Facebook und der Cambridge-Analytica-Skandal

Die Zauberlehrlinge von Menlo Park

Sind Daten erst einmal im Umlauf, lässt sich nicht mehr kontrollieren, wer alles was damit anstellt. Und bei Fällen wie dem Cambridge-Analytica-Skandal ist kaum zu klären, wer eigentlich die Verantwortung dafür trägt.
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Es gibt dieses Gerücht, wonach Facebook Nutzerdaten verkaufe. Das ist Unsinn. Facebook hütet seine Daten so gut es kann. Sie sind die Grundlage von Facebooks Geschäftsmodell. Was Facebook verkauft, sind nicht die Daten sondern es ist Aufmerksamkeit seiner Nutzer: die Möglichkeit, Werbung und zielgerichtet einem sehr genau ausgewählten Publikum zu zeigen. Das kann Facebook nur aufgrund der gesammelten Daten und würde es diese verkaufen, würde es seinen Rohstoff verkaufen, statt ihn zu vergolden. Deshalb ist der Skandal um Cambridge Analytica auch ein großes Problem, gerade für Facebook. Der Konzern hat einen Teil seiner Nutzerdaten nämlich sehr wohl weggegeben und zwar noch nicht mal gegen Geld. Das fällt Facebook heute auf die Füße. Aber warum sollte der Konzern so etwas dummes tun, wenn klar ist, dass Nutzerdaten sein größter Schatz sind? Die Antwort darauf liegt in der Vergangenheit. Das möglichst zielgenaue Anzeigen von Werbung war nicht von Beginn an Facebooks Geschäftsmodell. Im Gegenteil: Wie etliche andere Internet-Startups auch, hat Facebook zunächst mal Daten und Investorengelder eingesammelt, um erst später genauer zu überlegen, was sich damit anstellen ließe.

 

In einer idealen Welt, in der informierte Verbraucher verantwortlich agieren, wären also eigentlich die Nutzer verantwortlich dafür, dass die Daten an Cambridge Analytica abfließen konnten. Nur leben wir eben nicht in solch einer idealen Welt und den Nutzern dürften die Konsequenzen ihres Handelns kaum bewusst gewesen sein – sie waren ja nicht einmal Facebook selbst bewusst.

 

Vor einigen Jahren wollte der Konzern eigentlich nicht in erster Linie von Werbung leben sondern ein Ökosystem für Apps sein. Zunächst einmal sollten aber möglichst viele Leute Apps für Facebook programmieren, etwa die vielen Spiele. Das bis heute bekanntestes Beispiel ist wohl Farmville. In dieser Zeit war Facebook relativ freigiebig, was die Nutzerdaten betrifft. Wer also eine App auf Facebook entwickelte, konnte damit die Daten deren Nutzer auslesen – und eben auch die von deren Freunden. Erst auf diesem Wege war es möglich, dass Cambridge Analytica an die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzer kam: Wenige tausend Menschen, die eine App mit einem Persönlichkeitstest durchspielten, gaben nicht nur ihre eigenen Daten, sondern auch diejenigen ihrer Freunde preis. Sie hatten schlicht keine Ahnung, dass sie einmal benutzt werden sollten, um einem Rechtspopulisten zu dabei zu helfen, den Präsidentschaftswahlkampf in den USA zu gewinnen.

In einer idealen Welt, in der informierte Verbraucher verantwortlich agieren, wären also eigentlich diese Nutzer verantwortlich dafür, dass die Daten an Cambridge Analytica abfließen konnten und alles was danach kam. Nur leben wir eben nicht in solch einer idealen Welt und den Nutzern dürften die Konsequenzen ihres Handelns kaum bewusst gewesen sein – sie waren ja nicht einmal Facebook selbst bewusst. Schließlich war diese Datenfreigiebigkeit um 2010 herum noch eine weit verbreitete Unternehmensstrategie. Auch Facebook-Konkurrenten wie Twitter ließen Drittentwickler bereitwillig auf ihre Plattform und um Twitter herum entstand ein großes Ökosystem von alternativen Twitter-Clients bis hin zu Auswertungsdiensten aller Art. Derlei wurde damals von Nutzern und Experten in Blogs, Artikeln und Vorträgen noch als genialer Schachzug gefeiert, der nicht nur der Plattform hilft, möglichst groß und beliebt zu werden, sondern durch seine Offenheit auch noch helfen solle, die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Das schaute sich Facebook wie vieles andere von Twitter ab.

Diese Offenheit war allerdings nur eine Phase. Die Plattformen begannen zu verstehen, wie wertvoll ihre Datenschätze sind, und drehten die Schleusen zu. Wie Mark Zuckerberg in Reaktion auf den Datenskandal anmerkte, änderte Facebook bereits 2014 seine Programmierschnittstellen. Technisch wurde das Absaugen von Daten im Stil von Cambridge Analytica also damals schon unterbunden. Ob Facebook damit seiner großen Verantwortung, die aus den Daten von Milliarden Nutzern erwächst, wirklich nachgekommen ist, bleibt fraglich.

Schließlich hat dort niemand verhindert, dass im Wahlkampf im großen Stil je nach Zielgruppe Werbung für Trump und gegen Hillary Clinton geschaltet wurde, die oft noch nicht mal als solche zu erkennen war und teilweise in Rubel bezahlt wurde. Wie auch, schließlich ist genau das Facebooks derzeitiges Geschäftsmodell.

Aber wer hält schon inne, wenn der Rubel gerade rollt? Schließlich hat 2016 niemand damit gerechnet, dass Donald Trump die Wahl gewinnen konnte, ganz davon abgesehen, dass auch in den Präsidentschaftskampagnen von Barack Obama Social-Media-Targeting im Wahlkampf eingesetzt wurde. Wahrscheinlich ist man bei Facebook also ehrlich erschrocken darüber, was passiert ist und welche Dynamik es entfaltet hat.

Aber natürlich lässt sich die Verantwortung nicht nur bei den Zauberlehrlingen von Facebook suchen, sondern natürlich auch bei Cambridge Analytica selbst. Mitarbeiter der Beraterfirma haben gegen Facebooks Nutzungs- und Datenschutzbedingungen verstoßen, indem sie eine App für einen Psychotest anboten und die gewonnenen Daten anschließend für ganz andere Zwecke im US-Wahlkampf verwendeten. Folgerichtig feuerte Cambridge Analytica seinen Chef Alexander Nix, nachdem Videos aufgetaucht waren, in denen er Dienste zur Wahlbeeinflussung nicht nur anbot, sondern mit seinen Fähigkeiten prahlte und dabei wie ein Mafiaboss klang.

Aber auch wenn hier ein klares Vergehen vorliegt, ist Cambridge Analytica wirklich „schuld“ daran, dass Trump Präsident werden konnte? Das wird zunehmend bezweifelt. Trotz aller psychologischen Tricks ist solche Online-Werbung selten geeignet, Menschen davon zu überzeugen, einen bestimmten Kandidaten zu wählen. Immerhin erzielte Trump weniger Stimmen als Clinton, dafür aber in den richtigen Staaten. Der Verdacht ist also nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Cambridge Analytica das Zünglein an der Waage gewesen sein könnte. Viel zu wenig wird aber über eine andere Gruppe von Verantwortlichen geredet: Diejenigen Politiker, Wahlkampfmanager und Kampagnenverantwortlichen, die ethisch kein Problem darin sehen, die Dienste von Cambridge Analytica zu buchen.