Gegenentwürfe zum Datenkapitalismus sind nötig

Wer die Daten hat, hat die Macht

Die Debatte um Datenschutz muss stärker politisiert werden. Die DSGVO ist ein erster Schritt, aber Alternativen zum herrschenden Datenkapitalismus müssen noch entworfen werden.
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Am Ende sind sie plötzlich doch alle froh, dass sie kommt. Selbst wirtschaftsliberale Magazine, Unionspolitiker und Mark Zuckerberg begrüßen die EU-Datenschutzgrundverordnung – zumindest rhetorisch. Etwas anderes bleibt ihnen angesichts des jüngsten Daten­skandals um Facebook und Cambridge Analytica wohl nicht übrig. Doch es ist nicht das erste Mal, dass das heimliche Sammeln und illegale Verwenden von persönlichen Informationen einen öffentlichen Aufschrei auslöst, und es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Das wird auch das neue Regelwerk der Europäischen Union nicht verhindern. In der Debatte über den Umgang mit personenbezogenen Daten ist es mehr ein Doppel- als ein Schlusspunkt.

Zukünftig sollte nicht mehr nur über die individuellen, sondern auch über die gesellschaftlichen Aspekte des Datenschutzes diskutiert werden.

Als die Gespräche über die Verordnung Anfang dieses Jahrzehnts begannen, galt Datenschutz als Nischenthema für Hacker und Nerds. Mit der wachsenden Durchdringung der Lebenswelt durch Informations- und Kommuni­kationstechnologie gewinnt das Grundrecht auf Datenschutz jedoch immer mehr an Bedeutung. Dass die Grundverordnung überhaupt Realität wird, ist im Rückblick dennoch bemerkenswert: Der fast fünfjährige Entstehungs­prozess gilt als die größte Lobbyismus-Schlacht in der Geschichte der EU.

Längst geht es dabei nicht mehr nur um den Schutz der Privatsphäre im klassischen Sinne – falls das überhaupt so war. Denn das Kernproblem des ­Datenschutzes war es schon immer, dass Informationsasymmetrien in einer »datafizierten« Gesellschaft auch Macht­asymmetrien sind. Heute bedeutet das in erster Linie die Regulierung einer neuen Wertschöpfungsmethode, die darauf beruht, Menschen auf Basis ihrer Daten zu klassifizieren, zu bewerten und ihr Verhalten vorherzusagen. Produkt dieser datenbasierten Geschäftsmodelle sind Prognosen, von denen abhängig ist, welche Werbung Menschen zu sehen bekommen, wie lange sie in der Service-Hotline warten müssen oder ob sie Kredite, Handyverträge und Jobs bekommen.

Möglich machen diesen Datenkapitalismus nicht nur umfassende Datensammlungen im Internet und an der Supermarktkasse, sondern auch spezialisierte Datenhändler. Diese Unter­nehmen führen Informationen über Kommunikations- und Einkaufsver­halten, Gesundheitszustand und Lebenslage aus unterschiedlichen Quellen in individuellen Profilen zusammen und verkaufen sie.

Das führt für Individuen zu der kafkaesken Situation, dass sie niemals genau wissen können, wo ihre Informationen eigentlich landen und was ein Gegenüber über sie weiß. Das verändert das Verhältnis von datenliefernden Individuen und datenauswertenden Organisationen – egal ob staatlichen oder kommerziellen – grundlegend. Der enorme wirtschaftliche Wert persönlicher Daten beruht darauf, dass die einen tendenziell vorhersagbar werden, während die anderen Informationsvorteile gewinnen.

In den gesellschaftlichen Debatten über Datenschutz geht es schließlich um den Umgang mit diesem neuen Prinzip der Kapitalakkumulation und dessen Kollateralschäden. Denn dieses bedroht die Kommunikationsfreiheit, weil bereits die Antizipation von Überwachung dazu führt, dass Menschen ihr Verhalten ändern. Darüber hinaus führt es zur Reproduktion von Ungleichheiten, und das nicht nur bei der ­Online-Werbung. All die kleinen Benachteiligungen, die vermeintlich ­weniger wertvolle Datensubjekte erfahren, addieren sich für sie zu einem ­großen Nachteil.

Das alles wird auch die EU-Verordnung nicht grundsätzlich aufhalten können. Dafür ist sie – trotz manch progressiver Ansätze – nicht radikal ­genug und in einigen Punkten auch zu vage. Facebook hat mit seinen jüngst eingeführten neuen Datenschutzeinstellungen beispielsweise bereits ­gezeigt, dass das Bekenntnis zur Datenschutzgrundverordnung nicht mehr als Rhetorik ist. Die genaue Auslegung bestimmter Vorschriften wird nun ­jahrelang juristische Konflikte produzieren.

Zukünftig sollte nicht mehr nur über die individuellen, sondern auch über die gesellschaftlichen Aspekte des Datenschutzes diskutiert werden.

Doch linke Gegenentwürfe zu einer ausufernden Datenökonomie sind rar. Über den Datenschutz hinaus wäre es hier wichtig, die ungleiche Verteilung der Datenauswertungsmacht anzugehen, die Entstehung eines neuen ­Datenprekariats zu verhindern, welches gar nicht anders kann, als im Gegenzug für Dienstleistungen Daten preiszugeben, und digitale Infrastrukturen jenseits des Kommerziellen zu stärken. Die Grundverordnung kann ein Ausgangspunkt für diese Debatten sein – aber jetzt geht es erst richtig los.

 

Der Autor ist Redakteur bei netzpolitik.org