Das Thesenpapier ist eine Absage an die libertäre Migrationspolitik der Linkspartei

Links bleiben

Wenn die Linkspartei den Anspruch auf internationale Solidarität aufgibt, hört sie auf, links zu sein. Nicht das Interesse des Staats oder der Deutschen, sondern das Recht auf Bewegungsfreiheit und legale Einreise sowie globale soziale Rechte müssen Basis einer linken Migrationspolitik sein.
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Mit dem »Thesenpapier zu einer human und sozial regulierten Einwanderung« geht die Migrationsdebatte in der Linkspartei in eine neue Runde. Es handelt sich dabei, wie im Beitrag von Christian Jakob benannt, nicht um ein Thesenpapier der gesamten Partei, sondern von einzelnen Mitgliedern um die Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi und Michael Leutert. Sie wollen die von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht angesichts von Stimmenverlusten bei Arbeiterinnen und Arbeitern geforderte programmatische Änderung in der Migrationsfrage offenbar konzeptionell unterfüttern.

Dies ist als eine Absage an die bislang libertäre Migrationspolitik der Linkspartei zu verstehen. Formuliert doch etwa das Bundestagswahlprogramm den Anspruch, die Partei stehe »für offene Grenzen für alle Menschen in ­einem solidarischen Europa, das sich nicht abschottet«. Dies scheint weiterhin die Meinung der meisten Parteimitglieder zu sein. Denn selbst ein vor einigen Monaten von anderen Autoren veröffentlichtes Konzept für ein linkes Einwanderungsgesetz – das im Kern allen außer Terroristen die le­gale Einreise per Visum ermöglichen, allen ein Bleiberecht zuzusprechen und alle integrieren wollte, die nach einem Jahr Aufenthalt einen »sozialen Anknüpfungspunkt« (z.B. Chorgruppe, WG, Arbeitsstelle) nachweisen können – war vielen Parteimitgliedern zu restriktiv. Doch handelte es sich dabei noch um einen Versuch, die Forderung nach »legalen Einreisewegen« und »Bleiberecht für alle« realpolitisch umzusetzen.

Das Thesenpapier von Fabio De Masi, Michael Leutert und anderen folgt dagegen einer anderen Agenda: nämlich die bisherige programmatische For­derung der Linkspartei nach offenen Grenzen zu revidieren. Es spricht sich erstmalig in der linken Migrationsdebatte klar für die Regulierung von Einwanderung, vor allem die Begrenzung der Arbeitsmigration im Inte­resse der deutschen Bevölkerung, aus. Ich bin erschrocken, wenn behauptet wird, »ohne Grenzmanagement stünden die Staaten hilflos gegenüber der international organisierten Kriminalität und dem Terrorismus« da, denn das suggeriert, dass organisierte Kriminalität offenbar ausschließlich von außen importiert wird.

Anstatt Migration und Einwanderung als Normalfall und Grundlage moderner Gesellschaften anzunehmen und positive Leitbilder für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen, werden die Bedürfnisse von Eingewanderten und Einheimischen gegeneinandergestellt. Grundlage der Argumentation ist die Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, wie es im Mainstreamdiskurs heißt, auch wenn die Formulierung »diejenigen, (…) die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen« versucht, diesen Begriff zu umschiffen. Eine solche Unterscheidung bedeutet im Kern nichts anderes, als von Millionen Menschen im globalen Süden paternalistisch zu fordern, doch bitte zu Hause zu bleiben und dort für Gerechtigkeit und ein besseres Leben zu kämpfen. Garniert wird dies mit der abenteuerlichen Behauptung, nur die Wohlhabenden der Herkunftsgesellschaften würden den Weg nach Europa schaffen.

Die Tatsache, dass der Reichtum der Industrienationen auf Ausbeutung und einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung beruht, spielt keine Rolle mehr. Da werden der brain drain in Entwicklungsländern bedauert und Hilfe in den Herkunftsländern großzügig offeriert, um mit vorgeblich sozialen Argumenten die Begrenzung der Arbeitsmigration zu fordern – im Interesse einer deutschen Arbeiterklasse. Genau diese ist gemeint, wenn die Autorinnen und Autoren fordern, »die Arbeitsmigration umsichtig und angemessen im Interesse der Menschen« zu regulieren. Geradezu perfide wird es, wenn herbeihalluziniert wird, Migration würde die »Kampfbedingung der Arbeiterinnenklasse« schwächen. Offenbar ist den ­Autoren entgangen, dass die Arbeiterklasse längst in weiten Teilen migrantisch ist.