Die ökonomischen Beziehungen zwischen den USA und den übrigen G7-Staaten bleiben turbulent

Zoll um Zoll in den Handelskrieg

Beim G7-Gipfel in Kanada gab Donald Trump erwartungsgemäß den Provokateur, doch die ökonomischen Zerwürfnisse gehen nicht allein auf sein Konto.

Wenn es nach dem G7-Gipfel in Kanada ein Ergebnis gibt, dann ist es vermutlich für die meisten Teilnehmer alles andere als erfreulich: Der »alte Westen« existiert nicht mehr. Zwei Tage lang hatten die Regierungsvertreter von sieben Industrienationen (den USA, ­Kanada, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Japan) sowie der EU Ende vergangener Woche um eine gemeinsame Erklärung gerungen. Dann kündigte US-Präsident Donald Trump die bereits beschlossene Ver­einbarung auf, nachdem er vorzeitig abgereist war.

Ausschlaggebend für den Affront war nach Aussage Trumps eine Äußerung des kanadischen Premiermin­isters Justin Trudeau, der am Ende des Gipfels Gegenmaßnahmen zu den ­US-Importzöllen auf Stahl und Aluminium an­gekündigt hatte. Trudeau sei »sehr unehrlich und schwach«, twitterte Trump daraufhin. Noch nie seit dem Krieg von 1812 (in dem Kanada noch als Kolonie an der Seite Groß­britanniens gegen die USA kämpfte) seien die Beziehungen der beiden ­Länder so schlecht gewesen, kommentierte die New York Times. Das Ver­hältnis Trumps zu den meisten anderen westlichen Alliierten dürfte kaum ­besser sein.

Ursprünglich dienten die Gipfeltreffen der größten Industrienationen seit 1975 dazu, den Welthandel zu libe­ralisieren und die politische Einigkeit westlicher Demokratien zu demonstrieren. An die Stelle der Globalisierung tritt nun nach und nach ein protektionistisches System, das derzeit maßgeblich von der US-Regierung vorangetrieben wird.

Dass der Streit nun eskalierte, kam alles andere als überraschend. Kurz vor dem Gipfel hatte Trumps Handels­berater Peter Navarro in einem Meinungsbeitrag in der New York Times ­akribisch aufgelistet, was die Welt seiner Meinung nach den Vereinigten Staaten schulde. Das US-Handelsdefizit belief sich im vergangenen Jahr auf über 500 Milliarden US-Dollar, dazu trugen Deutschland mit rund 64 Milliarden und Japan mit 70 Milliarden US-Dollar bei.

Kommt es nicht nur mit den USA, sondern auch innerhalb von Europa zu ökonomischen Zerwürfnissen, ist es mit dem viel gepriesenen deutschen Modell schnell vorbei.

Wie ungerecht sich der Handel gestalte, illustrierte Navarro am Beispiel Japans, das angeblich hundert Mal so viele Autos in die USA exportiere wie es von dort importiere. Gleichzeitig ­belege Japan landwirtschaftliche Exporte aus den USA mit Zöllen bis zu 50 Prozent. »Die Ära der amerikanischen Gelassenheit im Handel ist ­vorbei«, lautete die Überschrift des Beitrags.

Dass die Ankündigung Navarros wörtlich zu nehmen war, merkten die Teilnehmer des Gipfels schnell. Offenbar erschien Trump dort mit einer Liste, die die Handelsdefizite zwischen den USA und jedem teilnehmenden Land dokumentierte. Trump zufolge sind Handelsdefizite praktisch mit Schulden gleichzusetzen, die einseitig zu Lasten der USA gehen. Dass die Gewinne wieder reinvestiert werden, gerade auch in den USA, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass sich diese Rechnung allein auf physische Güter bezieht – als ob sich der Handel immer noch wie in den Zeiten der Stahlbarone gestalten würde.

Die wichtigsten Exportprodukte von US-Unternehmen sind jedoch schon längst nicht mehr Schiffe oder Lokomotiven, sondern virtuelle Güter und Dienstleistungen. So erwirtschaftete Facebook allein im ersten Quartal dieses Jahres rund drei Milliarden US-Dollar, ein Viertel seines weltweiten Umsatzes, in Europa. Der Jahresumsatz der Muttergesellschaft von Google, Alphabet, belief sich 2017 auf 111 Milliarden US-Dollar, rund ein Viertel davon entfiel auf Europa. Der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg zufolge bunkern US-Firmen rund 3,1 Billionen US-Dollar außerhalb der USA – das ist deutlich mehr als das Bruttoinlandsprodukt Frankreichs oder Großbritanniens. Nach der von Trump initiierten Steuerreform werden wohl viele Firmen ­einen großen Teil dieser Gelder in die USA zurücküberweisen.

Zudem versteift sich Trump gerne auf einzelne Branchen, in denen die EU höhere Einfuhrzölle verhängt als die USA. Insgesamt betrachtet liegen die Einfuhrzölle von USA und EU nach ­Angaben der Weltbank zwar auf einem ähnlichen Niveau. In Einzelfällen können sie jedoch erheblich von einander abweichen. So betragen die Zölle auf Autos, die aus der EU in die USA eingeführt werden, bisher nur 2,5 Prozent, umgekehrt wird jedoch viermal so viel fällig. »Wir werden uns Zölle auf Autos anschauen, die den US-Markt fluten«, sagte Trump nach seiner Abreise aus Kanada und kündigte Aufschläge bis zu 25 Prozent auf Importfahrzeuge an. Das würde nicht nur Deutschland und Japan hart treffen, sondern auch Kanada und Mexiko, wo viele Autos für den US-Markt produziert werden.

 

Dennoch muss sich wohl vor allem die deutsche Regierung Sorgen ­machen, wenn sich diese Entwicklung fortsetzt. Denn kein anderes Land ­innerhalb der G7-Gruppe ist in einem so hohen Maße vom Export abhängig wie Deutschland. Allein im vergangenen Jahr wurden deutsche Waren im Wert von mehr als 111 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten ausgeführt, fast ein Zehntel der gesamten deutschen Exporte.

Insgesamt beträgt der Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland fast 48 Prozent – ein absurd hoher Wert verglichen mit den meisten anderen Industrieländern. In der Regel liegt deren Anteil zwischen 20 und 30 Prozent, in Japan bei 16 Prozent und in den USA mit ihrem immensen Binnenmarkt sogar nur bei knapp zwölf Prozent.

Entsprechend weist Deutschland mittlerweile einen Rekordüberschuss von fast 300 Milliarden Euro in seiner Leistungsbilanz auf. Diese Summe nimmt die restliche Welt faktisch an Krediten auf, um deutsche Waren zu kaufen. Ermöglicht wurden diese Exporterfolge durch eine einseitige Wirtschaftspolitik. Lange Zeit stiegen die Löhne in Deutschland weniger stark als in den meisten anderen Industrienationen. Das verschaffte den deutschen Unternehmen zwar große Wettbewerbsvorteile, führte aber auch zu einem schrumpfenden Binnenmarkt, wo der Anteil der Konsumausgaben seit Jahren rückläufig ist.

Hinzu kommt, dass die aggressive deutsche Exportstrategie in Europa mit einer rigiden Austeritätspolitik verbunden wurde. Gerade jenen Ländern, die sich hoch verschuldeten, wurde ein harter Sparkurs auferlegt – eine Konstellation, die Europa immer mehr auseinandertreibt. Auch zahlreiche euro­päische Regierungen kritisieren daher die deutsche Wirtschaftspolitik.

So wirkt es wenig überzeugend, wenn nun gerade aus Deutschland die Rufe nach mehr europäischer Geschlossenheit lauter werden. »Die Antwort auf ›America first‹ kann nur ›Europe united‹ lauten«, forderte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles nach dem Gipfel. Bislang deutet allerdings wenig darauf hin, dass die deutsche Regierungskoalition ihren bisherigen Sparkurs für ­Europa ändern möchte. Kommt es nicht nur mit den USA, sondern auch innerhalb Europas zu ökonomischen Zerwürfnissen, ist es mit dem vielgepriesenen deutschen Modell schnell vorbei. Erste Anzeichen, dass sich die Exportquoten nicht ewig steigern lassen, gibt es bereits.

Vorerst gibt sich die Bundesregierung jedoch kämpferisch. »Wir lassen uns nicht ein ums andere Mal über den Tisch ziehen, sondern wir handeln dann auch«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend in ­einer Talkshow. Ab Juli will die EU Vergeltungszölle auf US-Produkte verhängen. Unter anderem sollen die Abschläge für Whisky drastisch erhöht werden. Bourbon ist eines der wichtigsten Exportprodukte des US-Bundesstaats Kentucky, wo Trump bei den Präsidentschaftswahlen über 60 Prozent der Stimmen gewann. Außerdem sollen die Zölle für Jeans und Motorräder von Harley-Davidson angehoben werden.

Dass Trump sich davon beeindrucken lässt, darf allerdings bezweifelt werden. Er betreibt Handelspolitik nach Regeln des Gangster-Business. Gewinnen kann nur einer, und dafür sind alle Mittel recht. Freunde, Partner oder der »alte Westen« zählen dabei nichts mehr. Wer am Ende am längeren Hebel sitzt, Europa oder die USA, ist noch längst nicht ausgemacht.