Die Europäische Volkspartei streitet über die Politik ihrer ungarischen Mitgliedspartei Fidesz

Das schwierige Kind der Konservativen

Die Europäische Volkspartei hat den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zum Gespräch nach Brüssel gebeten. Nicht allen in der konservativen Fraktion im europäischen Parlament sagt die Politik ihrer Mitgliedspartei, Viktor Orbáns Fidesz, zu.

»Die EU sollte Ungarn nicht kritisieren, sondern Politiker unterstützen, die ­bereit sind, die Grenzen gegen illegale Migration zu verteidigen.« Dieses Zitat stammt ausnahmsweise nicht vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, sondern vom deutschen Europaabgeordneten Manfred Weber (CSU). Er ist Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament und war im März nach Ungarn gereist, um die Kollegen von Orbáns Fidesz im Wahlkampf zu unterstützen. Fidesz ist Mitglied der EVP und dort nicht unumstritten. Doch das liegt weniger an Orbáns Zaunbau und seinen sonstigen Vorstellungen darüber, wie die EU-Außengrenze gegen unerwünschte Migranten zu schützen sei.

Am Mittwoch vergangener Woche hatte die EVP-Spitze Orbán zu einem Gespräch nach Brüssel gebeten. Von »freundliche Warnung« bis »Krisengespräch« reichten die Formulierungen, mit denen die Presse den Anlass des Treffens zu umschreiben versuchte. »Auch für Viktor Orbán gibt es rote Linien«, wurde Weber zur Frage des ­Verbleibens von Fidesz in der EVP zuvor zitiert.

Über Themen und Resultate des Tête-à-Tête schwiegen sich Fraktionssprecher danach allerdings aus.

Mögliche Streitpunkte waren die Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, der mutmaß­liche Missbrauch von EU-Fördergeldern und die Migrationspolitik Ungarns. Zwar ist das ungarische Grenzregime für die gegenwärtige EU-Politik ebenso wichtig wie jenes der Türkei – in den Worten Webers hält Orbán »einen der Schlüssel für die Lösung in der Migra­tionspolitik in der Hand«. Doch möchte man das Ganze lieber geräuschloser; ohne Hetze gegen Ausländer, die Orbán zudem mit einer Anti-EU-Kampagne und antisemitisch konnotierten Tiraden gegen den US-Milliardär George Soros verquickt. Dass er Ungarn per Verfassungsänderung der EU-weiten Umverteilung von Flüchtlingen endgültig entziehen will, schmeckt in der EVP wohl den wenigsten.

Was auch immer tatsächlich besprochen wurde, einvernehmlich trennte man sich offenbar nicht. »Mir wurde berichtet, dass alles schwierig gewesen sei, weil von Orbáns Seite keinerlei Bewegung stattfindet«, sagte der luxemburgische EVP-Abgeordnete Frank Engel tags darauf der Jungle World. »Orbán ist der Meinung, er bringe uns ja sehr viel, es gebe auch ausreichend Leute, die seine Haltung gut und richtig finden und deswegen sei er eigentlich ein wichtiger Flügel der EVP. Und so wird er sich dann auch weiterhin benehmen«, so Engel.

 

Aus der Luft gegriffen ist Orbáns Einschätzung nicht. Nur wenige in der Fraktion haben sich bisher so nachdrücklich wie Engel und sein belgischer Kollege Pascal Arimont dafür ausgesprochen, dass Orbáns Fidesz »in der EVP nichts verloren hat«. Engel bestätigt, dass Mitglieder seiner Fraktion argumentieren, man könne den ungarischen Ministerpräsidenten und seine Partei nur zügeln, solange diese in die EVP eingebunden sei. Auch von den jeweiligen konservativen Parteien der Abgeordneten wird diese Haltung unterstützt.

So ist etwa Belgiens stellvertretender Ministerpräsident Kris Peeters von der flämisch-konservativen Partei Christen-Democratisch en Vlaams (CD & V) der Ansicht, man könne Fidesz nicht aus der EVP werfen, weil die Partei demokratisch gewählt sei. »Davor muss man Respekt haben«, ­zitiert ihn die flämische Tageszeitung De Morgen. Inwiefern der Ausschluss aus einer parlamentarischen Fraktion den Wählerwillen missachtet, erschließt sich daraus nicht.

Doch nicht alle in der EVP, die für eine Umarmung Orbáns plädieren, verweisen allein auf strategische Gründe. »Viktor Orbán liebt es zu provozieren. Er ist das enfant terrible der EVP-Familie, aber ich mag ihn und wir ­finden immer eine Lösung«, wischte im Juli 2015 der vormalige EVP-Frak­tionsvorsitzende und jetzige EVP-Vorsitzende Joseph Daul Kritik an Orbán vom Tisch. Der Ungar sei einer, auf den man sich verlassen könne. Nicht zuletzt die bayerische CSU verbindet viel mit dem »lieben Viktor« (Horst See­hofer), Teilen der Partei gilt dessen Politik geradezu als vorbildlich.

Also alles nur Familienkrach? Auch wenn CSU-Europaabgeordnete wie Markus Ferber bislang darauf pochen, dass Orbán nicht Wladimir Putin und ein Verfahren wegen »Schwächung des Justizwesens in Polen und nicht in Ungarn« anhängig sei, wird das den Unmut in der Fraktion wohl nicht zu beruhigen vermögen. Denn im EU-Parlament konkretisieren sich Bestrebungen, gegen Ungarn ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit einzuleiten, wie bereits im Dezember im Falle Polens geschehen. Das könnte Orbáns Regierung dringend benötigte EU-Zuschüsse kosten. Dafür wird es jedoch auch auf die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament an­kommen.

Um Mehrheiten geht es auch in der EVP-Fraktion. Aus einem Rausschmiss von Fidesz wurde bislang nichts, »weil Parteien wie die CSU schützend ihre Hand über den Orbán-Clan und seine Partei halten«, hatte Frank Engel vor wenigen Wochen noch gesagt. »Ich weiß, dass der Anteil derjenigen, die inzwischen die Schnauze voll haben – von Orbáns Rhetorik, Eskapaden und Politik –, wächst«, meinte er nun im Gespräch mit der Jungle World. »In welchen Dimensionen sich das bewegt, kann ich allerdings nicht beziffern.«