Über Menschenfeinde und Tierfreunde

Kampf um den Hund

Über die Menschenfeindlichkeit selbsternannter Tierfreunde.

»Jetzt ist schon wieder was passiert.« Mit diesem Satz beginnt Wolf Haas’ Roman »Wie die Tiere«, in dem der Privatdetektiv Simon Brenner beauftragt wird, jene Person zu finden, die im Wiener Augarten Hundekekse mit Stecknadeln auslegt, nachdem dort eine Frau von einem Kampfhund zu Tode gebissen wurde. Besser als in jenem Krimi kann man die ­libidinösen Besetzungen, die auf beiden Seiten in solch einem Bürgerkrieg im Kleinen zu Tage treten, kaum beschreiben. Brenner hingegen ist in dieser Hinsicht »persönlich vollkommen neutral«, hat zwar etwas gegen Hunde und vor allem ihre Scheiße in der Stadt, merkt aber auch an: »Man kann nicht einfach hergehen und Hundekekse streuen. Oder Hundekekse meinetwegen, aber nicht mit Stecknadeln drinnen.«
Kürzlich ist auch in Hannover etwas passiert.

Der mittlerweile eingeschläferte Staffordshire-Mischling Chico hatte Anfang April seine 52jährige im Rollstuhl sitzende Besitzerin und ihren 27 Jahre alten Sohn totgebissen. Zum Aufschrei kam es aber erst, als der Hund nicht willkürlich durch fanatische Hundehasser mit Stecknadeln oder Gift getötet, sondern von Veterinären gemäß gesetzlicher Maßgaben eingeschläfert werden sollte. 300 000 Menschen unterzeichneten die Petition zur Rettung von Chico, in der es hieß: »Bitte lasst Chico leben! Er hatte nie ein gutes Hundeleben!« Dabei wurde der Hund letzlich nicht deshalb eingeschläfert, weil er zwei Menschen totgebissen hat, sondern weil er einen Tumor hatte, der eventuell die töd­lichen Attacken ausgelöst haben könnte und in jedem Fall aufwändige Operationen bei einem nicht mehr jungen Tier verlangt hätte. Ein handfester Versuch der Gefangenenbefreiung via Einbruch in das Tierheim war erfolglos. Darauf folgten Morddrohungen an die Betreiber.

Es stimmt, dass der überforderte Sohn, der selbst wegen gesundheitlicher Einschränkungen unter amt­licher Betreuung stand, den Stafford­shire-Mischling vermutlich niemals hätte besitzen dürfen. Dass das Tier die eigenen Besitzer totbiss, ist den Fanatikern aber insofern genehm, als es diejenigen traf, die vornehmlich für Haltung und Erziehung verantwortlich waren, aber als Tote und Geschädigte nicht mehr real haftbar gemacht werden können. »Eine Verwaltung hat es versäumt, frühzeitig die richtigen Schritte einzuleiten«, verkündete ein Teilnehmer der Mahnwache, was ganz allgemein erst einmal stimmt. Nur hieß dies für den selbsternannten Anwalt des Hundes keineswegs, dass Menschen zuweilen vor sich selbst geschützt werden müssen, sondern: »Der Hund ist das Opfer.«

Während ganz Deutschland den Namen des Mischlinghundes zu kennen scheint, werden die Namen der Gewaltopfer in der Presse kaum erwähnt, geschweige denn, dass die Hintergründe des erschütternden Falls größere Beachtung fänden.

Das Perfide an dem Fall ist, dass kaum darüber berichtet wird, warum sich Mutter und Sohn genötigt sahen, einen solchen Hund zu halten: Chico war zum Schutz vor dem gewalttätigen Vater und Ex-Mann angeschafft worden, vor dem die beiden zunächst in ein Weglaufhaus geflüchtet waren. Der Mann hatte seine Ex-Frau 2005 mit einer Axt so schwer verletzt, dass sie seitdem auf den Rollstuhl angewiesen war. Obgleich der Täter offenkundig mit Vorsatz gehandelt hatte, wurde er nur wegen versuchten Totschlages, nicht wegen versuchten Mordes verurteilt. Als seine vorzeitige Freilassung anstand, schaffte sich die Familie den Hund an, der sie vor einem weiteren Übergriff schützen sollte. Den Behörden hatten sie offenbar nicht zugetraut, ihren Schutz zu gewährleisten. Es gibt also neben dem Veterinäramt durchaus auch noch andere Stellen, über deren Versagen in diesem Fall zu sprechen wäre.

Während ganz Deutschland den Namen des Mischlinghundes zu kennen scheint, werden die Namen der Gewaltopfer in der Presse kaum erwähnt, geschweige denn, dass die Hintergründe des erschütternden Falls größere Beachtung fänden. Ein Eintrag auf der verdienstvollen Website ehrenmord.de erinnert an Lezime K. und ihren Sohn Liridon.

 

Spannender scheint für die Mehrzahl der Journalisten die Moraldebatte über den Hund zu sein. Manuel Kugler von den Nürnberger Nachrichten schloss seinen Beitrag »Mahnwache für Chico: zuhören statt verurteilen« mit den verständnisvollen Worten: »Zumal bis heute noch niemand schlüssig erklären konnte, warum wir (übrigens mit Recht) selbst im Falle grausamster Verbrechen die Todesstrafe für Menschen ablehnen, sie Tieren gegenüber aber für vertretbar halten.« Der Hund habe die »Chance zur Resozialisierung verdient«, urteilte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. »Es verletzt das Rechtsempfinden vieler Menschen, wenn an dem Hund die Todesstrafe vollstreckt wird«, sagte Heiko Schwarzfeld, Geschäftsführer des Tierschutzvereins Hannover.

Es ist offensichtlich, dass Tiere per se »unzurechnungsfähig« sind, da sie keine Rechtssubjekte sind, die nämlich nicht nur subjektive Rechte, sondern auch ebensolche Pflichten haben. Das Hegel’sche und gern als autoritär gescholtene »Recht auf Strafe« verweist darauf. Denn in der Strafe »wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt. – Diese Ehre wird ihm nicht zuteil, wenn aus seiner Tat selbst nicht der Begriff und der Maßstab seiner Strafe genommen wird; – ebensowenig auch, wenn er nur als schädliches Tier betrachtet wird, das unschädlich zu machen sei.« Unzurechnungsfähig zu sein, heißt nicht schuldfähig zu sein. Selbst eine schuldunfähige Person wird nicht bestraft, egal wie sehr die Sanktion der Strafe ähneln mag oder und auch, wenn sie sogar drastischer ausfällt. Ein Hund wird schon deshalb nicht im rechtlichen Sinne bestraft, auch nicht durch den Tod. Eben dies war nicht immer so und ist eine Errungenschaft gegenüber den Restbeständen archaischen Stammes- und Gewohnheitsrechts, das in einigen Fällen Tiere nicht nur als Lebewesen, sondern auch als Rechtssubjekte fasste. Zwischen dem 13. und dem 18. Jahrhundert wurden vor allem in Frankreich und den angrenzenden Regionen zahlreiche Tierprozesse abgehalten. Die weltlichen Tierprozesse richteten sich in diesem Fall gegen domestizierte Tiere, die Menschen verletzt oder gar getötet hatten oder die der Teilhabe an sodomistischen Akten verdächtigt wurden.

Gegen die offenkundig banale Erkenntnis, dass jeder Hund von Menschen mehr oder weniger so gemacht wurde, wie er ist, wird von einigen Experten erwidert, dass es schlichtweg gefährlichere Hundearten gebe, was soweit stimmt. Schon allein Größe und Kraft sind nicht ganz unerheblich. Doch die existierenden Listen stufen vor allem bri­tische und amerikanische Hunderassen als gefährlich ein; tatsächlich führt der Deutsche Schäferhund die meisten Beißstatistiken an. Wie Rottweiler, Boxer und Dobermann findet man ihn aber kaum auf einer Rasseliste. Dazu kommt: Die wenigen verfügbaren Statistiken unterscheiden kaum zwischen Angriffen auf Menschen und auf Hunde. Wenn man nämlich sich schon auf Rassentheorien bezieht, sollte man auch anmerken, dass jene Kampfhunde, die in der »pit« gegen andere Hunde kämpfen sollten und daraufhin gezüchtet wurden, eben keine Menschen, beispielsweise den ebenfalls in der Grube befindlichen Schiedsrichter, anfallen durften. Nun kann man nicht leugnen, dass gewisse Hunderassen aus verschiedenen Gründen natürlich auch verschiedene Charaktertypen ansprechen. Es ist nicht ganz zufällig, dass kein Mops oder keine Französische Bulldogge in einem Gangster-Rap-Video in die Kamera knurrt.

Würden dieselben Leute sich mit demselben Elan für Menschen einsetzen, ihre Aktion wäre fast glaubhaft – beispielsweise für »Kinderschänder«, die ebenfalls von »Menschen so gemacht wurden«. Ideolo­gische Tierliebe geht in aller Regel einher mit einem Schwanken zwischen Empathielosigkeit in Bezug auf Menschen und offenem Menschenhass: So haben rumänische Straßenköter bessere Chancen auf Asyl in Deutschland als Roma, und die berüchtigte Gruppe »Animal Peace« fordert in der Causa Chico gleich: »Tod den Entscheidungsträgern! Wir fordern die Todesstrafe für die verantwortlichen unberechenbaren Mörder: Die Vertreter der Stadt Hannover, der Tiermedizinischen Hochschule, des Tierheims und des Landwirtschaftsministeriums.« Vor zwei Jahren schon gratulierte die Organisation einem Stier, der einen Bauern tötete, und erklärte das Tier zum »Helden«, der einen »Sklavenhalter« tötete. Wegen solcher Aussagen sind die angeblichen Tierfreunde als das zu bezeichnen, was sie sind: Menschenfeinde. Deshalb lässt sich mit jenen Leuten, in der Regel auch in ­ihren ideologisch weniger radikalen oder expliziten Ausprägungen, nicht über Tiere oder anderes diskutieren, da Fanatisierte sich für Argumente kaum zugänglich zeigen.