Antifaschisten gelang es am 1. Mai nicht, einen Naziaufmarsch in Chemnitz zu blockieren

Kampflos in Chemnitz

Antifaschisten scheiterten am 1. Mai in Chemnitz daran, einen Aufmarsch der Nazipartei »Der III. Weg« zu blockieren. Zu den von der Presse befürchteten Straßenschlachten kam es nicht.

Von wegen ausschlafen am Feiertag – für viele Antifaschisten begann der 1. Mai bereits in den frühen Morgenstunden. So trafen sich Nazigegner im sächsischen Erzgebirge bereits um 6.30 Uhr zur gemeinsamen Anreise nach Chemnitz, in Dresden ging es etwa eine Stunde später los. In Leipzig hatten das Aktionsbündnis »Leipzig nimmt Platz«, die Jugendorganisationen von SPD, Grünen und Linkspartei sowie die in der »Interventionistischen Linken« organisierte Gruppe »Prisma« zu einer Zuganreise – Abfahrt kurz nach sieben Uhr – eingeladen. Mehrere hundert Personen folgten dem Aufruf. Der betagte Regionalzug schien bis auf den letzten Platz ­gefüllt zu sein.

In Chemnitz, wo die neonazistische Kleinpartei »Der III. Weg« an diesem Tag eine Demonstration abhalten wollte, versammelten sich die Antifaschisten ab etwa neun Uhr auf dem Thomas-Mann-Platz nahe dem Hauptbahnhof. Das Bündnis »Chemnitz nazifrei« begann dort später seine Demonstration. In der Nähe der Demonstrationsroute der Nazis veranstaltete zudem der DGB eine Kundgebung. Dort sprach unter anderem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Die Nachrichtenagentur DPA zitierte ihn mit den Worten: »Rechtsextremismus bekämpft man nicht mit Linksextremismus.« Der Kampf müsse »aus der Mitte der Gesellschaft kommen«.

 

Diese Äußerung darf als Distan­zierung von der antifaschistischen Demonstration verstanden werden, schließlich versammelten sich dort Gruppen, die der sächsische Verfassungsschutz als »linksextrem« einstuft. Knapp zwei Wochen zuvor hatte sich Kretschmer im Zuge der Proteste gegen ein Nazifestival in Ostritz noch offen für größere Bündnisse gezeigt. Mit Blick auf die antifaschistische Initiative »Rechts rockt nicht!« hatte er gesagt, dass »alle, die ihren Beitrag leisten können«, willkommen seien.

In Chemnitz versuchten die Antifaschisten ab elf Uhr, ihren Beitrag dazu zu leisten, den Aufzug der Neonazis auf der geplanten Route zu verhindern. Nach einem knappen Kilometer verlief ihre Demonstration, an der sich mehr als 1 000 Menschen beteiligten, parallel zu einem Streckenabschnitt des Naziaufmarschs. Die Polizei hatte jedoch die Straßen, die die Demonstrationsrouten miteinander verbanden, mit Fahrzeugen und Beamten blockiert. Anders als etwa vor einem Jahr in Halle gab es keine Möglichkeit für die Antifaschisten, aus ihrer Demonstration auszubrechen und eine Sitzblockade auf der Route der Nazis zu beginnen.

Auf einer Zwischenkundgebung äußerten sich die Organisatoren zum Auftritt des sächsischen Ministerpräsidenten auf der DGB-Kundgebung: »So kann kein Protest gegen rechts geführt werden.« Sie kritisierten zudem den Studentenrat der Technischen Universität Chemnitz, der eine eigene ­Demonstration unter dem Motto »Bildung ist kein Ausverkauf« veranstaltete. Er habe sich »hinter einer Bildungs­demo versteckt« und sich nicht deutlich gegen den Aufzug der Nazis gerichtet, so die Antifaschisten.

Nach etwa zwei Kilometern kam es doch zu einem Ausbruchsversuch aus der Demonstrationsroute – an der einzigen Stelle, die die Polizei lückenhaft gesichert hatte. Die Antifaschisten hatten wenig Mühe, an den zwei dort anwesenden Beamten vorbeizukommen, zumal diese gar nicht erst versuchten, jemanden aufzuhalten. Weitere herbeieilende Polizisten setzten hingegen Schlagstöcke und Pfefferspray ein und drängten die betreffenden Personen zurück in den Demonstrationszug.

Dessen Teilnehmer liefen noch eine kurze Strecke weiter und trafen dann auf die Bildungsdemonstration des Studentenrats. Mehrere hundert Personen hatten das Vorhaben einer Sitzblockade offenbar nicht aufgegeben und rannten die Strecke wieder zurück. Doch auch ihnen gelang es nicht, die Route der Neonazis zu erreichen. Stattdessen landeten einige von ihnen in ­einem Polizeikessel. Auf einem Video, das Bild online veröffentlichte, ist zu sehen, wie Beamte in einem Hinterhof mit Schlagstöcken auf Personen einprügeln. Wo und wann genau das Filmmaterial aufgenommen wurde, ist allerdings nicht ersichtlich. Die Polizei vermeldete am Ende des Tages knapp 50 Anzeigen und »überwiegend friedliche« Versammlungen.

 

Gegen Mittag lief der Aufzug von »Der III. Weg« los. Es beteiligten sich etwa 600 Personen. Sie liefen hinter mehreren Trommlern geordnet in Viererreihen. Auf Zwischenkundgebungen sprachen unter anderem der Parteivorsitzende Klaus Armstroff, der »stellvertretende Gebietsleiter Mitte« Tony Gentsch und der »Gebietsleiter West« Julian Bender. Die Neonazis warnten vor »hemmungsloser Überfremdung« und »art- und kulturfremden Ausländern«, die für Lohndrückerei und Mietsteigerungen verantwortlich seien. Auch die großen Parteien, der Kapitalismus und die Polizei wurden als Feinde benannt.

Einen Abschnitt der Route konnten die Neonazis zurücklegen, ohne in irgendeiner Form gestört zu werden. Vor allem am Ende der Demonstrationsstrecke versammelten sich am Rand des Zuges jedoch Hunderte Personen, die mit Rufen, Trillerpfeifen und Spruchbändern protestierten. Während der zweiten Zwischenkundgebung schwenkten einige Personen demonstrativ eine Israel-Fahne in Richtung der Nazis. Dem »Jüdischem Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus« zu­folge skandierten einige Neonazis Parolen wie »Nie wieder Israel« und riefen den Gegendemonstranten Sätze zu wie »Ihr bekommt noch Zyklon B«.

Auch die Abschlusskundgebung von »Der III. Weg« wurde von mehreren Hundert Protestierenden begleitet. Ein weiterer Blockadeversuch von etwa 50 Menschen, darunter stark alkoholisierte und offenbar minderjährige Personen, führte zu Rangeleien zwischen ihnen und der Polizei. Die Beamten drängten die Gruppe langsam vom Ort des Geschehens ab. Die Bitte einer Frau mit Mundschutz, medizinisch behandelt zu werden, ignorierten sie. Als sich die Frau an einem Warnschild festhielt, schlug ein Polizist auf ihren Arm ein.

Zudem flog während der Abschlusskundgebung aus den Reihen der Antifaschisten eine Glasflasche an den Kopf eines Nazis. Dieser blieb offenbar unverletzt. Ein Pfandsammler hob die Flasche auf, musste sie jedoch einem Polizisten aushändigen, der ein Foto von ihr anfertigte und sie dann in ein Gebüsch warf. Doch die Beamten machten es nicht nur den Gegendemonstranten und dem Flaschensammler schwer. Während der Verhinderung des letzten Blockadeversuchs ging ein Polizist verbal und körperlich mehrmals einen Kollegen an, da dieser offenbar den Anweisungen nicht folgte. Vielleicht hatten die Schreiber von Bild ja solche Vorfälle gemeint, als sie vor dem 1. Mai getitelt hatten: »Dienstag drohen Straßenschlachten – 1 500 Polizisten im Kampf um Chemnitz«.