Das Thesenpapier der Linkspartei zur Migration ist zu verteidigen

Regulieren ist notwendig

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Gastbeitrag Von

Unter Anerkennung dieser Faktoren, dass wir derzeit nämlich an einen staatlichen Handlungsrahmen gebunden sind, dass wir die Interessen der eigenen Bevölkerung berücksichtigen müssen und dass es verschiedene Gründe und Motivationen für Migration nach Europa gibt, kommt man zwangsläufig zur Position, die ­Migration zu regulieren. Deshalb benötigen wir ­erstens die vollständige Wiederherstellung des Asylrechts als Individualrecht ohne Dublin-Regelung, ohne »sichere Herkunftsstaaten« und ohne Obergrenzen. Zweitens ist es notwendig, Flüchtlingen den notwendigen Schutz für ihr Leben und ihre Gesundheit zu gewährleisten. Dafür gibt es verschiedene Optionen, wie zum Beispiel die verbindliche Teilnahme am UN-Resettlement-Programm, Unterstützung anderer Aufnahmeländer sowie UN-Organisationen und NGOs, die für den Flüchtlingsschutz zuständig sind. Drittens benötigen wir ein Einwanderungsgesetz für Menschen außerhalb der EU, die aus legitimen und nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen einwandern wollen.

Gesetze haben immer auch ungewollte Folgen. Damit werden Rahmenbedingungen für Anreize oder eben für den gegenteiligen Effekt ­gesetzt. Dies betrifft auch ökonomische Interessen, meist die der ­Herkunftsländer. Wenn wir, mit Regulierung oder ohne, zulassen, dass massenhaft gut qualifizierte Arbeitskräfte wie Ärzte, Ingenieure und Techniker aus anderen Ländern zu uns kommen, entziehen wir diesen Ländern ihr Ent­wicklungspotential und ihre gesellschaftliche Perspektive. Bei uns hingegen werden Fehlentwicklungen wie Fachkräftemangel, die durch Fehlentscheidungen herbeigeführt wurden, auf Kosten der Herkunftsländer kompensiert. Das bewusst zu tun oder zu dulden, ist nicht nachhaltig, links oder progressiv. Das ist kontraproduktiv, unsolidarisch, ja neokolonialistisch. Wichtig ist, solche Länder auf Augenhöhe zu unterstützen, durch Entwicklungszusammenarbeit und fairen Handel, um ihnen eine selbsttragende wirtschaft­liche Perspektive zu ermöglichen.

Ohne Einwanderungsgesetz wird es auch in Zukunft Migration geben, und auch diese würde reguliert werden – durch den Markt. Wer das Geld hat und es sich leisten kann, wird kommen. Der Rest wird bleiben müssen, wo er ist. Soll diese Marktregulierung ein linkes Konzept sein? Sie ist ein viel drastischeres Instrument zur Ausübung von Herrschaft, sozialer Kontrolle und Entrechtung von Migranten, als wenn Zuwanderung durch demokratisch ­beschlossene Gesetze gesteuert wird. Außerdem würde mich interessieren, mit welchen Instrumenten die Befürworter von »offenen Grenzen für alle« die Ungerechtigkeit ausgleichen wollen, dass sich manche das vermeintliche Zuwanderungsrecht erkaufen können und andere eben nicht. In unserem ­Sozialsystem gibt es für Menschen mit niedrigem Einkommen das Mittel der Transferzahlungen als sozialen Ausgleich. Niemand würde auch nur annähernd ernsthaft in Erwägung ziehen, dieses sozialstaatliche Instrument für potentielle mittellose Migranten an­zuwenden.

Schließlich möchte ich noch bemerken, dass jede Einwanderungspolitik auf europäischer Ebene, die einer humanen und sozialen Logik folgt, der­jenigen auf nationalstaatlicher Ebene vorzuziehen wäre. Aber auch da hätte man ein klar definiertes Gebiet mit klar gezogenen europäischen Außengrenzen, innerhalb deren Gesetze ihre Kraft entfalten können. Es ist sehr wohl möglich, sich auch vom national verfassten Sozialstaat zu lösen.

Seit jeher bin ich ein Verfechter eines europäischen Staates. Die europäische Linke war zu diesem Schritt jedoch leider nicht bereit und lehnte die EU-Verfassung ab. Meines Erachtens war das einer der schwersten Fehler, die wir bisher begangen haben. Aber auch dann wäre eben immer noch ein Staat vorhanden. Jede Vorstellung, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaat ­jenseits von Nationalstaaten oder einem europäischen Staat beziehungsweise Staatenbund zu organisieren, ist pure Utopie.

 

Der Autor ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und Mitverfasser des »Thesen­papiers zu einer human und sozial regulierenden linken Einwanderungspolitik« der Partei »Die Linke«.