Eike Sanders, Autorin, im Gespräch über die rechte »Lebensschutz«-Bewegung

»Antifeminismus ist das zweite Standbein der AfD«

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Interview Von

Was es aber sicher auch gegeben hat, ist eine viel früher einsetzende Bereitschaft etwa bei der christlich-­fundamentalischen Nachrichtenagentur Idea, zumindest mit Teilen der AfD in einen Dialog zu treten und sie so zu legitimieren. Es gibt auch einige prominente Pastoren wie Johannes Holmer, der immerhin stellvertretender Vorsitzender von Idea e.V. ist, die sich öffentlich zugunsten der AfD geäußert haben. Das sind Einzelfälle und wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass die AfD gar keine klare und einheitliche Position zum Thema Schwangerschaftsabbruch hat. In ihrem Parteiprogramm etwa ist zwar von einer »Willkommenskultur für Unge­borene« die Rede, es wird jedoch nicht gefordert, Abtreibungen gänzlich zu verbieten, sondern lediglich, dass der »Schutz des ungeborenen Lebens« vorrangiges Ziel der Konfliktberatung sein soll.

In Ihrem Buch geht es in erster Linie um medizinethische Fragen. Hat die Linke einen Fehler gemacht, diese Themen – mit Ausnahme vielleicht von Schwangerschaftsabbrüchen und LGBTI-Fragen – zu ­lange ignoriert und der »Lebens­schutz«-Bewegung somit ungewollt fast schon ein Meinungsmonopol eingeräumt?
Auf jeden Fall. Da sind riesige Leerstellen gelassen worden. Gerade unsere Mitautorin Kirsten Achtelik hat hier viel dafür getan, diese Leerstellen von feministischer Seite aus zu füllen, etwa wenn sie nachdrücklich darauf hingewiesen hat, dass Pränataldiagnostik und Behindertenfeindlichkeit sehr viel miteinander zu tun haben. Auch mit Sterbehilfe befasst sich die »Lebens­schutz«-Bewegung bereits seit vielen Jahren. Mit dem Thema mag sich in der Linken kaum jemand beschäftigen, weil es hochkomplex und schwierig ist. Daher gibt es wenige linke Positionen dazu. Insofern kann sich die »Le­bensschutz«-Bewegung da durchaus zurecht als Sprachrohr sehen.

Rühren diese Leerstellen auch daher, dass es sich vor allem um ­Themen handelt, die traditionell eher als »weiblich« gelten?
Sicher. Die linke Szene ist immer noch männlich geprägt, und wenn wir beim Apabiz Veranstaltungen zu Gender­themen machen, dann sind da sehr viel mehr Frauen und Transpersonen als bei klassischen Antifa-Themen. ­Außerdem gibt es in der Linken oft auch so eine männlich-arrogante Art, »Lebensschützerinnen« und »Le­bensschützer« als religiöse Freaks zu verlachen, wobei dann völlig ausgeblendet wird, welche Relevanz das Thema Schwangerschaftsabbruch für Menschen hat, die wirklich schwanger werden können. Das stellt für mich aber ganz persönlich eine reale Gefahr dar. Daher habe ich da auch einen ganz anderen Blick darauf und nehme das viel ernster.

Was können oder müssen wir Ihrer Meinung nach tun, um diesem ­antifeministischen Rollback entgegenzutreten?
Ich denke, es müssen endlich mehr Menschen aufhören, zu glauben, dass das alles nichts mit ihnen zu tun hat. Antifeminismus richtet sich nicht nur gegen Feministinnen und nicht einmal nur gegen Frauen und Transmenschen. Er richtet sich gegen viele Freiräume und Errungenschaften, die bereits erkämpft worden sind. Das wollen die Lebensschützer rückgängig machen. Damit würden uns allen Möglichkeiten und Freiheiten genommen – den einen früher, den anderen später.

Wir sollten auch nicht länger unterschätzen, dass Antifeminismus neben Rassismus das zweite Standbein der AfD ist. Es geht hier um Deutungshoheiten und um einen Kulturkampf – zumindest sieht es die »Lebensschutz«-Bewegung selbst so und deshalb findet sich dieses Wort auch im Titel unseres Buchs. Es geht den Mitgliedern dieser Bewegung um mehr als »nur« das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen.

Darum ist es auch wichtig, Gegenpräsenz zu zeigen und diesen ­Leuten nicht einfach die Straße zu überlassen. Vor allem aber dürfen wir komplexe Fragen nicht länger ihnen und ihren einfachen Antworten überlassen. Wir müssen uns mit diesen Fragen befassen und komplexe Antworten finden, auch wenn das schwer ist und wahrscheinlich länger dauern wird.