Die Geschichte des Kibbuz Lohamei HaGeta’ot und das dort ansässige Widerstandsmuseum

Das Haus der Ghettokämpfer

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Nach dem Krieg halfen Yitzhak Zukerman und Zivia Lubetkin im Dror-Zentrum in Lodz dabei, Überlebende ins britische Mandatsgebiet Palästina zu schleusen, bevor sie selbst auswanderten. Im Juni 1946 hielt ­Zivia Lubetkin eine Rede auf der Konferenz der Vereinten Kibbuz-Bewegung in Yagur. Einen ganzen Tag lang stand sie in einem riesigen Zelt und berichtete von »den Tagen der Zerstörung und der Revolte« (wie auch ihr Buch später heißen sollte). Unter den Zuhörern waren Yitzhak Sadeh und viele ehemalige Palmach-Kämpfer. Manche hörten zum ersten Mal vom jüdischen Widerstand gegen die ­Nazis, der für die Kibbuz-Bewegung zu einer wichtigen Motivation für den Kampf um den Staat Israel wurde. Zivia sagte einleitend zu ihren Ausführungen, dass sie während der Zeit, als sie von Zerstörung und Tod umgeben waren, nur mit dem Gedanken an die ferne Heimat und die Arbeiterbewegung in Erez Israel am Leben blieben. Auf Lubetkins Initiative ­bildete sich in Yagur eine Kerngruppe aus überlebenden Widerstandskämpfern und Partisanen, die die Gründung des Kibbuz vorantrieben.

Den Poeten Yitzhak Katzenelson hatten die Warschauer Ghettokämpfer Anfang April 1943 auf die »arische« Seite der Stadt geschleust und ihm honduranische Papiere für die geplante Flucht verschafft. Dann wurden er und sein ältester Sohn von den Deutschen aufgegriffen und ins Lager Vittel deportiert, wo sein später nach Palästina geschmuggeltes »Lied vom ermordeten jüdischen Volk« entstand, das zu den bedeutendsten literarischen Zeugnissen des Holocaust gehört. Es beschreibt in 15 Gesängen das Martyrium, die Trauer, den Protest und die Hilflosigkeit der Judenheit. Yitzhak Katzenelson und sein ältester Sohn wurden am 1. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.

Zwei Fassungen seines Lieds ­be­finden sich heute im nach ihm benannten »Yitzhak Katzenelson ­Museum des Holocaust und Jüdischen Widerstands« im Kibbuz der Ghettokämpfer. Zu den Ausstellungsstücken gehören der Koffer, in dem das ­Gedicht von Katzenelson aus Vittel herausgeschmuggelt wurde, eine Sammlung mit künstlerischen Zeugnissen des jüdischen Lebens, die ­Miriam Novich in den zwei Jahren nach ihrer Befreiung aus Vittel überall in der Welt gesammelt hat, die Glaszelle, in der Eichmann bei seinem Prozess saß und ein Modell des Vernichtungslagers Treblinka, das von Yaakov Wiernik angefertigt wurde.
Der 1889 geborene Yaakov Wiernik war in Treblinka beim Sonderkommando und dann als Schreiner für den Bau von Wachtürmen und Gaskammern eingesetzt. Ihm gelang bei der Revolte in Treblinka die Flucht.

1995 wurde ein eigenes Kinder-Gedenkmuseum eingerichtet, das ­Tagebücher und Zeugnisse verfolgter jüdischer Kinder versammelt. Über die Geschichte dieses einzigartigen Museums erzählt die Überlebende und Gründerin des Zentrums für humanistische Bildung in Lohamei HaGeta’ot, Raya Kalisman, dass im Warschauer Ghetto ein Junge zu ­Zuckerman kam und ihn bat, ihm einen Geigenlehrer zu suchen. ­Zuckerman traf den Lehrer Jahre später wieder und ließ sich erklären, dass der Junge jeden Tag geübt habe und außerordentlich begabt gewesen sei und dass er deportiert und ermordet wurde. Die Frage, was aus dem Jungen und den vielen anderen hätte werden können, beschäftigte Yitzhak »Antek« Zuckerman so sehr, dass er die Idee zu einem Kinder-­Gedenkmuseum hatte.

Die Demokratieerziehung und der universelle Ansatz in der Erinnerungspädagogik des Museums sind eng mit dem Namen der 1924 ge­borenen Widerstandskämpferin Chavka Folman verbunden, die als Botin für die ZOB arbeitete. Chavka Folman begleitete später viele Gruppen junger Israelis bei deren Besuchen in Gedenkstätten nach Polen. Bei ihrem letzten Besuch in Auschwitz entdeckte sie zufällig ein Erkennungsfoto, von dessen Existenz sie nicht wusste.

Das Museum möchte seinen vorwiegend jungen Besuchen vermitteln, dass Menschen selbst dann noch in der Lage sind, sich für Gerechtigkeit einzusetzen und zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, wenn ihnen die Umstände vermeintlich keine Wahl mehr gelassen haben, erklärt Raya Kalismann.

Sinnbildliches Ausstellungsstück dafür ist im »Haus der Ghettokämpfer« eine Brotwaage oder vielmehr eine Brotkrümel-Waage. Sie wurde im Frauenlager von Auschwitz gefunden. Mit der Waage wurde das ­wenige Brot, das die Gefangenen bekamen, in gleiche Teile geteilt. Der Mensch, so Raya Kalismann, hat immer die Möglichkeit, sich menschlich oder unmenschlich zu verhalten. Während der eine Gaskammern zur Massenvernichtung errichtet, baut der andere eine Waage, um Brotkrümel unter Verhungernden gerecht zu verteilen.