Eine Kritik des Thesenpapiers der Linkspartei zur Migrationspolitik

Regulieren ist nichts links

Seite 2

Darüber ist die antirassistische Bewegung längst hinweg. Es darf kein Zurückfallen hinter die Errungenschaften von antirassistischen, feministischen und postkolonialen sozialen Kämpfen geben. Migration und die Wanderung von Arbeitskräften sind kein Problem für ein emanzipatorisches Gesellschafts­projekt, sondern die Bedingung von Arbeiten, Leben und einer neuen Solidarität als Alternative zum antidemokratischen und autoritärem Elitenprojekt des Rechtspopulismus.

Dies ist jedoch mit dem Thesenpapier nicht zu haben. Mit Hilfe eines Kniffs leitet das Thesenpapier ab, dass die Regulierung der Migration ­alternativlos sei (Seite 4). Die Rede von der Regulierung ist jedoch eine Feindin der Demokratie. Die Sprache der Migrationspolitik ist voll von scheinbar sanften Begriffen wie Regulierung, Governance, Steuerung etc. Diese Begriffe verschleiern, dass es sich immer um Projekte der Herrschaft, der sozialen Kontrolle und der Entrechtung handelt. Gemein ist ihnen die Problematisierung der Migration als soziales Phänomen. Das Thesenpapier reiht sich mühelos in diese Projekte ein. Auf Grundlage der als realpolitischer Sachzwang deklarierten Privilegien und Interessen europäischer Staatsbürger und Staaten propagiert es die neue – und gleichzeitig alte – Konjunktur einer institutionell und strukturell rassistischen Arbeitsteilung.

Die Autorinnen und Autoren kommen allerdings auch nicht ganz ohne Migration aus. Diese wird von ihnen der sozialen Kontrollfähigkeit halber in administrative Zwischengruppen mit unterschiedlichen Rechten eingeteilt: in »ökonomische Migrantinnen« und über Asylpolitik regulierte Kontingentflüchtlinge. Diese Trennung entspricht nicht der Realität der Einwanderung. Nur wer eine größtmögliche Distanz zwischen sozialer Frage und Migrationsfrage aufrechterhalten will, benötigt die Aufteilung in legitime und illegitime Migration. Worüber im Thesenpapier übrigens nicht geschrieben wird, ist die hässliche Frage der Abschiebungen.

Die Linkspartei hat wie die Sozialdemokratie realpolitische Probleme, die in den 30 Jahren des neoliberalen Kapitalismus und dem national-wohlfahrtsstaatlichem Klassenkompromiss begründet liegen. Die Schuld daran trägt freilich nicht die Migration. Wir sind alle Kanaken. Deshalb sollten ­Migrantinnen und Migranten auch nicht den Preis für diese Krise zahlen. Es wäre den Verfassern des Papiers zu wünschen, dass sie die frohe Botschaft der schon längst bestehenden post­migrantischen Gesellschaft hörten. Denn eine linke Einwanderungspolitik, die sich nicht an den Erfahrungen, an den Kämpfen, an den Errungenschaften und an der Geschichte der Migration orientiert, kann weder links noch Politik sein.

 

Ceren Türkmen arbeitet als Soziologin und ist Aktivistin in migrantischen Selbstorganistionen.

Bernd Kasparek arbeitet als Migrationsforscher und Aktivist zum Thema Grenzregime.