Beate Zschäpes Verteidiger bedient sich im NSU-Prozess altbekannter Schutzbehauptungen

Von nichts gewusst

Das Plädoyer von Beate Zschäpes Wahlverteidiger im Münchner NSU-Prozess recycelt eine altbekannte Schutzbehauptung nazistischer Mittäter.

Fast 13 Wochen ist es her, dass Anfang Februar vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München das letzte Plädoyer der Nebenklage zu hören war. Seit fünf Jahren wird dort zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) verhandelt. Fast schon vergessen sind die atemberaubenden Schlussvorträge einiger Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage zum ­institutionellen Rassismus bei den Ermittlungsbehörden, zur Verstrickung der Inlandsgeheimdienste und ihrer Spitzel, zu Vertuschungen und zur ­Sabotage der Aufklärung durch staatliche Behörden, zur Gefahr, die vom organisierten Neonazismus in Deutschland ausgeht, und zu dem, was die in München Angeklagten und das noch weitgehend unerforschte Netzwerk des NSU damit zu tun hatten und haben. Fast vergessen sind auch die ergreifenden Schlussworte von Leidtragenden des NSU-Terrors.

Seither haben verschiedene Verteidiger und Verteidigerinnen der insgesamt fünf Angeklagten mit fragwürdigen neuen Beweisanträgen und, nach deren Ablehnung, mit Befangenheitsanträgen für den nervenzehrenden Stillstand gesorgt. In der letzten Aprilwoche kamen die 2015 neu hinzugekommenen Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zum Zuge. Der Wahlverteidiger Hermann Borchert und sein Kollege Mathias Grasel sprachen zweieinhalb Tage und machten ihren Job: Die Schuld der Angeklagten als Mitverantwortliche beziehungsweise Mittäterin an neun rassistischen Morden, einem Mord an einer Polizistin, 43fachem versuchten Mord und zwei schweren Sprengstoffanschlägen in Frage zu stellen und Zschäpe zu dem zu stilisieren, was sie im Kontext des NSU gewesen zu sein behauptet: ein Opfer der beiden Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen sie im Januar 1998 abtauchte und 13 Jahre in der Illegalität zubrachte, und die sich am 4. November 2011 in Eisenach nach einem missglückten Banküberfall durch gemeinsamen Selbstmord der Verfolgung entzogen.

Die beiden Anwälte von Beate Zschäpe verneinten konsequent die Mittäterschaft ihrer Mandantin bei den Verbrechen des NSU.

Wenn Borchert nicht so auffällig ­urlaubsgebräunt gewesen wäre, hätte man meinen können, einen der berühmten US-Gerichtsfilme in Schwarz-weiß zu sehen, in denen ein beherzter Anwalt sich für eine zu Unrecht verfolgte Person in die Bresche wirft. Diese Version, die Borchert, sekundiert von seinem Kollegen Grasel, in endlosen, ermüdenden Schleifen entwickelte, hat nur ein paar Schönheitsfehler. Die beiden Anwälte waren erst zur zweiten Hälfte des Prozesses ins Verfahren ­gekommen, nachdem die Angeklagte sich gegen ihre Pflichtverteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer aufgelehnt und, erfolglos, deren Entpflichtung beantragt hatte. Dabei hatte sie auch vor einer Strafanzeige nicht zurückgeschreckt und mit eisernem Willen nicht nur eine von vielen erheblichen Verzögerungen des Prozesses verursacht, sondern auch einen kompletten Strategiewechsel durch­gesetzt: Nach zweieinhalb Jahren stoischen Schweigens – dem grundlegenden Recht jeder angeklagten Person – kündigte sie eine umfassende Aussage an und ließ diese ab dem 9. Dezember 2015 von ihren beiden neuen Verteidigern vortragen. Fragen vom Gericht, der anklagenden Bundesanwaltschaft (BAW) und den anderen Verteidigerinnen und Verteidigern beantwortete sie damals ausschließlich in schriftlicher Form. Fragen der Nebenklage zu beantworten, der Leidtragenden des NSU-Terrors also, schloss sie jedoch nach einem formelhaft bekundeten Bedauern für das Leid der Opfer kategorisch aus.

 

Nun outete sich ihr Wahlverteidiger Borchert zu Beginn des Plädoyers als derjenige, der die Aussage seiner Mandantin verfasst habe, und gab zu, dass für eventuelle Mängel allein sein literarisches Talent verantwortlich zu machen wäre. In der damals – vor allem von Hinterbliebenen der Mordopfer – mit großer Enttäuschung aufgenommenen Einlassung Zschäpes hatte sie sich selbst als Opfer von Mundlos und Böhnhardt dargestellt oder darstellen lassen. Sie sei naives Opfer ihrer eigenen emo­tionalen Hörigkeit gegenüber Böhnhardt gewesen, sei von diesem misshandelt worden und habe den Absprung von Mundlos und Böhnhardt auch nicht geschafft, nachdem sie schrittweise und selbstverständlich immer erst im Nachhinein von deren Mordtaten erfahren habe. Nur von den 15 Raubüberfällen habe sie gewusst und sich von diesem steten finanziellen Nachschub abhängig gewähnt.

Borcherts teils als pathetisches Lamento, teils gebetsmühlenartig vorgetragenes Plädoyer baut auf dem Vorwurf auf, dass die BAW die Aussage der Angeklagten weitgehend ignoriert oder ihr nur Mosaiksteinchen zur Belastung Zschäpes entnommen habe, ohne den entlastenden Inhalt zu würdigen. Dabei lässt Borchert konsequent den offensichtlichen Selbstschutzcharakter der Einlassung außer Acht: Darin sind keinerlei Aussagen zu den zahl­reichen Leerstellen des NSU-Verfahrens enthalten, die über das hinausgehen würden, was ohnehin nicht mehr zu leugnen war. Dass etwa ihre Finger­abdrücke auf einem ausgeschnittenen Zeitungsartikel im NSU-Anschlagsarchiv gefunden wurden, weiß der Anwalt wortreich in ihre Unschuldsgeschichte einzubauen. Niemand wird belastet und nicht eine einzige offene Frage beantwortet.

Der 6. Juli 2016 hätte ihr großer Tag der Wahrheit und Entlastung sein können, als eine ganze Reihe von Nebenklageanwältinnen und -anwälten Zschäpe etwa 300 scharfsinnige Fragen zur Mittäterschaft weiterer Personen, zur Auswahl der Opfer und Anschlagsziele, zum Netzwerk des NSU, zum ­Tatentschluss und zum Leben im »Untergrund« gestellt hatten. Fragen, die auch dem Gericht und der BAW als peinliche Aufzählung all dessen hätten ­erscheinen müssen, was sie selber nicht gefragt, geschweige denn ermittelt hatten. Doch Zschäpe weigerte sich, die Fragen zu beantworten.

Borchert, der die Hälfte der Beweisaufnahme nicht mitbekommen und offensichtlich wenig Ahnung vom Vorgehen rechtsextremer Terrorgruppen gemäß Handbüchern wie den »Turner Diaries« hat – die auf fast allen beschlagnahmten Rechnern des NSU und seines Umfelds zu finden waren –, entschied sich für einen anderen Stil. Voll theatralischer Inbrunst rief er etwa der BAW zu: »Dann widerlegen sie doch die von der Mandantin geschilderte Liebe zu Uwe Böhnhardt!« Zum Teil gestützt auf das psychiatrische Gutachten eines als befangen abgelehnten Sachverständigen, der Zschäpe eine »dependente Persönlichkeits­störung« bescheinigt hatte, verneinten die beiden Zschäpe-Anwälte konsequent die Mittäterschaft ihrer Mandantin bei den Verbrechen des NSU – auch die Beihilfe zu den Morden und Sprengstoffanschlägen, von deren Vorbereitung und Durchführung sie nichts gewusst oder eben erst im Nachhinein erfahren habe. Einzig von den Raubüberfällen habe sie Kenntnis gehabt und sei deshalb allenfalls mit zehn Jahren Gefängnis »tat- und schuldangemessen« zu bestrafen. Neben­klageanwalt Björn Elberling kommentierte trocken: »Wenn die Verteidigung Zschäpes ihr Plädoyer ernst meinen würde, müsste sie spätestens heute die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihre Mandantin beantragen. Dass sie das nicht gemacht hat, zeigt, dass sie es nicht ernst meint.«

Dieser Auftakt lässt einiges befürchten für die weiteren Plädoyers der Verteidigung, insbesondere was die der Anwältin und Anwälte von Ralf Wohl­leben angeht – sie sind als Anwälte der Naziszene bekannt. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat die kommenden Schlussvorträge vorläufig bis zur ersten Juniwoche terminiert. Folgen könnten möglicherweise noch eine Replik der BAW und die letzten Worte der Angeklagten, ehe nach einer gewissen Pause das Urteil zu erwarten ist – vielleicht Ende Juni, Anfang Juli.