Trap feiert den Eskapismus der Diskriminierten

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Screw war es auch, der seine Musik nicht mehr zum Trinken und Kiffen gestaltete, sondern sie dem betäubenden Rausch einer ganz bestimmten Droge anpasste. Das »Lean«, »Purple Drank« oder »Sizzurp« genannte ­Gemisch aus codeinhaltigem Husten­saft, Limonade und Bonbons erzeugt eine narkotische Euphorie, reduziert die Muskelspannung und verlangsamt die Motorik.

Diesem Getränk ist vermutlich auch der typische Tanzstil des Trap zuzuschreiben, bei dem Gliedmaßen oft hängen und die ­Bewegungen schleppend verlaufen, ebenso wie die manchmal ver­waschene Sprache (»mumble rap«) – eine Imitation der beeinträchtigten Artikulationsfähigkeit. DJ Screw selbst starb im Jahr 2000 wahrscheinlich an einer Überdosis des Getränks. Im gleichen Jahr begann Trap so richtig an Fahrt aufzunehmen.

Trap war, genau wie seine Lifestyle-Droge, am Anfang keine luxuriöse Angelegenheit. Rap war und ist schon immer die Musik der Verdrängten, der Übriggebliebenen. Gleichzeitig ist er die Musik der ultimativen marktliberalen Ideologie, des Versprechens vom Aufstiegs von ganz unten nach ganz oben, vom Drogenumschlagplatz zum Lamborghini. Symptomatisch vereint die Musik den größtmöglichen Kontrast ­zwischen tiefsten Bässen und nervös klappernden, extrem hohen Hi-Hats.

Die Mär des Tellerwäschers, der zum Millionär wurde, ist durch Trap zu neuer Beliebtheit gekommen. Die Catchphrase hierfür lautet »Started from the Bottom« und wurde vom kanadischen Über-Rapper Drake geprägt. Kaum ein deutscher Rapper kommt heute ohne dieses Motiv aus. Alle waren irgendwie ganz unten, haben es »geschafft« und hören nicht auf, bis die Rolex Diamanten trägt. Wenn der Markt allerdings den Zugang zum versprochenen besseren Leben verwehrt, muss dieser eben vorbei an dessen Gesetzen mit illegalen Mitteln gesucht werden, alles, um sich der Einsicht zu erwehren, man sei einer Ideologie aufgesessen.

Der Kultursoziologe darf nun hellhörig werden: Das alles erlebte seinen stärksten Boom, als die letzte Finanzkrise ein für alle Mal klarmachte, dass es einen Aufstieg nicht für alle gibt und dass ein jeder ohne Weiteres rasend schnell ganz unten landen kann, selbst wenn er sich mühsam hochgearbeitet hat. Das harte Hocharbeiten selbst ist zur Floskel im amerikanischen Rap geworden: hustle everyday. Hierzu­lande heißt es nun seit kurzem etwas holprig übersetzt »Acker jeden Tag«, nämlich bei Ufo361. Ranklotzen, bis das Geld für immer reicht, so wie Shindy es augenzwinkernd »N.W.A.«, Abkürzung für »Nie wieder Arbeit«, genannt hat.

Der Schlüssel zur Lösung dieses Widerspruchs verbirgt sich in der sogenannten Realness. Real, authentisch, das waren früher Rapper, deren Lebensgeschichte sich mit dem deckte, was sie rappten. Im Battlerap und Trap ist diese Realness geradezu ­verpönt. Die Übertreibungen müssen maßlos sein. »Fuffies im Club« war gestern, jetzt müssen es mindestens Fünfhunderter sein – oder wahl­weise »ein ganzes Haus voll Cocaine« (Kollegah).

Trap ist ein Habitus, eine Melange aus Statusgütern, Gestus und Sprache. Er protzt mit einer weitgehend imaginierten Klassenzugehörigkeit. Der lyrische Sieger ist, wer diese am überzeugendsten darstellen kann. Karren, Knarren und Klamotten gehören seit jeher zum Rap-Genre, aber dass zeitgenössische Trap-Songs ohne ein grundsolides Wissen über den Luxusmarkt kaum noch zu durchsteigen sind, das ist neu.

Um der Realness auf jeden Fall zu entkommen, setzen sich Rapper Masken auf oder werfen sich in Kostüme und verzerren ihre Stimme. Dann erzählen sie immer wieder das gleiche Märchen vom Aufstieg, den sie zwar häufig tatsächlich irgendwie durchgemacht haben, der aber nie so glamourös war, wie sie ihn schildern – im maschinengewehrhaften Stakkato, ohne Rücksicht auf Artikel: »Vergangenheit viel Scheiße gefressen, jetzt muss die Goldkette glänzen« (Luciano).

Sun Diego, der zurzeit einen kometenartigen Erfolg erlebt, hatte mit seinem Trap-Sound nicht immer Glück. Seiner Meinung nach war der deutsche Markt für seinen sehr amerikanischen Stil noch nicht bereit. Realness spielte noch eine ­Rolle, keiner wollte etwas von Uhren und Champagner hören. In seinem kürzlich erschienenen Buch schreibt er, er rappte damals seine »Phantasien eines besseren Lebens«. Für ihn sind sie eingetreten, für Millionen von jugendlichen Hörern, die dem Genre derzeit zu seinem wahn­witzigen Erfolg verhelfen, bleiben sie Phantasien – von Designer­marken, Sportwagen, Drogen, Villen und Yachten. Ob Sun Diego klar war, dass es dafür ein Wort gibt? Es heißt Eskapismus.