ein halbwildes Tier. Wenn man es sich selbst überlässt, kommen die Rechten und stacheln es an, damit es so gefährlich und ekelhaft wie möglich wird. Oder wir können den Nationalismus domestizieren und zu einem Nutztier machen. Das ist die bessere, weil weniger gefährliche Lösung. Wenn wir den Nationalismus auf positive Weise besetzen, auf eine Weise, die keine Ressentiments schürt, sich nicht gegen andere Länder und andere Menschen wendet, dann ist es kein Problem, Patriot zu sein.