Hans Asperger, ein Mitbegründer der Autismus-Forschung, war in die nationalsozialistische »Euthanasie« involviert

Todesurteil »bildungsunfähig«

Eine neue Studie zeigt die Verstrickung Hans Aspergers, eines Mitbegründers der Autismusforschung, in die »Euthanasie« der Nazis.

Wer früher als Sonderling galt, bekommt heutzutage oft eine Diagnose: »Asperger-Syndrom«. Zu den Symptomen gehören Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen und die »ungeschriebenen Regeln« des Sozialkontakts richtig zu deuten; eine Überempfindsamkeit für Reize; die Vorliebe für Beständigkeit und Routinen sowie oft spezielle Interessen, denen mit großer Leidenschaft nachgegangen wird. Etwa ein Promille aller Menschen soll davon betroffen sein, über zwei Drittel der Menschen mit »Asperger-Syndrom« sind Männer. Das »Asperger-Syndrom« ist im weltweiten Diagnose-Handbuch DSM 5 mittlerweile aufgegangen im Überbegriff »Autismus-Spektrum-Störung«.

Der Name »Asperger« gilt als Synomyn für die neuronale Besonderheit, selbst viele Betroffene identifizieren sich mit diesem Namen, manche nennen sich »Aspies«. Groß war daher Mitte April die Bestürzung, als die Ergebnisse einer Studie bekannt wurden, die aufdeckt, dass der Namenspatron Hans Asperger in die »Euthanasie«-Morde der deutschen Nationalsozialisten involviert war. Der Wiener Kinderarzt war einer der Begründer der Heilpädagogik und »Entdecker« des »Asperger-Syndroms«. Autismusforscherinnen wie Lorna Wing und Uta Frith sagten ihm nach, er habe Kinder vor der Ermordung geschützt. Der Wiener Medizinhistoriker Herwig Czech hat nun nach Recherchen in bisher als verschollen geltenden Archivbeständen mit der Legende des »Widerstandskämpfers« aufgeräumt.

Wie Czech rekonstruierte, hatte Asperger als Leiter der Kinderpsychiatrie schwer geistig beeinträchtigte Kinder in die Wiener Anstalt »Am Spiegelgrund« überwiesen. Das bedeutete ­ihren sicheren Tod: Zwischen 1940 und 1946 starben in dieser Klinik fast 800 Kinder, vor allem an den Folgen von Vernachlässigung. Viele von ihnen verhungerten oder wurden vergiftet. An einigen führte das Personal medizinische Experimente durch. Zudem war Asperger einige Jahre als Gutachter des Wiener Hauptgesundheitsamts tätig, in der Abteilung für »Erb- und Rassenpflege«. Auch in dieser Funktion war er 1942 in die Selektion von Opfern der »Euthanasie« involviert.

Asperger begann 1931 als Hilfsarzt der »Heilpädagogischen Station« der Wiener Kinderklinik, die er von 1935 bis 1949 und wieder von 1962 bis 1977 leitete. Seit 1938 forschte er über »autistische Psychopathen«, wie er sie nannte. 1944 schrieb er in seiner Habilitation erstmals über das Syndrom. Obwohl seine Arbeit erst in den achtziger Jahren weltweite Beachtung fand, gilt sie mittlerweile als Ausgangspunkt der Autismusforschung.

Asperger wollte schnell Karriere machen, und das gelang ihm auch. Damaliger Klinikdirektor war mit Franz Hamburger ein strammer Nationalsozialist und Antisemit. Czechs Forschung zeigt, dass Asperger seinen schnellen Aufstieg der Entlassung jüdischer Kollegen und der auch Frauen unter dem Ärztepersonal durch Hamburger zu verdanken hatte. Asperger saß allerdings zwischen den Stühlen. Alle habilitierten Assistenten Hamburgers waren in der NSDAP – mit Ausnahme Aspergers. Der strenge Katholik war Mitglied im Bund Neuland, einer katholischen Gruppe, die den Nationalsozialismus ablehnte, obgleich sie völkisch orientiert war. Diese Mitgliedschaft brachte Asperger die Prüfung seiner Loyalität durch die NSDAP ein. Nach dem Anschluss Österreichs begutachtete die NSDAP jüdische und möglicherweise politisch problematische Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Gestapo bescheinigte Asperger jedoch, »charakterlich und politisch einwandfrei« zu sein.

Statt in der NSDAP war Asperger Mitglied in NS-Organisationen der Ärzteschaft. Auch in seinen Veröffentlichungen ließ Asperger keinen Zweifel daran, dass er mit den Vorstellungen der Nazis von »Rassenhygiene« völlig übereinstimmte. 1939 schrieb er zum Beispiel: »Im neuen Deutschland haben wir Ärzte zu unseren alten eine Fülle neuer Pflichten übernommen. So wie der Arzt bei der Behandlung des einzelnen oft schmerzhafte Einschnitte machen muss, so müssen auch wir aus hoher Verantwortung Einschnitte am Volkskörper machen: Wir müssen dafür sorgen, dass das, was krank ist und diese Krankheit in fernere Generationen weitergeben würde, zu des einzelnen und des Volkes Unheil, an der Weitergabe des kranken Erbgutes verhindert wird.« Mit seinem früheren Kollegen Erwin Jekelius, der als späterer Direktor von »Am Spiegelgrund« Tausende Kinder ermorden ließ, verband ihn ein enger professioneller Austausch.