Trap feiert den Eskapismus der Diskriminierten

Bling Bling Balla Balla

Drogen, Limousinen, Schmuck – im Rapgenre Trap wird Reichtum frenetisch besungen. Den Widersprüchen im Kapitalismus begegnet man hier mit Eskapismus. Eine Polemik.

Rapper sein, das wär’s. Ein reichlich gefülltes Konto, das Highlife als Star, devote Fans, Chartplatzierungen und heavy rotation im Radio, dazu Tantiemen von der Gema. Und wenn es einmal doch langweilig wird: einfach die deutsche Musikindustrie mit ein paar geschmacklosen Zeilen trollen und dafür auch noch ausgezeichnet werden. Also: schnell ein Mikrophon besorgen, einen Pop-Schutz aus einer Strumpfhose basteln, das Kinderzimmer mit Eier­kartons zum Studio umbauen, Macbook einschalten und los geht’s. Aber, wie schreibt man einen Track, den die Kids im Jahr 2018 wollen, den sie richtig abfeiern und den sie so laut mit ihren Handylautsprechern hören, dass die billige Plastikschutzhülle zu scheppern beginnt?

Das Erfolgsrezept ist derzeit so einfach wie nie zuvor. Es hört auf den Namen »Trap«. Dazu braucht es: einmal den Roland TR-808 Drumcomputer und eine Prise gesundes Basiswissen über Drogen, Autos, Waffen und allerlei Luxusgüter. Die automa­tische Tonhöhenkorrektur »Autotune« ist beim Softwarepaket zum Macbook inklusive. Das Reimen ist zunächst nicht allzu wichtig, denn auf ständige Wiederholung kommt es an. Im Trap-Überhit »Gucci Gang« von Lil Pump sagt der Rapper die Wendung »Gucci Gang« in knapp zwei Minuten genau 53 Mal. Damit macht die Wiederholung des Liedtitels fast zehn Prozent des gesamten Liedtextes aus – eine gute Faustregel.

Fortgeschrittene, die an ihrer Metrik feilen wollen, schlagen bitte einmal das Lehrbuch aus dem Deutsch-Grundkurs auf und schauen im Glossar nach D wie »Daktylus«. Diesen Versfuß einfach konsequent anwenden.

Klingt zu einfach? Ist es nicht. Nun gut, um in der Topliga mitspielen zu können, braucht es noch einen Produzenten, damit die Beats originell sind. Weiterhin ist es von Vorteil, die beworbenen Luxusgüter zu besitzen oder wenigstens anzumieten, damit sie in entsprechenden Videos vorgeführt werden können. Und die Reime, immer noch im Daktylus, sollten ­wenigstens mehrsilbig sein, besser aber in doppelter oder dreifacher Geschwindigkeit als üblich vorgetragen werden. Spätestens dann winkt die Echo-Nominierung oder wenigstens die erste Million Klicks bei Youtube.

Im Trap-Überhit »Gucci Gang« von Lil Pump sagt der Rapper die Wortkombi »Gucci Gang« in zwei Minuten genau 53 Mal  – eine gute Faustregel.

Trap ist egalitär. Es ist unwichtig, ob einer wirklich ganz unten in der ­sozialen Hierarchie war, Essen klauen musste und Drogen gedealt hat oder ob er ein durchschnittlicher deutscher Mittelklasse-Abiturient mit Teilnahmezertifikat vom Malwett­bewerb gewesen ist. Die street credibility, Rap-Slang für das furchtbar komplizierte Wort »Authentizität«, wird frühestens dann zum Thema, wenn das HipHop-Magazin Juice nach einer Coverstory fragt. »Trap«, dieser legendenumwobene Ort, an dem Drogen gehandelt werden, ist meistens nur ein lyrisches Motiv. Glück gehabt, Kollegah.

Authentisch wird Trap mit Detailwissen über den Luxusmarkt. Autos unter 100 000 Euro Neuwagenwert sind uninteressant, gern Lamborg­hini (im Jargon »Lambo«) oder Mercedes (»Benzer«) bitte mindestens mit AMG-Sportausstattung oder Modellpflege (auf keinen Fall »MoPf«, lieber »Facelift« sagen). Preislich entspannter geht es bei den Genussmitteln zu. Eine Flasche Hennessy-Cognac, noch immer der Renner im Rap, gibt es schon ab 30 Euro. Eine »Cohiba robusto«-Zigarre sogar schon ab 20. Uhren: Na klar, nur Rolex. Das derzeit angesagte Modell ist die »Cosmograph Daytona«, Kosten: ab 11 000 Euro.

Über die Rolex gibt es derzeit so viele Songs wie in den Sechzigern über Vietnam. Gleich zwei bekannte Rapper schrieben kürzlich ein auf Uhren gemünztes Liebeslied namens »Roli«. Shindy im Jahr 2016 und erst vor wenigen Wochen der Rapper Luciano. »Weiter nach vorn, denn ich will Diamanten auf der Roli«, ist seine Devise. Meint er die »Pearlmaster« für etwa 30 000 Euro? Oder doch wieder die »Daytona«, nur eben mit ­Diamantapplikationen, so wie sein Kollege Sun Diego, der im Song ­»Eloah« ankündigt: »Ziel ist die Dreißig-Riesen-Daytona«.

Er muss wissen, wie es geht. Schließlich beansprucht er für sich, den Trap-Sound in Deutschland ­salonfähig gemacht zu haben: »Wer hat Trap hier hingebracht? Ich zeigte Germany den Sound. Rapper kenn’n die Differenz – damals hieß es Dirty South.«

Korrekt. Trap entstand in den amerikanischen Südstaaten und hieß ­zunächst Down South, Southern Rap oder eben Dirty South. Schon damals, in den neunziger Jahren, herrschte dort eine Vorliebe fürs Bling Bling. Rapper Lil Jon popularisierte den Stil – und goldverkleidete Gebisse – später mit seiner partyfixierten ­Variante namens Crunk, einem Kofferwort aus crazy und drunk. Der ­Texaner DJ Screw gab dem Southern Sound schließlich seine Trap-Note. Sein Markenzeichen war eine Mischtechnik, die bis heute den Sound prägt und, dem Texaner huldigend, screwing genannt wird.

 

Screw war es auch, der seine Musik nicht mehr zum Trinken und Kiffen gestaltete, sondern sie dem betäubenden Rausch einer ganz bestimmten Droge anpasste. Das »Lean«, »Purple Drank« oder »Sizzurp« genannte ­Gemisch aus codeinhaltigem Husten­saft, Limonade und Bonbons erzeugt eine narkotische Euphorie, reduziert die Muskelspannung und verlangsamt die Motorik.

Diesem Getränk ist vermutlich auch der typische Tanzstil des Trap zuzuschreiben, bei dem Gliedmaßen oft hängen und die ­Bewegungen schleppend verlaufen, ebenso wie die manchmal ver­waschene Sprache (»mumble rap«) – eine Imitation der beeinträchtigten Artikulationsfähigkeit. DJ Screw selbst starb im Jahr 2000 wahrscheinlich an einer Überdosis des Getränks. Im gleichen Jahr begann Trap so richtig an Fahrt aufzunehmen.

Trap war, genau wie seine Lifestyle-Droge, am Anfang keine luxuriöse Angelegenheit. Rap war und ist schon immer die Musik der Verdrängten, der Übriggebliebenen. Gleichzeitig ist er die Musik der ultimativen marktliberalen Ideologie, des Versprechens vom Aufstiegs von ganz unten nach ganz oben, vom Drogenumschlagplatz zum Lamborghini. Symptomatisch vereint die Musik den größtmöglichen Kontrast ­zwischen tiefsten Bässen und nervös klappernden, extrem hohen Hi-Hats.

Die Mär des Tellerwäschers, der zum Millionär wurde, ist durch Trap zu neuer Beliebtheit gekommen. Die Catchphrase hierfür lautet »Started from the Bottom« und wurde vom kanadischen Über-Rapper Drake geprägt. Kaum ein deutscher Rapper kommt heute ohne dieses Motiv aus. Alle waren irgendwie ganz unten, haben es »geschafft« und hören nicht auf, bis die Rolex Diamanten trägt. Wenn der Markt allerdings den Zugang zum versprochenen besseren Leben verwehrt, muss dieser eben vorbei an dessen Gesetzen mit illegalen Mitteln gesucht werden, alles, um sich der Einsicht zu erwehren, man sei einer Ideologie aufgesessen.

Der Kultursoziologe darf nun hellhörig werden: Das alles erlebte seinen stärksten Boom, als die letzte Finanzkrise ein für alle Mal klarmachte, dass es einen Aufstieg nicht für alle gibt und dass ein jeder ohne Weiteres rasend schnell ganz unten landen kann, selbst wenn er sich mühsam hochgearbeitet hat. Das harte Hocharbeiten selbst ist zur Floskel im amerikanischen Rap geworden: hustle everyday. Hierzu­lande heißt es nun seit kurzem etwas holprig übersetzt »Acker jeden Tag«, nämlich bei Ufo361. Ranklotzen, bis das Geld für immer reicht, so wie Shindy es augenzwinkernd »N.W.A.«, Abkürzung für »Nie wieder Arbeit«, genannt hat.

Der Schlüssel zur Lösung dieses Widerspruchs verbirgt sich in der sogenannten Realness. Real, authentisch, das waren früher Rapper, deren Lebensgeschichte sich mit dem deckte, was sie rappten. Im Battlerap und Trap ist diese Realness geradezu ­verpönt. Die Übertreibungen müssen maßlos sein. »Fuffies im Club« war gestern, jetzt müssen es mindestens Fünfhunderter sein – oder wahl­weise »ein ganzes Haus voll Cocaine« (Kollegah).

Trap ist ein Habitus, eine Melange aus Statusgütern, Gestus und Sprache. Er protzt mit einer weitgehend imaginierten Klassenzugehörigkeit. Der lyrische Sieger ist, wer diese am überzeugendsten darstellen kann. Karren, Knarren und Klamotten gehören seit jeher zum Rap-Genre, aber dass zeitgenössische Trap-Songs ohne ein grundsolides Wissen über den Luxusmarkt kaum noch zu durchsteigen sind, das ist neu.

Um der Realness auf jeden Fall zu entkommen, setzen sich Rapper Masken auf oder werfen sich in Kostüme und verzerren ihre Stimme. Dann erzählen sie immer wieder das gleiche Märchen vom Aufstieg, den sie zwar häufig tatsächlich irgendwie durchgemacht haben, der aber nie so glamourös war, wie sie ihn schildern – im maschinengewehrhaften Stakkato, ohne Rücksicht auf Artikel: »Vergangenheit viel Scheiße gefressen, jetzt muss die Goldkette glänzen« (Luciano).

Sun Diego, der zurzeit einen kometenartigen Erfolg erlebt, hatte mit seinem Trap-Sound nicht immer Glück. Seiner Meinung nach war der deutsche Markt für seinen sehr amerikanischen Stil noch nicht bereit. Realness spielte noch eine ­Rolle, keiner wollte etwas von Uhren und Champagner hören. In seinem kürzlich erschienenen Buch schreibt er, er rappte damals seine »Phantasien eines besseren Lebens«. Für ihn sind sie eingetreten, für Millionen von jugendlichen Hörern, die dem Genre derzeit zu seinem wahn­witzigen Erfolg verhelfen, bleiben sie Phantasien – von Designer­marken, Sportwagen, Drogen, Villen und Yachten. Ob Sun Diego klar war, dass es dafür ein Wort gibt? Es heißt Eskapismus.