Bei der Bürgermeisterwahl im thüringischen Altenburg hofft die Neue Rechte auf einen »Paukenschlag«

Skatstadt vor dem Stechen

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Der CDU-Kandidat Neumann kennt diese Geschichten, er hört sie oft gleich früh am Morgen in einer Bäckerei ­neben dem Rathaus. Dort hat der 40jährige Prokurist sein inoffizielles Wahlkampfbüro. Bei einer Tasse Tee benennt er den Hauptgrund dafür, dass Altenburg bereits in den neunziger Jahren eine der höchsten Arbeitslosenquoten Deutschlands hatte und seit damals mehr als 20 000 Einwohner verloren hat. Die Wismut, ein sowjetisch-deutsches Bergbauunternehmen, habe in der Region bis zur sogenannten Wende Uran abgebaut und sei der größte ­Arbeitgeber gewesen. »Zudem entstanden zahlreiche Produktionsbetriebe«, sagt Neumann. So wuchs Altenburg über Jahrzehnte recht schnell und ­erlebte den industriellen Niedergang dann umso intensiver.

Eine Frau am Nebentisch stellt sich als Melanie vor. »Ins Klassenzimmer meines Sohnes regnet es seit langem rein«, beschwert sich die Mittdreißigerin. Die beiden wohnen im Platten­bauviertel Altenburg Nord, dem ärmsten Teil der Stadt, in dem »angesichts der derzeitigen Haushaltssituation manche Sanierungen leider noch Jahrzehnte dauern werden«, so Neumann. Doch die Frau ist noch nicht fertig. »Und in der Zwischenzeit? Da werden un­sere Kinder durch Zuwanderer vertrieben! Von den Spielplätzen! Und im ­Unterricht? Da stören sie nur!« »Einer ist so assi, der macht nix«, wirft ihr 13jähriger Spross ein. »Eh, so nicht!« mahnt sie und fügt hinzu: »Naja, die ­Abneigung ist da, die Grenze erreicht. Mehr geht nicht!« Verantwortlich für das »Chaos der Kulturen« sei die »beratungsresistente« Landrätin Michaele Sojka von der Linkspartei.

»Damals, 2015, als voll beladene Busse mit weinenden Kindern vor dem Landratsamt hielten, musste Frau Sojka doch eine Unterbringung sicher­stellen«, versucht Neumann die Wutbürgerin zu beschwichtigen. Und er räumt ein: »Die jetzige Verteilung verträgt die Stadt nicht gut.« Die räumliche Konzentration von 1 400 Geflüchteten im 5 000 Einwohner zählenden Stadtteil Nord habe vor allem der scheidende Bürgermeister Michael Wolf (SPD) zu verantworten, »der damals wenig kooperativ bei der Suche nach Wohnraum war«, so Neumann.

»Dass die CDU seinerzeit die stärkste Fraktion im Stadtrat stellte, erwähnt er nicht«, kontert die SPD-Kandidatin Katharina Schenk. Die 29jährige ist die »Neue« in Altenburg, aus Leipzig zu­gezogen, erst vor ein paar Monaten. Sie hat noch keine Stammbäckerei, dafür aber eine Stelle in der Stadtverwaltung, eine schöne Wohnung und eine Zukunftsvision, die sie gerade selbst vorlebt. »Meine Familie und ich haben nach einem neuen Lebensmittelpunkt gesucht. Nicht zu weit weg von Leipzig, mein Mann ist Pendler.« In die Stadt hätten sie sich gleich verliebt, denn Altenburg habe einiges zu bieten: Theater, Musikschule, Schwimmbad, Museen. Kurzum: gute Infrastruktur, günstige Mieten. Das gebe es so sonst nicht im Leipziger Speckgürtel. »Deshalb hat die Stadt durchaus Chancen, wieder zu wachsen, nicht als reine Schlafstadt, sondern als attraktive Kleinstadt mit S-Bahn-Anbindung«, glaubt die Sozialdemokratin.

Dass Schenk überhaupt kandidiert, liege auch an dem überraschenden Rückzug des Bürgermeisters Wolf. »Klar, eine optimale Wahlkampfvorbereitung ist anders«, sagt sie. Falls sie nicht gewinne, werde sie trotzdem weiter im Rathaus arbeiten, »mit einem frischen Blick von außen, ohne das ewige ›hätte, hätte, Fahrradkette‹ – und mit einer klaren Grenze zu rechter Hetze«.

Denn selbst wenn das neurechte »Bürgerforum« am Sonntag den Kampf ums Rathaus nicht gewinnt, werden alte und neue Rechte in Altenburg nicht einfach verschwinden. Die örtliche Naziszene ist gut organisiert, früher im Thüringer Heimatschutz (THS), aus dem sich die nazistische Terrororga­nisation NSU entwickelte, heutzutage in rechtsextremen Kameradschaften und der »Reichsbürger«-Bewegung. Im Dezember 2015 verübten zwei Männer aus Altenburg Nord einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Kandidat Schütze »lehnt zwar jede Art von Gewalt grundsätzlich ab«, aber ­eigentlich würden ohnehin »die meisten Asylantenheime von Asylanten selbst angezündet«. Mit solchen und ähnlichen »Fakten« versucht das ­neurechte ­»Bürgerforum« auch bei der gleichzeitig stattfindenden Landratswahl zu punkten.

Unterstützt wird es dabei von der AfD und Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des neurechten Magazins Compact, der 2016, angeblich auf der Flucht vor Ausländern und Antifa aus dem »links-versifften Leizpig«, für einige Monate in der »Oase Altenburg« Asyl suchte. Auf einer Wahlkampfveranstaltung des »Bürgerforums« im März sagte Elsässer, ein »Paukenschlag für Deutschland« müsse hier nun stattfinden, und wenn nicht dieses, dann nächstes Jahr. 2019 wird in Thüringen ein neuer Landtag und in Altenburg ein neuer Stadtrat gewählt.