Der »soziale Arbeitsmarkt« schützt nicht vor Armut

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Das schließt aber viele aus, zum Beispiel Alleinerziehende, die vielleicht nur 30 Stunden arbeiten können. Ähnliches gilt für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder diejenigen, die Angehörige pflegen. Damit werden viele Personen ausgegrenzt, die vielleicht auch gerne eine Beschäftigung aufnehmen würden«, sagt Weinkopf. Zudem stelle sich die Frage, wie die bis zu 150 000 Arbeitsplätze im sozialen Arbeitsmarkt vergeben werden sollen. »Wenn das Interesse groß ist, dann stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt und wer die Chance bekommt, in den sozialen Arbeitsmarkt integriert zu werden«, so die Expertin.

Weinkopf zufolge komme es vor allem auf die Ausgestaltung an, auch bei möglichen Lohnkostenzuschüssen für Unternehmen. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung mehrere Hundert Millionen Euro in sogenannte Eingliederungszuschüsse investiert. Hat ein Bewerber nicht die geforderte Qualifikation oder soll in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden, kann ein Unternehmen im Regelfall die Übernahme von bis zu 50 Prozent der Lohnkosten über eine Dauer von zwölf Monaten bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen.

»Wenn zusätzlich auch Stellen in der Privatwirtschaft gefördert werden sollen, zum Beispiel über Lohnkostenzuschüsse für Unternehmen, dann muss darauf geachtet werden, dass keine bestehenden Beschäftigungsverhältnisse durch geförderte verdrängt werden«, mahnt die stellvertretende Direktorin des IAQ. Das sei eine alte Debatte, die früher bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eine große Rolle ­gespielt habe.

Dem Ministerium zufolge soll im neuen Modell auch die Qualifizierung eine größere Rolle einnehmen, Unternehmen sollen dazu bewegt werden, die Angestellten für Fortbildungen freizustellen. Das begrüßt Weinkopf: »Der Bedarf ist da und das ist auch ein Schlüssel, damit die Leute perspektivisch im normalen Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen können.« Sanktionen seien demgegenüber kein geeignetes Mittel, um Menschen zu motivieren. »Man muss stärker die Interessen, Kenntnisse und Fähigkeiten der Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht nur die Nachfrageseite, die sagt: ›Wir haben aber viele offene Stellen‹«, so Weinkopf.

Dennoch sollten sich Erwerbslose keine allzu großen Hoffnungen machen, dass sie auf dem sozialen Arbeitsmarkt nicht mehr von Hartz IV abhängig sein werden. »Der harte Kern wird über kurz oder lang in Hartz IV bleiben«, so das Ministerium. Für »Tacheles«-Vorstand Harald Thomé ist der soziale Arbeitsmarkt deshalb »noch schlimmer als das, was Müller will«. Schließlich gebe es dort keinerlei soziale Sicherheit. Die Debatte geht für Thomé am Thema vorbei: »Niemand redet darüber, ob Hartz IV reformiert wird und die Sanktionen abgeschafft werden. Wir reden nicht über die Entrechtung der Leistungsberechtigten durch die Jobcenter und auch nicht darüber, dass viel zu geringe Mieten an­erkannt werden.« Als Berater wundere er sich, »warum es nicht mal knallt«.