Hans Asperger, ein Mitbegründer der Autismus-Forschung, war in die nationalsozialistische »Euthanasie« involviert

Todesurteil »bildungsunfähig«

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Asperger vertrat eine Heilpädagogik, die zwischen den »Bildungsfähigen« und den »Bildungsunfähigen« unterschied. Letztere galten ihm als unheilbar und für keine Arbeit nutzbar. Die »Bildungsfähigen« hingegen hielt ­Asperger für integrierbar, vorausgesetzt, sie bekämen die richtige Pädagogik. Besonders die »autistischen Psychopathen« seien mit ihrer detailgenauen Herangehensweise an Aufgaben und ihren Spezialbegabungen durchaus nützlich: in der Arbeitswelt und an der Front. Angesichts des damaligen Mangels an Arbeitskräften und Soldaten war die Heilpädagogik Aspergers und seiner Kollegen willkommen. »Die Erziehung und Führung schwieriger Kinder war nicht notwendigerweise ein Gegensatz zu Nazipädagogik und Rassenhygiene«, so Czech in seiner Studie, »eher war dies sehr gut vereinbar mit dem Ziel des NS-Staats, Kinder und Jugendliche, die als ›wertvoll‹ und Teil der Volksgemeinschaft angesehen wurden, zu kontrollieren, disziplinieren und organisieren«.

Asperger war überzeugt, dass geistige und psychische Beeinträchtigungen ausschließlich durch Vererbung entstehen. Dass man Kinder mit Hilfe der richtigen Erziehung anpassen könnte, stand für ihn dazu in keinem Widerspruch. In besonders schweren Fällen sollte ihre »Lebensbewährung« durch »überlegene Führung« erreicht werden – so schreibt es Asperger in seinen Gutachten. Dies sei am besten in heil­pädagogischen Einrichtungen und Kinderheimen gewährleistet. Vor allem jüdische Kinder, die bei christlichen Pflegefamilien aufwuchsen, steckte Asperger oft ins Heim. Kinder, die sexu­alisierte Gewalt erlitten hatten, machte Asperger selbst dafür verantwortlich. Eine Vorstellung von Trauma als Ursache von psychischen Beeinträchtigungen existierte für den erklärten Gegner der Psychoanalyse nicht.

Als Todesurteil wirkte, wenn Asperger und seine Kollegen Kinder als »unheilbar« und »bildungsunfähig« einstuften. So zum Beispiel für die dreijährige Herta Schreiber, die Asperger persönlich nach »Am Spiegelgrund« überwies mit der Begründung, ihre Mutter sei mit dem Kind überfordert. Es sei mit seiner schweren geistigen Beeinträchtigung eine »­unerträgliche Belastung« für die Mutter und eine »dauerhafte Unterbringung« in der Anstalt sei zwingend notwendig. Die Mutter habe noch für fünf weitere »erbgesunde« Kinder zu sorgen. Ein weiterer Fall, in dem Asperger persönlich die Einweisung eines Kindes veranlasste, ist dokumentiert, außerdem zahlreiche Fälle, in ­denen Asperger Einweisungen durch seine Kollegen ausdrücklich befür­wortet hat.

Trotz seiner eindeutigen Haltung während des NS schaffte es Asperger nach 1945, sich den Anschein eines ­Nazigegners zu geben.

So habe Hamburger ihn zweimal vor der »Verhaftung« durch die Gestapo bewahrt, sagte Asperger im Jahr 1962. Gemeint war zum einen das Gutachten der Gestapo, das durch Hamburgers gute Verbindungen positiv ausfiel. Zum anderen behauptete Asperger, er habe sich geweigert, Kinder an die Anstalten auszuliefern, und das habe ihn für die Ge­stapo verdächtig gemacht. Belege dafür lieferte er nicht – dennoch bastelte seine spätere Gefolgschaft unter den Autismusforscherinnen und -forschern fleißig mit am »Narrativ des Oskar Schindler« unter den Kinderärzten, wie Czech es nennt. Asperger habe etwas an seinen autistischen »Schützlingen« gelegen und er habe sich für sie ein­gesetzt, so deren Argumentation. Auch sein »pädagogischer Optimismus«, der Glaube an die richtige Erziehung der »Erbkranken«, wurde umgedeutet zu einem Beweis für seine riskante »Gegnerschaft« zu den Nazis.

Dass Asperger indes kein besonderer Fall ist, zeigt ein Blick auf Mediziner­innen und Mediziner im NS allgemein. Gerade jene, die sich als progressive Reformerinnen und Reformer verstanden wissen wollten, verfochten leidenschaftlich Eugenik und »Euthanasie«. Dass die Ermordung der »hoffnungslosen Fälle« ein humaner Akt sei, sei Konsens in der reformerischen NS-Ärzteschaft gewesen, sagt Robert Parzer, Historiker und Autor des Blogs »Gedenkort-T4.eu«. Zwar gab es Einzelfälle von Anstaltsdirektoren, die sich weigerten, ihre Patientinnen und Patienten in Anstalten zu verlegen, in denen diese getötet worden wären. Aber: »Es ist kein einziger Fall eines Widerstands von NS-Ärzten gegen die ›Euthanasie‹ überliefert, gerade auch nicht von linken Medizinern«, so Parzer. Das Besondere am Fall Asperger sei nicht, dass er die Tötung von Kindern befürwortet und aktiv mitgetragen habe, sondern dass seine Beteiligung durch den Zufallsfund von Czech überhaupt dokumentiert sei – das sei ansonsten kaum der Fall. Alle Kinderärzte und Hebammen mussten behinderte Kinder ab 1939 an die Behörden melden – und die allermeisten hätten dies auch getan, wohlwissend, was in den Anstalten passierte, so Parzer. Fehlende Belege für ihre Täterschaft machten es ihnen allerdings leicht, genau wie ­Asperger, straflos zu bleiben und nach 1945 weiter Karriere zu machen.