Das ägyptische Regime hat kein Interesse an der Aufklärung des Foltermordes an Giulio Regeni

Kein Ärger mit Ägypten

Der Umgang mit dem bis heute unaufgeklärten Foltermord an einem italienischen Akademiker und Aktivisten vor drei Jahren in Kairo zeigt, wie wichtig Ägypten sowohl wirtschaftlich als auch bei der Abwehr von Flüchtlingen als Partner für Europa ist.

Anfang Januar bekam die Soziologieprofessorin an der Universität Cambridge, Maha Abdelrahman, Besuch von den italienischen Behörden. Die aus Ägypten stammende Dozentin sollte als Zeugin im Fall des 2016 in Kairo entführten und zu Tode gefolterten Doktoranden Giulio Regeni aussagen, der bei ihr promovierte und nach Kairo gereist war, um über unabhängige Gewerkschaften zu forschen.

Was sich die italienischen Ermittler von der Vernehmung der Professorin versprachen, bei der sie Festplatten, USB-Sticks und SIM-Karten beschlagnahmten, bleibt unklar. Ein Ablenkungsmanöver? Das vermuten über 300 Akademikerinnen und Akademiker aus verschiedenen Ländern, die schon im Dezember mit einem offenen Brief auf einen Artikel der italienischen Zeitung La Repubblica reagiert hatten. Abdelrahman, so suggerierte der Artikel, habe Regeni für ihre eigenen Recherchen zu einem im repressiven Ägypten sehr heiklen Thema benutzt. Außerdem, so La Repubblica, entziehe sich die Professorin seit Regenis Beerdigung jeglichem Kontaktversuch durch die italienischen Behörden. »Die Verantwortlichen für Giulios Entführung, Folterung und Ermordung sitzen in Ägypten, die Aufklärung ist einzig und allein Aufgabe des ägyptischen Regimes«, schreiben die Akademiker. Bereits im Sommer vergangenen Jahres galt die Verwicklung der ägyptischen Ordnungskräfte in den brutalen Foltermord als sicher.

Die Fakten: Am Abend des 25. Januar 2016 war der 28jährige auf dem Weg zu Freunden zunächst spurlos verschwunden. Neun Tage später fand der Fahrer eines Touristenbusses die verstümmelte Leiche des jungen Italieners in einem Graben an der Schnellstraße zwischen Kairo und Alexandria. Der Leichnam war derart entstellt, dass die Eltern ihren Sohn lediglich an der Form seiner Nase wiedererkennen konnten. Die in Rom durchgeführte Autopsie bestätigte, dass Regeni mindestens eine Woche lang brutal gefoltert worden war, bevor man ihm das Genick brach. Anhand der Foltermerkmale vermuteten ägyptische Menschenrechtler sofort eine Beteiligung der Geheimdienste.

War Regeni mit Wissen der Regierung von Präsident al-Sisi umgebracht worden? Handfeste Beweise dafür gibt es bis heute nicht, nur eine Aneinanderreihung von aufgeflogenen Lügen, Vertuschungsversuchen und unglaubwürdigen Erklärungen der ägyptischen Behörden, die zunächst von einem Autounfall, dann von Islamisten als Tätern und von einer Abrechnung im Drogenmilieu sprachen. Spätestens seit bekannt wurde, dass Regeni einen Monat vor seinem Verschwinden vom Geheimdienst bespitzelt wurde, war klar, dass sein Tod mit den Recherchen im Milieu der unabhängigen Gewerkschaften zu tun hatte, die nach der Niederschlagung des »Arabischen Frühlings« harter Repression ausgesetzt waren, aber trotzdem weiter existieren.

Die Regierung in Italien rief im April 2016 ihren Botschafter in Ägypten zurück, doch mehr als eine symbolische Geste zur Beruhigung der zu Recht empörten italienischen Öffentlichkeit war das nicht.

Im Sommer 2017 erschien in der New York Times eine detaillierte Recherche über die Umstände von Regenis Tod. Darin zitiert Declan Walsh, Korrespondent in Kairo, einen Mitarbeiter der damaligen US-Regierung mit den deutlichen Worten: »Wir hatten unwiderlegbare Beweise für die Verantwortung der Regierung. Es gab keinen Zweifel«. Walsh zufolge sei die italienische Regierung darüber informiert worden.

Doch anstatt den Druck auf die ägyptischen Behörden zu erhöhen, bemühte sich Italien darum, die diplomatische Krise nicht weiter eskalieren zu lassen. Walshs Enthüllung änderte daran nichts. Vielmahr trat im September 2017 ein neuer Botschafter seinen Dienst in Kairo an – angeblich um die Ermittlungen zu »beschleunigen.« Die Staatskrise – wenn es überhaupt eine gab – war damit endgültig vorbei.

Viel mehr Einfluss als der Botschafter dürfte in Ägypten ein anderer Italiener haben: Claudio Descalzi, der Geschäftsführer des italienischen Energiekonzerns Eni, der seit mehr als 60 Jahren in Ägypten operiert und im Juni vergangenen Jahres mit der Regierung von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi einen milliardenschweren Deal zur Erschließung des 2015 entdeckten Zohr-Gasfeldes vereinbart hat. Die Entdeckung des größten bisher bekannten Gasfeldes im Mittelmeer könnte beide Länder unabhängig von Gasimporten machen. Dass in diesem Zusammenhang Menschenrechtsverletzungen eher eine untergeordnete Rolle spielen, verwundert nicht.

Auch die europäischen Saaten dürften eher Interesse an eine Normalisierung der Beziehungen mit Ägypten haben. Um Europa gegen unerwünschte Migranten abzuschotten, die aus Nordafrika einreisen, ist Ägypten ein unverzichtbarer Partner der EU.