Sama Maani, Autor, im Gespräch über Islamkritik, Kulturalismus und Rassismus

»Falsche Begriffe wie ›Islamophobie‹ reproduzieren den neuen Rassismus«

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Interview Von

 

Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf den Islamdiskurs von AfD, FPÖ und anderen Rechten?
Der Islamdiskurs von AfD, FPÖ und Co ist in der Tat rassistisch. Inwiefern er aber rassistisch ist, diese Frage vermag der aktuelle linke und liberale anti­rassistische Diskurs nicht zu beantworten. Denn per se kann natürlich weder die Kritik an noch die Ablehnung einer Glaubenslehre noch der Hass auf ­Anhänger einer Glaubensgemeinschaft in irgendeiner Weise rassistisch sein, mögen die Betroffenen Muslime, Buddhisten, Zeugen Jehovas oder Sieben-Tage-Adventisten heißen.

Rassistisch sind die Positionen der Neorassisten von AfD, oder Pegida nicht aufgrund ihrer Aussagen über den real existierenden Islam als Glaubenslehre oder über die real existierende Glaubensgemeinschaft der Muslime (mögen diese Aussagen nun falsch oder richtig sein), sondern, weil sie den Islam tatsächlichen oder vermeintlichen Muslimen und islamisch geprägten Gesellschaften »als Natur­eigenschaft« zuschreiben. Jene Individuen und Gesellschaften also »voll« mit dem Islam »identifizieren«. Der Islam wird in dieser neuen kulturalistischen Variante des Rassismus als »Kultur« und »Kultur« als »Natur« aufgefasst: Als naturhafte, unabänderliche, fest mit bestimmten Subjekten verknüpfte Eigenschaft. Diese Ideologie der vollen Identität ist weitverbreitet.

Sie ist nicht nur politisch fatal, sondern auch empirisch falsch?
Ja, denn im Widerspruch zu den Grundannahmen der Ideologie der vollen Identität gibt ein großer Teil von in Deutschland lebenden, aus islamisch geprägten Ländern stammenden ­Migranten in Umfragen an, gar kein Muslim zu sein; so etwa 50 Prozent der aus dem Iran und 36 Prozent der aus dem Nahen Osten stammenden Befragten in der Studie »Muslime in der Statistik: Wer ist Muslim und wenn ja wie viele?« von Riem Spielhaus aus dem Jahr 2013.

Die Überwindung der Ideologie der vollen Identität wäre gerade im Blick auf jene Menschen von Bedeutung, die sich aus freien Stücken voll mit dem ­Islam identifizieren, denen jene volle Identität also nicht bloß von außen ­zugeschrieben wird. Linke, emanzipatorische Kritik an der Ideologie der ­vollen Identität sollte genau hier ansetzen – wo Subjekte sich selbst mit ihrer eigenen Unterwerfung identifizieren, ihre eigene Unterdrückung begehren und aus der Identifikation mit ihrer Unterwerfung Selbstachtung beziehen. Denn Herrschaft kann sich ohne Identifikationsprozesse dieser Art weder etablieren noch reproduzieren.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Wenn ich sage, dass religiöser Hass und religiöse Diskriminierung nicht rassistisch sind, legitimiere ich diese Phänomene nicht. Dass religiöser Hass genauso abzulehnen ist wie Rassismus, versteht sich von selbst. Dennoch ist es sehr wichtig, klar zwischen Kate­gorien wie Rassismus und religiösem Hass und selbstverständlich auch ­zwischen Rassismus und Religionskritik zu unterscheiden.

Mit solchen Unterscheidungen tun sich derzeit aber viele Menschen schwer, oder?
Auf den Rassismus reagieren heute viele liberale und linke Intellektuelle ­lediglich moralisch. Entrüstung ersetzt hier die begriffliche Auseinandersetzung. Das geht mitunter so weit, dass alles mögliche moralisch Unzulässige unter Rassismus subsumiert wird – eben auch religiöser Hass. Aber genauso wie Religionsfreiheit kann auch die Überwindung religiösen Hasses – der im Moment wieder um sich greift, man denke nur an den mörderischen Hass mancher Sunniten auf Schiiten – einzig durch die Emanzipation der Gesellschaft von Religion erreicht werden. Die Emanzipation der Gesellschaft von Religion wiederum ist, wie gesagt, ohne radikale Religionskritik nicht zu haben.

Nicht zu vergessen ist, dass der falsche »Antirassismus« vieler Linker nicht einfach auf logischen Denkfehlern beruht. Die meisten heutigen »Linken« können den neuen Rassismus schon deshalb weder begrifflich er­fassen noch angemessen kritisieren, weil sie, ohne es zu merken, die Grundvoraussetzung des neuen rassistischen Diskurses mit den Hetzern von FPÖ, AfD und Co. teilen – eben jene Ideologie der »vollen Identität« zwischen dem Islam und tatsächlichen oder vermeintlichen Muslimen. Dass sie dies tun, hängt wiederum mit den identitätspolitischen – und kulturalistischen – Konzepten zusammen, die den linken Diskurs seit Jahrzehnten dominieren.