Die Proteste gegen den Neubau des Nationaltheaters in Tirana wenden sich auch gegen Korruption und Klientelismus in Albanien

Theater in Tirana

In Albanien gibt es Proteste gegen den Neubau des Nationaltheaters in Tirana. Beim Bauvorhaben zeigen sich die generellen Demokratie­defizite und der Klientelismus der albanischen Regierung.

Das albanische Nationaltheater ist kein Gebäude, das sofort ins Auge sticht. Etwas versteckt gelegen, im Schatten der das Stadtzentrum Tiranas immer stärker prägenden Hochhäuser, ist es dennoch ein wichtiges Baudenkmal. Erbaut wurde es 1939 während der italienischen Besatzung als Kino im modernistischen Stil. Der Machtanspruch des faschistischen Italiens sollte durch gebaute Propaganda gestützt werden, damit wurde auch der Grundstein für die Modernisierung und Urbanisierung Tiranas gelegt. Die italienischen Architekten wollten die noch dörfliche Hauptstadt damals grundlegend umgestalten. Nach der Befreiung des Landes durch antifaschistische Partisaninnen und Partisanen wurde das Kino im Mai 1945 in ein Theater umgewandelt. Die moderne albanische Schauspiel­tradition begann erst Ende des 19. Jahrhunderts und so ist es das älteste noch im Betrieb befindliche Theater des Landes. Doch nicht nur Stücke wurden hier aufgeführt. Es diente auch als Gerichtssaal für die Schauprozesse, die die Transformation des befreiten Albanien in eines der repressivsten Regime des Realsozialismus begleiteten. Zeugnisse jener sozialistischen Epoche verschwinden nach und nach im ganzen Land.

Das Stadtbild Tiranas verändert sich mit für europäische Verhältnisse rasender Geschwindigkeit. Wo vor wenigen Jahren noch eine Mischung aus traditionellen ein- bis zweistöckigen Häusern mit Gärten, Repräsentationsbauten im Stil des italienischen Faschismus und sozialistischem Wohnungsbau dominierte, entstehen Hochhäuser und Einkaufszentren, prägen Glas und Beton die Architektur. ­Beschleunigt wurde dieser Prozess, als der ehemalige Bürgermeister Tiranas, Edi Rama, 2013 für die Sozialistische Partei (PS) das Amt des Ministerpräsidenten errang. Dieser Umgestaltung könnte nun auch das Nationaltheater zum Opfer zu fallen. Im Februar kündigte die Regierung an, dass die Tage des renovierungsbedürftigen Gebäudes gezählt seien und an seiner Stelle eine neues Theater errichtet werde. Das Vorhaben stieß bei Schauspielerinnen und Schauspielern auf Widerstand, vor allem weil sie nicht in die Planungen einbezogen worden waren und unklar blieb, wie und wo der Theaterbetrieb in der Übergangsperiode aufrechterhalten werden soll. Sie forderten, das Theater zu renovieren und zu erhalten.

Mitte März gab Rama Details des Projekts bekannt. An der Stelle des Nationaltheaters und des benachbarten Experimentaltheaters soll zukünftig eine moderner, transparenter Bau stehen, entworfen vom dänischen Star­architekten Bjarke Ingels. Diese Ankündigung heizte die Diskussion über den Theaterneubau erst recht an. Kri­tiker des Vorhabens monieren, dass der Ministerpräsident stadtplanerisch wichtige Bauprojekte ohne vorherigen Wettbewerb eigenhändig vergebe, sei Ausdruck seines immer autoritärer werdenden Regierungsstils. Ingels’ Architekturfirma, die Bjarke Ingels Group, behauptete hingegen öffentlich, sie habe den Auftrag für das neue Nationaltheater im Rahmen eines Architekturwettbewerbs erhalten. Daria Pahhota, die Pressesprecherin der Bjarke Ingels Group, hielt gegenüber der Jungle World an dieser Darstellung fest, weigerte sich aber, auf Nachfragen zum Wettbewerb zu antworten. Das Büro des Bürgermeisters von Tirana antwortete auf eine entsprechende Anfrage nicht. Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass der von der Bjarke Ingels Group präsentierte Entwurf stark an das Projekt eines ukrainischen Architekturbüros für die Oper im südkoreanischen Busan erinnere. Trotz mehrmaliger Nachfrage vermied es Pahhote gegenüber der Jungle World, zu diesem Vorwurf Stellung zu beziehen.

»Hier stehen größere Dinge im Raum, Fragen der Demokratie und der Entscheidungsfindung. Dieses Mal ist Rama zu weit gegangen.« Kastriot Çipi, Regisseur und Gewerkschafter

Doch den größten Anstoß erregt, dass das neue Gebäude im Rahmen einer Public-Private Partnership er­richtet werden soll.

Dabei soll das über 7 000 Quadratmeter große Grundstück des Theaters geteilt werden: auf 3 000 Quadratmetern soll das neue Theater errichtet werden, der Rest an die Baufirma gehen, die dort Hochhäuser errichten kann. Profitieren würde davon das Bauunternehmen Fusha Shpk, das offenbar dem Ministerpräsidenten nahesteht und in letzter Zeit mehrere lukrative Aufträge in Tirana und in Ramas Wahlkreis im südalbanischen Vlorë erhalten hat. Zumindest bei Letzteren scheinen bereits die Ausschreibungsbedingungen genau auf die Firma Fusha Shpk zugeschnitten worden zu sein.
Derartige Public-Private Partnerships sind typisch für die Wirtschaftspolitik der Regierung. In der Regel dienen sie dazu, staatliche Ressourcen auf dem Weg einer Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft zu privatisieren. Selbst der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben die Praxis der Public-Private Partnerships inzwischen mehrfach kritisiert. Erst vorige Woche stellten Vertreterinnen der Weltbank anlässlich der Veröffentlichung ihres 13. »Western Balkans Regular Economic Report« fest, dass in diesen sogenannten Partnerschaften die Risiken zu Ungunsten des albanischen Staats verteilt seien, und forderten, diese Praxis bis zur Etablierung transparenter Entscheidungsprozesse zu ­beenden.

Für die Gegnerinnen und Gegner des Theaterneubaus, die sich unter anderem in der Aleanca për Mbrojtjen e Teatrit (Allianz zum Schutz des Theaters) organisieren, ist das Vorhaben der Regierung exemplarisch für die grundlegenden Probleme des Landes: die autoritären Entscheidungsfindungsprozesse, die Verwüstung der Städte und der Natur zugunsten kurzfristiger Profite, die Privatisierung öffentlicher Ressourcen im Rahmen klientelistischer Machtpolitik. Kastriot Çipi, ein Regisseur und Mitglied der neugegründeten Gewerkschaft der Film- und Theaterschaffenden, sagte der Jungle World: »Hier geht es schon lange nicht mehr nur um das kulturelle Erbe oder die Arbeitsbedingungen der Bühnenkünstler. Hier stehen größere Dinge im Raum, Fragen der Demokratie und der Entscheidungsfindung. Dieses Mal ist Rama zu weit gegangen.

Die Proteste werden dieses Mal groß werden.« Alida Karakushi, eine Mitbegründerin der Aleanca, ist vorsichtig: »Wir leben in einer atomisierten Gesellschaft ohne funktionierende demokratische Prozesse. Vielleicht gelingt es uns, genug Unterschriften für ein lokales Referendum über den Theaterbau zu sammeln, vielleicht verhindern dann Interessengegensätze zwischen der Regierung und dem Bürgermeister von ­Tirana die Zerstörung des Nationaltheaters.«

Tatsächlich könnten Proteste gegen die Politik der Public-Private Partnerships in Albanien an Dynamik gewinnen. Seit März muss man für die Autobahn in den Kosovo Maut bezahlen, da die Erhaltung der Straße an eine türkische Firma übertragen wurde, die damit das Recht erhielt, Maut zu kassieren. Am 31. März zerstörten Demonstrierende eine Mautstation im Norden Albaniens. Denn mehr noch als der Theaterbau betrifft das den Alltag vieler Menschen. Dass Polizei und Justiz auf die verschiedenen Proteste repressiv reagierten, scheint die Kritiker ­bisher nicht zum Verstummen zu bringen. Vielleicht entsteht hier gerade eine größere Protestbewegung gegen Klientelismus und Korruption.